Humoresken (Zweites Bändchen). Eckstein Ernst

Humoresken (Zweites Bändchen) - Eckstein Ernst


Скачать книгу
zehn Uhr. Lassen Sie mir vorher ein Bad rüsten.«

      »Poulet?«

      »Nein, Burgunder. Auf Wiedersehn.«

      Des andern Tags in der Frühe, als der Beherrscher Westphalens noch tief in den Federn lag, setzte sich der gewiegte Bibliothekar an sein Büreau, breitete den kaiserlichen Mahn- und Warnungsbrief zu seiner Linken auf die Platte aus, und studirte Phrase für Phrase, Wort für Wort, Silbe für Silbe.

      Er wollte den Stil des gewaltigen Correspondenten an der Seine in seiner ganzen gedrungenen Ursprünglichkeit und Derbheit, in seiner ganzen hochfahrenden Naivetät und Frische nachahmen, und jede Zeile des kaiserlichen Schreibens mit gleicher Münze heimzahlen. Nachdem er etwa eine Viertelstunde lang hin und her gesonnen, ergriff er die Feder und ließ sie hastig über das Papier gleiten. In weniger als zehn Minuten war die Arbeit vollendet. Pigault konnte sich nicht enthalten, über das wunderliche Product zu lächeln. Der Gedanke, daß er, der bescheidene Vorleser Seiner westphälischen Majestät, dem gefürchteten Machthaber Napoleon Bonaparte so vermessene Dinge sagte, berührte ihn höchst humoristisch. Doch war dieser Empfindung eine beträchtliche Dosis von Sorge beigemischt. Er selbst hatte es dem Könige vorgestellt: Napoleon ließ nicht mit sich spaßen. Wehe dem unglücklichen Bibliothekar, wenn es ans Tageslicht kam, wer der authentische Verfasser dieses unerhörten Actenstückes war! Der Cäsar, dessen vernichtender Zorn den Buchhändler von Nürnberg in den Abgrund geschleudert, er konnte auch den Vertrauten Jérôme's zermalmen, wenn er beim Empfange des Briefes irgend wie mißlicher Laune war. Im besten Falle zog die Entdeckung eine mehr oder weniger empfindliche Freiheitsstrafe nach sich; und wahrlich, wenn man eine Zeit lang auf dem prächtigen Schloß der Wilhelms- oder, wie sie jetzt hieß, der Napoleonshöhe in dulci jubilo gelebt hatte, dann spürte man wenig Lust, dieses Paradies mit einem Kerker zu vertauschen!

      Pigault-Lebrun wurde ordentlich trübsinnig, als diese Gedanken durch seine Seele zogen. Langsam klappte er die Schreibmappe zu, steckte das Manuscript sorgfältig in die Tasche und wandelte dann die Treppe hinunter in den Park, um die frische Morgenluft zu genießen.

      Er mochte so eine Stunde zwischen dem duftenden Strauchwerk der Anlagen auf- und abgeschritten sein, als ihm einfiel, daß er vergessen hatte, den Brief des Kaisers zu sich zu nehmen. Rasch eilte er nach seinem Zimmer. Auf dem Vorplatze begegnete er dem Aumônier, dem Prinzen von Paderborn.

      »Ah, schon so früh, Hochwürden?« sagte er in einem Tone, der sein lebhaftes Befremden verrieth.

      »Ja wohl, Herr Bibliothekar,« entgegnete der Prinz lächelnd. »Ich dachte, es sei eine Sünde, den herrlichen Morgen zu versäumen. Übrigens hören Sie? Da schlägt es neune! So gar frühe ist's also nicht mehr! Sie haben wohl eine Promenade gemacht?«

      Pigault-Lebrun erwiderte ein paar nichtssagende Worte, und begab sich in sein Gemach. Dort angelangt, steckte er den pariser Brief in sein Portefeuille, zündete sich eine Cigarre an und legte sich langwegs auf das Sopha, in der Absicht, die Zeit bis zum Erwachen seines Gebieters mit der Lieblingsbeschäftigung des westphälischen Hofes, mit Nichtsthun hinzubringen.

      Der Aumônier wollte ihm nicht aus dem Kopfe. Was hatte der geistliche Herr da auf dem Vorplatz verloren? Seine Wohnung lag auf dem entgegengesetzten Flügel des Schlosses.

      »Ich kann diese Gesellen, die überall herumschnuppern, in den Tod nicht ausstehen,« murmelte der Bibliothekar vor sich hin. »Schließlich läuft doch alles auf die leidige Spionage hinaus. Der König hat Recht. Hier ist keiner Seele mehr zu trauen. Ich möchte wohl wissen, ob unser Verdacht betreffs des Ceremonienmeisters und des Justizministers begründet ist …«

      Pigault überließ sich während einer halben Stunde dem Spiele seiner ausschweifenden Phantasie. Er durchmusterte im Geiste die ganze Hofgesellschaft und schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf wie ein Mensch, der mit sich selbst nicht im Reinen ist.

      Ein plötzliches Klopfen riß ihn aus seinen Träumen.

      Ein königlicher Lakai trat in das Zimmer und meldete, daß Seine Majestät den Herrn Bibliothekar zu sprechen wünsche.

      »Unser allerdurchlauchtigster König befinden sich noch im Bett,« fügte der Mann hinzu.

      Pigault-Lebrun beeilte sich, dem Befehle seines Gebieters Folge zu leisten. Er traf den König in bester Laune.

      »Nimm hier auf dem Sessel Platz,« sagte Jérôme leutselig, indem er sich halb in den Kissen aufrichtete. »Hast du dein Versprechen erfüllt?«

      »Wie sollte ich nicht?« entgegnete der Angeredete halblaut. »Aber wenn Eure Majestät mir wohl wollen, so lassen Sie uns leise reden … Sie, als gekröntes Haupt, haben bei der Affaire verhältnismäßig wenig zu riskiren, während ich …«

      »Schon recht!« unterbrach ihn der König mit gedämpfter Stimme. »Wenn es dich beruhigt, so können wir unsere Bässe moderiren; allein ich versichere dich, deine Besorgnisse sind unbegründet. Die Wände sagt man, haben Ohren. In meinem Schlafzimmer trifft das Sprichwort nicht zu. Die beiden Jäger im Vorgemach sind treu wie Gold, die Säle rechts und links stehen leer …«

      »Man kann nie wissen, Sire,« erwiderte Pigault, »durch welche Spalte der Teufel Einen beim Schopfe packt.«

      »Du bist heute ein wahrer Philosoph, ganz gegen deine sonstige Gewohnheit. Doch zur Sache. Du hast das Manuscript bei dir?«

      »Ja wohl, Sire.«

      »Deutlich geschrieben? Du weißt, unleserliche Handschriften sind meine schwache Seite.«

      »Ich glaube, Eure Majestät werden zufrieden sein.«

      »Zeig' einmal her.«

      Der Bibliothekar zog das Papier aus der Tasche und reichte es dem König dar.

      »Hm, hm,« sagte Jérôme, »das könnte etwas deutlicher sein … hm, hm … da unten kommen ja schmähliche Schnörkel und Kratzfüße …«

      »Das Manuscript ist allerdings sehr schnell hingeworfen,« bemerkte Pigault lächelnd.

      »Weißt du was, du kannst mir das Ding einmal vorlesen, dann werd' ich wohl so leidlich damit zu Stande kommen.«

      »Wie Eure Majestät befehlen. Allein Sie erlauben, daß ich mich etwas näher zu Ihnen heransetze, um nicht genöthigt zu sein, allzusehr die Stimme zu erheben.«

      »Gott, bist du heute ängstlich,« lachte der König. »Du hast wohl etwas Katzenjammer von gestern? Apropos, das Ballet war famos, ganz magnifique, auf Ehre. Ich hätte fast vergessen, dir mein Compliment zu machen.«

      »Eure Majestät sind zu gütig. Wenn Sie gestatten, werde ich jetzt beginnen.«

      »Nun denn, leg' los, alter Junge!«

      Pigault-Lebrun setzte sich dicht an das Kopf-Ende des königlichen Bettes, entfaltete sein Manuscript und las mit flüsternder Stimme wie folgt:

      »Mein Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen!«

      »›Mein Bruder‹?« fragte der König. »Nicht ›mein erhabener Bruder‹? Das ist zu stark!«

      »Sire,« entgegnete Pigault, »Ihre deutschen Unterthanen haben ein Sprüchwort, das zwar nicht hoffähig, aber sehr tiefsinnig und kernig ist. Das Sprüchwort heißt: ›Wurst wider Wurst‹. Verstehen Sie, was das sagen will?«

      »So ziemlich. Aber ich finde …«

      »Hören Sie weiter. – Wenn Sie an meiner Fassung etwas auszusetzen haben, so werden wir nachher die erforderlichen Änderungen vornehmen. – Also: ›Mein Bruder Napoleon, Kaiser der Franzosen! Ich habe Ihre Rathschläge empfangen. – Ich achte sie. – Was Ihre Befehle betrifft, so bin ich König. Ich gebe Befehle, aber ich erhalte keine …‹«

      »Stark, sehr stark!« murmelte der König; »aber gut, sehr gut!«

      Der Bibliothekar las weiter:

      »›Sie werfen mir vor, ich sei ein Freund von langem Tafeln. Ich gestehe, daß ich die substantielleren Genüsse eines wohlassortirten Tisches dem eitlen Jagen nach Gloire vorziehe. – Ich bin Gourmand, ohne ein Vielfraß zu sein: ich glaube nicht, daß ich hierdurch meiner königlichen Würde etwas vergebe. Was die


Скачать книгу