Claus Störtebecker. Georg Engel

Claus Störtebecker - Georg Engel


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den Menschen in der Hütte. Man hörte nur die keuchenden Atemzüge des Fischers und das Bersten der brennenden Buchenklötze. Einzig die hellblauen Augen lebten in dem versteinten Gesicht des Sassen; die wanderten hilfeflehend und ohne eine Spur von Verständnis von den Knechten zu dem zerzausten Mädchen, das ebenfalls mit vorgebeugtem Leib und gefalteten Händen zu lauschen schien, bis sich der Rücken des Riesen allmählich neigte, als ob man ihm einen Baumstamm auf den Nacken geladen.

      Plötzlich aber schnellte er empor. Das Blut schoß ihm in die erblaßten Wangen, und die Rechte tastete nervig nach der Axt neben dem Herde. Jetzt hätte vielleicht eine schnelle Gewalttat alles entschieden. Doch ehe noch der schwere Holzstiel emporzutaumeln vermochte, da drängte sich hinter den Knechten die graue Gestalt des Mönches in den Kreis der Hadernden, und eine jugendlich schmerzerfüllte Stimme rief:

      »Füge nicht zum Leid noch die Sünde!«

      So ernst und mitleidsvoll klang die Mahnung, daß der leidenschaftgeschüttelte Riese einhielt. Die Axt entsank ihm, und mit beiden Händen und wankend griff er nach seiner Brust, denn eine Lanzenspitze hatte das dünne Hemd bereits durchschnitten und suchte dort bedrohlich Eingang. Dazu schrie der gepanzerte Knecht: »Wenn du leben willst, sei vernünftig.«

      »Vernünftig – vernünftig,« gellte es dem Überwundenen zwischen die irren, durcheinandergehetzten Sinne. Er wußte nicht, sollte er lachen oder brüllen. War dies nicht Tollheit? Kehrte sich nicht alles Unterste nach oben? Schaukelte seine Hütte nicht auf der tobenden See, ohne daß er den Ausgang fand? Oder hatte man ihm vielleicht gar die Zunge herausgeschnitten und verlangte trotzdem, er solle sprechen? Wer half? Wer half?

      In letzter Not blieben seine Blicke an dem jungen, hereingeschleppten Mädchen haften. Warum? Weil man der Fremden wohl anmerkte, daß sie scheu, zitternd und wider ihren Wunsch hier stand, und dann, weil die Dirne, die man mit ihren nackten Füßen gewiß von weit her bis zu ihm getrieben, gleichfalls ein Sassenkind war wie er, und deshalb gewohnt, nicht nach eigenem Willen zu schalten.

      Heftig trat er auf sie zu und besah sie. Vor seinem mächtigen Schritt erschrak das Wesen, und in ihre braunen Augen trat ein offenes Flimmern der Angst.

      »Was ist mit dir?« herrschte er und ahnte nicht, wie sehr sie sich vor seinen riesigen Armen fürchtete und vor den Haarbüscheln unter seinem Kinn. Sie kannte, was ein grimmiger Mann vermag. Dann aber faltete sie die Hände vor der Brust und sagte sanft und in ihr Schicksal ergeben:

      »Mir geht es schlimm.«

      Nichts weiter, allein die wenigen Worte fanden den Weg zum Verständnis des Riesen. Erstaunt wich er zurück, und tief aus seinem Inneren quoll zum erstenmal ein Bewußtsein seines Standes und seiner Lage hervor. »So geht es uns allen,« murmelte er beinahe betroffen über die neue Erkenntnis, »dazu sind wir geboren.«

      »Genug Geschwätz,« unterbrach hier der gräfliche Knecht ungeduldig und schaute sich hastig nach dem jungen Cisterzienser um, der allem, was sich in der Hütte begab, mit gesenktem Haupt gelauscht hatte – »Wir haben noch einen weiten Weg. Beeilt Euch.«

      Da sandte Claus Beckera einen letzten sehnsüchtigen Blick nach dem Ausgang der Hütte. Als er sich jedoch davon überzeugte, daß sich die Lanzenspitzen von neuem drohend gegen ihn richteten und wie zu gleicher Zeit über den Leib der Magd ein ihm unbegreifliches, ja widerwärtiges Beben lief, da entschloß er sich, vor allem sein Leben zu retten, sein nacktes Leben, das einzige kostbare Geschenk seines Gottes!

      So griff er denn gewaltsam nach der Hand des Weibes, so daß es taumelnd an seine Seite gerissen wurde, und in rohem Ausbruch entlud sich endlich seine Wut in vollem Hohn:

      »Munter – munter, ihr eisernen Wichte, ihr Schnapphähne – da ich mich doch gegen mein Unheil nicht wehren kann, so macht die Schandhochzeit wenigstens kurz.«

      Erregt trat der Mönch hinter die sinkenden Spieße. Die spielenden Feuer huschten über sein zuckendes Antlitz. Er malte das Zeichen des Kreuzes in die Luft und sprach mit zitternder Stimme:

      »Mühsal ist das Leben, Duldung das Gebot, Seligkeit das Scheiden. Wandelt in Frieden.«

      Das Weib jedoch hörte auf nichts. Es sah starr in die Flammen des Herdes, die es fortan schüren sollte.

      Mühselig kroch seitdem die Zeit dahin. Ein Tag sank arbeitsgebrochen und müde zum anderen, und in der Hütte richtete sich das Schweigen ein. Es wohnte dort und ließ sich aus dem engen Raum nicht mehr vertreiben. Ja, wenn die junge Frau selbstvergessen einmal versuchte, einen hellen Singsang aufzuschlagen, dann traf sie aus den vergrübelten Augen des Fischers ein seltsam drohender Blick, und sofort brach die Fröhlichkeit ab, und die zur Stille Verwiesene schaffte erschreckt und niedergeschlagen an ihrem Tagwerk weiter. Sie wußte recht gut, der mürrische Geselle grollte mit ihr, weil man ihm die unwillkommene Dirne aufgedrungen. Und das fand sie auch ganz in Ordnung. Aber manchmal strich sie doch an ihren weißen Armen herunter, und ein natürliches Staunen befiel sie, weil der Riese, der so dicht neben ihr lebte, so gar keinen Gefallen an ihr finden wollte. Warum? Was ihr früher widerfahren, ein solches Erlebnis fand sie nicht ungewöhnlich. Darein mußten sich die Dienenden einmal schicken. Vielen Mägden auf den Höfen der Mächtigen erging es so. Und seit sie den geschützten Unterschlupf gefunden, glaubte sie mit dem sicheren Bewußtsein eines starken Menschen, daß es keinen Zweck hätte, noch fürder an der Vergangenheit zu zerren. Claus Beckera war eben ein ungefüger, störrischer Klotz, dem man es nicht leicht recht machen konnte. »Aber warte nur,« dachte sie mit weiblichem Trotz, »auch große Mäuse fängt die Katz«. Dabei entstand unter ihren flinken und noch merkwürdig zarten Händen allerlei Brauchbares und Nützliches, was bis dahin dem rohen Bretterbau gemangelt. So oft Claus von der Seefahrt heimkehrte, entdeckte er stets irgendein neues Stück des Hausrats, ein frisches Linnenhemd, eine geflochtene Strohmatte oder gar ein festgefügtes Bettgestell für den Eheherrn, alles Dinge, die wie durch Zauber über Nacht an Stelle von etwas Altem und Verbrauchtem in der Hütte gewachsen waren. Natürlich bemerkte der Riese all diese wohnlichen Veränderungen sofort und sonder Hinweis, allein gleichmütig und ohne Dank nahm er sie hin, warf sich auf den neuen, linnenbesponnenen Strohsack und ließ seine Gefährtin nach wie vor auf der Schilfstreu in der Ecke liegen.

      Aber Hilda, so hieß das junge, verschleppte Geschöpf, verlangte nichts anderes. Ja, es galt ihr ganz natürlich, daß der Fischer nicht einmal ihren Namen zu kennen schien, denn bei den kurzen Wünschen, die er selten an sie richtete, nannte er sie »Weib« oder »Fru«. Und darauf gehorchte Hilda und sprang zu ihm, wie ein folgsamer Hund. Doch allmählich wurden ihre Bewegungen langsamer. Auch darum kümmerte sich Claus nicht, nur wunderte er sich zuweilen, wenn er das braunbezopfte Weib jetzt öfter ruhend an der Fensterluke lehnend fand, von wo es dann mit einem unverständlichen Lächeln und mit großen erwartenden Augen auf den sonnenblitzenden Eisrand der See hinabstarrte.

      Claus begriff das nicht, ärgerte sich auch über die ungewohnte Versäumnis, und als er sie wieder einmal feiernd vor ihrem Ausguck antraf, da fuhr es grob aus ihm heraus, während er die großen Lederstiefeln krachend in eine Ecke schleuderte: »Was tust du?«

      Sie wurde blutrot, sendete ihm einen halb listigen, halb demütigen Blick zu und stotterte, langsam zum Herd zurückschleichend:

      »Ich sinne.«

      Leicht hätte sie auch äußern können »ich träume«, denn ihre Gedanken waren jung und wanderlustig und ließen sich in den Verschlag des Schweigens nicht ebenso willig bannen wie ihr Leib. In solchen Stunden erblickte das suchende Weib die dunkle See dort draußen gleich einem gebahnten Tanzplatz, und sie sah sich selbst dort unten mit seidengeschmückten Männern herumspringen, die sie herzten, um ihr dann goldene Schaumünzen um den Hals zu hängen. Fegte aber schließlich ein rauhes Wort ihres Gefährten all den Glanz auseinander, dann seufzte sie tief auf und bemitleidete heimlich den störrischen Gesellen, weil er für das feine, verborgene Spiel keinen Sinn besaß.

      Und doch – auch dieser Weg ins Freie sollte der Beladenen eines Tages gestört werden.

      Frühlingsstürme pfiffen über die Dünen, Hilda stand in der offenen Tür und sog gierig das warme Wehen ein, das einen unbestimmten Duft von Veilchen und Tannenharz mit sich führte. Hoch oben am Waldesrand traten die jungen Rehe heraus und äugten über die funkelnde See.

      Da stieg unten vom Strand


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