Die Jungfrau von Orleans. Friedrich von Schiller

Die Jungfrau von Orleans - Friedrich von Schiller


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O muß ich diesen Tag des Jammers schauen!

      Der König muß in die Verbannung gehn,

      Der Sohn auswandern aus des Vaters Hause

      Und seine Wiege mit dem Rücken schauen.

      O angenehmes Land, das wir verlassen,

      Nie werden wir dich freudig mehr betreten.

      ERSTER AUFZUG

      Achter Auftritt

      La Hire kommt zurück. Karl und Sorel

      SOREL. Ihr kommt allein. Ihr bringt ihn nicht zurück?

      (Indem sie ihn näher ansieht)

      La Hire! Was gibts? Was sagt mir Euer Blick?

      Ein neues Unglück ist geschehn!

      LA HIRE. Das Unglück

      Hat sich erschöpft und Sonnenschein ist wieder!

      SOREL. Was ists? Ich bitt Euch.

      LA HIRE (zum König).Ruf die Abgesandten

      Von Orleans zurück!

      KARL. Warum? Was gibts?

      LA HIRE. Ruf sie zurück. Dein Glück hat sich gewendet,

      Ein Treffen ist geschehn, du hast gesiegt.

      SOREL. Gesiegt! O himmlische Musik des Wortes!

      KARL. La Hire! Dich täuscht ein fabelhaft Gerücht.

      Gesiegt! Ich glaub an keine Siege mehr.

      LA HIRE. O du wirst bald noch größre Wunder glauben.

      – Da kommt der Erzbischof. Er führt den Bastard

      In deinen Arm zurück —

      SOREL. O schöne Blume des Siegs, die gleich die edeln Himmelsfrüchte, Fried und Versöhnung trägt!

      ERSTER AUFZUG

      Neunter Auftritt

      Erzbischof von Reims. Dunois. Du Chatel mit Raoul, einem geharnischten Ritter, zu den Vorigen

      ERZBISCHOF (führt den Bastard zu dem König und legt ihre

      Hände ineinander). Umarmt euch, Prinzen!

      Laßt allen Groll und Hader jetzo schwinden,

      Da sich der Himmel selbst für uns erklärt.

      (Dunois umarmt den König)

      KARL. Reißt mich aus meinem Zweifel und Erstaunen.

      Was kündigt dieser feierliche Ernst mir an?

      Was wirkte diesen schnellen Wechsel?

      ERZBISCHOF (führt den Ritter hervor und stellt ihn vor den König). Redet!

      RAOUL: Wir hatten sechzehn Fähnlein aufgebracht

      Lothringisch Volk, zu deinem Heer zu stoßen,

      Und Ritter Baudricour aus Vaucouleurs

      War unser Führer. Als wir nun die Höhen

      Bei Vermanton erreicht und in das Tal,

      Das die Yonne durchströmt, herunterstiegen,

      Da stand in weiter Ebene vor uns der Feind,

      Und Waffen blitzten, da wir rückwärts sahn.

      Umrungen sahn wir uns von beiden Heeren.

      Nicht Hoffnung war zu siegen noch zu fliehn,

      Da sank dem Tapfersten das Herz und alles,

      Verzweiflungsvoll, will schon die Waffen strecken.

      Als nun die Führer miteinander noch

      Rat suchten und nicht fanden – sich da stellte sich

      Ein seltsam Wunder unsern Augen dar!

      Denn aus der Tiefe des Gehölzes plötzlich

      Trat eine Jungfrau, mit behelmtem Haupt

      Wie eine Kriegesgöttin, schön zugleich

      Und schrecklich anzusehn, um ihren Nacken

      In dunkeln Ringen fiel das Haar, ein Glanz

      Vom Himmel schien die Hohe zu umleuchten,

      Als sie die Stimm erhub und also sprach:

      "Was zagt ihr, tapfre Franken! Auf den Feind!

      Und wären sein mehr denn des Sands im Meere,

      Gott und die heilge Jungfrau führt euch an!"

      Und schnell dem Fahnenträger aus der Hand

      Riß sie die Fahn und vor dem Zuge her

      Mit kühnem Anstand schritt die Mächtige.

      Wir, stumm vor Staunen, selbst nicht wollend, folgen

      Der hohen Fahn und ihrer Trägerin,

      Und auf den Feind gerad an stürmen wir.

      Der, hochbetroffen, steht bewegungslos

      Mit weitgeöffnet starrem Blick das Wunder

      Anstaunend, das sich seinen Augen zeigt —

      Doch schnell, als hätten Gottes Schrecken ihn

      Ergriffen, wendet er sich um

      Zur Flucht, und Wehr und Waben von sich werdend

      Entschart das ganze Heer sich im Gefilde,

      Da hilft kein Machtwort, keines Führers Ruf,

      Vor Schrecken sinnlos, ohne rückzuschaun,

      Stürzt Mann und Roß sich in des Flusses Bette,

      Und läßt sich würgen ohne Widerstand,

      Ein Schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen!

      Zweitausend Feinde deckten das Gefild,

      Die nicht gerechnet, die der Fluß verschlang,

      Und von den Unsern ward kein Mann vermißt.

      KARL. Seltsam bei Gott! höchst wunderbar und seltsam!

      SOREL. Und eine Jungfrau wirkte dieses Wunder?

      Wo kam sie her? Wer ist sie?

      RAOUL. Wer sie sei,

      Will sie allein dem König offenbaren.

      Sie nennt sich eine Seherin und Gotts

      Gesendete Prophetin, und verspricht

      Orleans zu retten, eh der Mond noch wechselt.

      Ihr glaubt das Volk und dürstet nach Gefechten.

      Sie folgt dem Heer, gleich wird sie selbst hiersein.

      (Man hört Glocken und Geklirr von Waffen, die aneinandergeschlagen

      werden)

      Hört ihr den Auflauf? Das Geläut der Glocken?

      Sie ists, das Volk begrüßt die Gottgesandte.

      KARL (zu Du Chatel). Führt sie herein —

      (zum Erzbischof) Was soll ich davon denken!

      Ein Mädchen bringt mir Sieg und eben jetzt,

      Da nur ein Götterarm mich retten kann!

      Das ist nicht in dem Laufe der Natur,

      Und darf ich – Bischof, darf ich Wunder glauben?

      VIELE STIMMEN (hinter der Szene).

      Heil, Heil der Jungfrau, der Erretterin!

      KARL. Sie kommt!

      (Zu Dunois) Nehmt meinen Platz ein, Dunois!

      Wir wollen dieses Wundermädchen prüfen,

      Ist sie begeistert und von Gott gesandt,

      Wird


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