Halbtier. Böhlau Helene

Halbtier - Böhlau Helene


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von allem, so überwacht, daß sie in Thränen ausbrach.

      „Ich weiß net, Ide,“ schluchzte sie, „wie es bei uns ist!“ Sie weinte herzbrechend. „Deck’ wenigstens dem Schädel ein Tüchel über!“

      3

      Die beiden Mädchen sitzen ihrem Vater gegenüber in Mrs. Wendlands Landauer, Kutscher und Diener in vornehmer Livree.

      Das leichte Gefährt rollt die Landstraße am Starnbergersee entlang.

      „Bamsen, ich sag’ euch, daß ihr mir keine Schande macht. Schaut net so, als wär euch die Butter vom Brot gefallen.“

      Der Dichter trägt einen hellgrauen Sommeranzug, graue Kniehosen und schwarze Strümpfe mit Halbschuhen.

      Er ist vollkommen der elegante Tourist. Seine mächtige blonde Persönlichkeit nimmt sich vortrefflich aus.

      Die Kinder konnten sich nicht erinnern, jemals mit ihrem Vater einen Ausflug gemacht zu haben, und wußten sich jetzt nicht recht in ihre Lage zu schicken.

      Er liebte Familiensimpelei nicht und war als Ehemann Junggeselle geblieben. Als Schriftsteller brauchte er unendlich viel Anregung, auf die die Seinigen keinen Anspruch machen konnten. So war es gekommen, daß er in gewisser Weise ein Leben für sich führte und zwar ein Leben, das sich um eine Kaste höher abspielte.

      Die beiden Mädchen sitzen wortlos. Aus der dumpfen Stadt in die schöne, reiche Sommernatur gekommen zu sein, thut ihnen weh und wohl, der weiche Seewind, die mächtigen Massen tiefdunkeln Laubes, das die Luft einzuengen scheint und der Duft nach blühendem Gras – wie bedrängt sie das alles! Das sollte man immer haben können! Arme junge Menschen, denen die Natur fremd bleiben muß.

      Sie biegen jetzt in einen vortrefflich gehaltenen Kiesweg ein, der durch dichten Buchenwald eine Anhöhe hinanführt und kommen bald an ein schönes weitgeöffnetes Gitterthor aus kunstvoll geschmiedetem Eisen.

      Da fährt der Wagen ein, im großen Bogen um einen köstlichen Rasenplatz, auf dessen saftigem Grün Centifolienrosenbüsche wuchern. Sie stehen jetzt in voller Blüte. Tausende von Rosenblüten, alle dasselbe zarte Rosa, und ein so süßer Duft, daß einem Stadtkinde die Thränen in die Augen kommen konnten. So etwas heimlich Ländliches; paradisisch Zartes liegt in den kunstlos, kunstvoll zerstreuten rosenbedeckten Büschen.

      Ein Springbrunnen plätschert in einer stillen grünen Ecke, keine Paradefontaine im Centrum des Cirkels – nein, abseits wie ein verträumter Geigenspieler, der sich selbst zu eigner Lust in einer verlorenen Ecke ein Ständchen bringt.

      Den beiden Mädchen schlägt das Herz. Wie eine breite laue Welle süß duftender Vornehmheit geht es über sie hin.

      Der Wagen hält vor der Villa, der Diener öffnete den Schlag. Alles, worauf ihr Auge auch fällt, ist wie in einer andern Welt, alles sagt ihnen etwas von einem geheimnisvollen Leben, das sie nicht kennen.

      Ihr Vater hilft ihnen aus dem Wagen – ja, war denn das ihr Vater? Er hat einen Ausdruck, den sie an ihm nicht für möglich gehalten hätten, so gentlemanlike, eine so ritterliche Bewegung des Arms, die ihnen gilt! Sie wurden unbeschreiblich verlegen.

      Der Diener führte sie eine breite, steinerne Treppe hinan. Vorsaal und Treppenhaus ganz in Weiß und Gold gehalten.

      Eine große Schale vor einem hohen Spiegel mit Centifolien und Reseda, die den Raum mit ihrem Sommerduft erfüllen.

      Marie und Isolde wünschten sich weit fort.

      Es war ihnen die Atmosphäre so kühl, als schlüge im Hause kein Herz!

      Der Diener öffnete die Thürflügel. Isolden ist dieser Diener merkwürdiger als alles. Er war, kam es ihr vor, da und zugleich nicht da. So wesenlos ist ihr noch nie ein Mensch erschienen. Alles Menschliche hatte er, Gott weiß wo, gelassen.

      Auf seinem Gesicht lag die Vornehmheit des Hauses versteinert.

      Sie gingen durch ein hohes helles Vorzimmer und schauten nicht recht um sich. Die Thür nach einem andern Raum stand geöffnet. Sie traten ein und befanden sich einer Gesellschaft von verschiedenen Personen gegenüber.

      Der Theetisch war gedeckt, Gäste waren um ihn versammelt. Ein leichtes Aroma von Cigaretten und Rosen. Es schienen den beiden Mädchen auf den ersten Blick viel mehr Personen gegenwärtig zu sein, als es in Wirklichkeit waren.

      Eine Dame hob sich ein wenig aus ihrem Lehnsessel, beugte sich vor, streckte den Arm aus. Gelblich indische Seide floß faltig schlank an ihr herab. Ein liebenswürdiges Lächeln ging über das schmale, von glatt anliegendem schwarzen Haar eingerahmte Gesicht.

      „Wie gut, daß Sie sind gekommen, lieber Dichter,“ sagte die Dame. „Nun, und Ihre jungen Mädchen – wir wollen sehn.“

      Sie gab jedem der Mädchen die Hand.

      Tiefe schwarze, feuchte Sammtaugen fühlten sie auf sich gerichtet, kühl, vornehm, freundlich.

      „Kommen Sie, nehmen Sie Platz, lieber Dichter.“

      Isolde sah weltenweit von sich entfernt Henry Mengersen im weißen Flanellanzug.

      Sie empfand, wie er hier heimisch war.

      Ein tödlicher Schreck, ein banges Schamgefühl überwältigte sie, als sie an den Schädel daheim dachte. Die süße mystische Liebeswonne, die bräutlich nonnenhafte Seligkeit, wie erschien ihr das alles jetzt! Den Schädel hatte sie geliebkost ja! Die beiden Stirnen hatten dieselbe Form – gewiß. Sie hatte vor ihm wie im Gebet versunken gelegen. Es war ihr so natürlich erschienen. So ein thörichtes Geschöpf wie sie war! —

      Henry Mengersen wurde den beiden Mädchen vorgestellt. Er erinnerte sich Isoldens. Sie hatten sich in einer Gesellschaft bei Freyschen Freunden getroffen. Er reichte ihr die Hand und begrüßte sie als alte Bekannte.

      Außerdem war ein ältlicher, norddeutscher Baron da, ein jovialer Herr und eine noch junge schlanke Frau mit kleinem Kopf und kräftig voller Gestalt, einem etwas ernsten Kindergesicht, großen Augen, kleiner Nase, hübsch geformtem Mund. Sie schien eine angenehme Person zu sein. Ihr weiches, braunes Haar trug sie in einem nicht geschickt arrangierten Knoten.

      Zuguterletzt rekelte sich ein, zweifelsohne, hochmoderner Schriftsteller in seinem Stuhl. Er rekelte sich, weil das seiner Lebensanschauung wahrscheinlich entsprach.

      „Grüß Gott, Übermensch!“ sagte er und schüttelte Doktor Frey kollegialisch, aber auf eine etwas schlottrige Weise die Hand.

      Ein tadelloser, aber ein wenig zu weiter Salonanzug bedeckte seine gelenke, feingliederige, mit zartem Fett ausgepolsterte Gestalt. Die breite, gestärkte Hemdenbrust stand in weitem Bogen aus der tief ausgeschnittenen Weste heraus. Es war alles nicht so recht niet- und nagelfest an ihm.

      Doktor Frey aber schien mit allen, die am Tisch saßen, bekannt und vertraut. Er hatte etwas so leicht-beweglich Mächtiges, wie eine gut geschmierte große Maschine.

      Als er sich niedersetzte, sagte er, jovial und wie im Prophetenton, eine seiner Sentenzen: „Wir müssen alle wahr sein, wahr bis zum Äußersten – wahr und lebensfreudig – dann wird die Welt bald ein anderes Gesicht bekommen.“

      Jede seiner Bewegungen zeugte davon, daß er sich hier sicher und wohl fühlte, daß er sich seines Werts bewußt, daß er ein berühmter Mann war.

      Als Marie und Isolde in den eigentümlichen englischen Stühlen Platz nahmen, empfanden sie ein lebendiges Behagen, wie sich das glatte zarte Holz an den Körper schmiegte. Unwillkürlich strich Isolde wie liebkosend über die Armlehne auf der ihre Hand ruhte. Sie fühlte sich so geborgen.

      Wie robust lebte es sich daheim, wie häßlich und grob.

      Ihren Vater ließ sie nicht aus den Augen. Er war hier wie ein anderer Mensch. Wie zu einem Heiligen neigte sich die schöne Frau zu ihm und fragte ihn, ob er Rum oder Citrone in den Thee wünsche. Eigenhändig reichte sie ihm das Gewünschte und er schaute wie ein Halbgott um sich.

      Isolden war etwas wie Weinen und Lachen nah. Ein erschrecklich verquicktes Ding von einem Gefühl. Sie dachte an die Mutter daheim. Der Thee war so duftend, die Tassen so zart, alles Gerät auf dem Tisch als stammte es aus einer vollkommeneren


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