Die Jungfrau von Orleans. Friedrich von Schiller

Die Jungfrau von Orleans - Friedrich von Schiller


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setzt sich, der König steht zu seiner Rechten, neben ihm Agnes Sorel, der Erzbischof mit den übrigen gegenüber, daß der mittlere Raum leer bleibt)

      ERSTER AUFZUG

      Zehnter Auftritt

      Die Vorigen. Johanna begleitet von den Ratsherren und vielen

      Rittern, welche den Hintergrund der Szene anfüllen; mit edelm

      Anstand tritt sie vorwärts, und schaut die Umstehenden der

      Reihe nach an

      DUNOIS (nach einer tiefen feierlichen Stille).

      Bist du es, wunderbares Mädchen —

      JOHANNA (unterbricht ihn, mit Klarheit und Hoheit ihn anschauend).

      Bastard von Orleans! Du willst Gott versuchen!

      Steh auf von diesem Platz, der dir nicht ziemt,

      An diesen Größeren bin ich gesendet.

      (Sie geht mit entschiedenem Schritt auf den König zu, beugt ein

      Knie vor ihm und steht sogleich wieder auf, zurücktretend. Alle

      Anwesenden drücken ihr Erstaunen aus. Dunois verläßt seinen Sitz

      und es wird Raum vor dem König)

      KARL. Du siehst mein Antlitz heut zum erstenmal,

      Von wannen kommt dir diese Wissenschaft?

      JOHANNA. Ich sah dich, wo dich niemand sah als Gott.

      (Sie nähert sich dem König und spricht geheimnisvoll)

      In jüngst verwichner Nacht, besinne dich!

      Als alles um dich her in tiefem Schlaf

      Begraben lag, da standst du auf von deinem Lager,

      Und tatst ein brünstiges Gebet zu Gott.

      Laß die hinausgehn und ich nenne dir

      Den Inhalt des Gebets.

      KARL. Was ich dem Himmel

      Vertraut, brauch ich vor Menschen nicht zu bergen.

      Entdecke mir den Inhalt meines Flehns,

      So zweifl ich nicht mehr, daß dich Gott begeistert.

      JOHANNA. Es waren drei Gebete, die du tatst,

      Gib wohl acht, Dauphin, ob ich dir sie nenne!

      Zum ersten flehtest du den Himmel an,

      Wenn unrecht Gut an dieser Krone hafte,

      Wenn eine andre schwere Schuld, noch nicht

      Gebüßt, von deiner Väter Zeiten her,

      Diesen tränenvollen Krieg herbeigerufen,

      Dich zum Opfer anzunehmen für dein Volk,

      Und auszugießen auf dein einzig Haupt

      Die ganze Schale seines Zorns.

      KARL (tritt mit Schrecken zurück).

      Wer bist du, mächtig Wesen?

      Woher kommst du?

      (Alle zeigen ihr Erstaunen)

      JOHANNA. Du tatst dem Himmel diese zweite Bitte.

      Wenn es sein hoher Schluß und Wille sei,

      Das Szepter deinem Stamme zu entwinden,

      Dir alles zu entziehn, was deine Väter,

      Die Könige in diesem Reich besaßen,

      Drei einzge Güter flehtest du ihn an

      Dir zu bewahren, die zufriedne Brust,

      Des Freundes Herz und deiner Agnes Liebe.

      (König verbirgt das Gesicht heftig weinend, große Bewegung des

      Erstaunens unter den Anwesenden. Nach einer Pause)

      Soll ich dein dritt Gebet dir nun noch nennen?

      KARL. Genug! Ich glaube dir! Soviel vermag

      Kein Mensch! Dich hat der höchste Gott gesendet.

      ERZBISCHOF. Wer bist du heilig wunderbares Mädchen!

      Welch glücklich Land gebar dich? Sprich! Wer sind

      Die gottgeliebten Eltern, die dich zeugten?

      JOHANNA. Ehrwürdger Herr, Johanna nennt man mich,

      Ich bin nur eines Hirten niedre Tochter

      Aus meines Königs Flecken Dom Remi,

      Der in dem Kirchensprengel liegt von Tour

      Und hütete die Schafe meines Vaters

      Von Kind auf – Und ich hörte viel und oft

      Erzählen von dem fremden Inselvolk,

      Das über Meer gekommen, uns zu Knechten

      Zu machen, und den fremdgebornen Herrn

      Uns aufzuzwingen, der das Volk nicht liebt,

      Und daß sie schon die große Stadt Paris

      Innhätten und des Reiches sich ermächtigt.

      Da rief ich flehend Gottes Mutter an,

      Von uns zu wenden fremder Ketten Schmach,

      Uns den einheimschen König zu bewahren.

      Und vor dem Dorf, wo ich geboren, steht

      Ein uralt Muttergottesbild, zu dem

      Der frommen Pilgerfahrten viel geschahn,

      Und eine heilge Eiche steht darneben,

      Durch vieler Wunder Segenskraft berühmt.

      Und in der Eiche Schatten saß ich gern,

      Die Herde weidend, denn mich zog das Herz.

      Und ging ein Lamm mir in den wüsten Bergen

      Verloren, immer zeigte mirs der Traum,

      Wenn ich im Schatten dieser Eiche schlief.

      – Und einsmals als ich eine lange Nacht

      In frommer Andacht unter diesem Baum

      Gesessen und dem Schlafe widerstand,

      Da trat die Heilige zu mir, ein Schwert

      Und Fahne tragend, aber sonst wie ich

      Als Schäferin gekleidet, und sie sprach zu mir:

      "Ich bins. Steh auf, Johanna. Laß die Herde.

      Dich ruft der Herr zu einem anderen Geschäft!

      Nimm diese Fahne! Dieses Schwert umgürte dir!

      Damit vertilge meines Volkes Feinde,

      Und führe deines Herren Sohn nach Reims,

      Und krön ihn mit der königlichen Krone!"

      Ich aber sprach: "Wie kann ich solcher Tat

      Mich unterwinden, eine zarte Magd,

      Unkundig des verderblichen Gefechts!"

      Und sie versetzte: "Eine reine Jungfrau

      Vollbringt jedwedes Herrliche auf Erden,

      Wenn sie der irdschen Liebe widersteht.

      Sich mich an! Eine keusche Magd wie du

      Hab ich den Herrn, den göttlichen, geboren,

      Und göttlich bin ich selbst!" – Und sie berührte

      Mein Augenlid, und als ich aufwärts sah,

      Da war der Himmel voll von Engelknaben,

      Die trugen weiße Lilien in der Hand,

      Und süßer Ton verschwebte in den Lüften.

      – Und so drei Nächte nacheinander ließ

      Die Heilige sich sehn, und rief: "Steh auf, Johanna,

      Dich


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