Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк

Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк


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was Sie verlangen. Sie sind an den Falschen gekommen. Ich habe kein Geld.“

      „Ich will sie nicht verkaufen“, sagte der Mann.

      Ich blickte wieder auf die Scheine. „Sind sie echt?“

      Er reichte sie mir, ohne zu antworten. Sie knisterten in meinen Händen. Sie waren echt. Sie zu besitzen war der Unterschied zwischen Untergang und Rettung. Selbst wenn ich sie nicht benutzen konnte, weil wir keine amerikanischen Visa hatten, konnte ich morgen vormittag noch versuchen, daraufhin welche zu bekommen – oder ich konnte sie zumindest verkaufen. Das bedeutete sechs Monate mehr Leben. Ich verstand den Mann nicht.

      „Ich verstehe Sie nicht“, sagte ich.

      „Sie können sie haben“, erwiderte er. „Umsonst. Ich verlasse Lissabon morgen vormittag. Ich habe nur eine Bedingung.“

      Ich ließ die Hände sinken. Ich hatte gewusst, dass es nicht wahr sein konnte. „Was?“ fragte ich.

      „Ich möchte diese Nacht nicht allein bleiben.“

      „Sie wollen, dass wir zusammenbleiben?“

      „Ja. Bis morgen früh.“

      „Das ist alles?“

      „Das ist alles.“

      „Sonst nichts?“

      „Sonst nichts.“

      Ungläubig blickte ich den Mann an. Ich war zwar daran gewöhnt, dass Leute unserer Art manchmal zusammenbrachen; dass sie oft nicht allein bleiben konnten; dass sie die Platzangst von Menschen bekamen, für die nirgendwo mehr Platz ist; und dass ein Genosse in einer Nacht, sei er auch noch so fremd, einen vor dem Selbstmord bewahren konnte; aber es war dann selbstverständlich, dass man sich half; man setzte keine Preise dafür aus. Und nicht solche. „Wo wohnen Sie?“ fragte ich.

      Er machte eine abwehrende Bewegung. „Dahin will ich nicht. Gibt es keine Kneipe, in der man noch sitzen kann?“

      „Es gibt sicher noch welche.“

      „Gibt es keine für Emigranten? So wie das Cafe de la Rose in Paris?“

      Ich kannte das Cafe de la Rose. Ruth und ich hatten dort zwei Wochen geschlafen. Der Wirt erlaubte es einem, wenn man einen Kaffee bestellte. Man brachte ein paar Zeitungen mit und legte sich auf den Boden. Ich hatte nie auf den Tischen geschlafen; vom Fußboden konnte man nicht herunterfallen.

      „Ich weiß keines“, erwiderte ich. Ich wusste eines; aber man führt einen Mann, der zwei Schiffskarten verschenken wollte, nicht dahin, wo Leute ein Auge hergegeben hätten, um sie zu bekommen.

      „Ich kenne hier nur ein einziges Lokal“, sagte der Mann. „Aber wir können es versuchen. Vielleicht ist es noch offen.“

      Er winkte ein einsames Taxi heran und sah mich an.

      „Gut“, sagte ich.

      Wir stiegen ein, und er nannte dem Chauffeur eine Adresse. Ich hätte gern Ruth noch benachrichtigt, dass ich die Nacht nicht zurückkäme; aber plötzlich, als ich in das schlecht riechende, dunkle Taxi einstieg, sprang mich eine so wilde, entsetzliche Hoffnung an, dass ich fast taumelte. Vielleicht war dies alles wirklich wahr; vielleicht war unser Leben noch nicht zu Ende, und das Unmögliche wurde Tatsache: unsere Rettung. Ich getraute mich nicht mehr, den Fremden auch nur eine Sekunde allein zu lassen.

      Wir umfuhren die theatralische Kulisse der Praca do Comercio und kamen nach einiger Zeit in ein Gewirr von Treppen und Gassen, die aufwärts führten. Ich kannte diesen Teil Lissabons nicht; ich kannte, wie immer, hauptsächlich die Kirchen und die Museen – nicht weil ich Gott oder die Kunst so liebte, sondern einfach, weil man in Kirchen und Museen nicht nach seinen Papieren gefragt wurde. Vor dem Gekreuzigten und den Meistern der Kunst war man noch Mensch – nicht ein Individuum mit zweifelhaften Ausweisen.

      Wir verließen das Taxi und stiegen die Treppen und winkligen Gassen empor. Es roch nach Fischen, Knoblauch, Nachtblumen, toter Sonne und Schlaf. Das Kastell St. George wuchs im steigenden Mond zur Seite aus der Nacht, und das Licht stürzte wie ein Wasserfall in Kaskaden die vielen Stufen hinab. Ich wandle mich um und sah zum Hafen hinunter. Da unten war der Fluss, und der Fluss war die Freiheit, er war das Leben, er mündete in das Meer, und das Meer war Amerika.

      Ich blieb stehen. „Ich hoffe, Sie machen keine Scherze mit mir“, sagte ich.

      „Nein“, erwiderte der Mann.

      „Keine Scherze mit den Schiffskarten, meine ich.“ Er hatte sie auf dem Quai wieder in seine Tasche gesteckt,

      „Nein“, sagte der Mann, „ich mache keine Scherze.“ Er zeigte auf einen kleinen Platz, der von Bäumen eingefasst war.,,Da drüben ist das Lokal, das ich meine. Es ist noch offen. Wir fallen nicht auf. Es kommen fast nur Ausländer dahin. Man wird uns für Leute halten, die morgen reisen werden. So wie die andern, die dort ihre letzte Nacht in Portugal feiern und morgen aufs Schiff gehen.“

      Das Lokal war eine Art von Bar mit einem kleinen Viereck zum Tanzen und einer Terrasse, ein Platz, zurechtgemacht für den Touristenverkehr. Man hörte eine Gitarre und sah im Hintergrund eine Fadosängerin*. Auf der Terrasse waren einige Tische mit Fremden besetzt. Eine Frau in einem Abendkleid und ein Mann in einem weißen Smoking waren dabei. Wir fanden einen Platz am Ende der Terrasse. Man konnte auf Lissabon hinabsehen, auf die Kirchen im blassen Licht, die erleuchteten Straßen, den Hafen, die Docks und auf das Schiff, das eine Arche war.

      „Glauben Sie an ein Weiterleben nach dem Tode?“ fragte der Mann mit den Billetts.

      Ich blickte auf. Ich hätte alles andere erwartet. Es war eine zu unvermutete Frage. „Ich weiß es nicht“, erwiderte ich schließlich. „Ich war in den letzten Jahren zu sehr mit dem Weiterleben vor dem Tode beschäftigt. Wenn ich in Amerika bin. werde ich gern darüber nachdenken“, fügte ich hinzu, um ihn daran zu erinnern, dass er mir die Billetts versprochen hatte.

      „Ich glaube nicht daran“, sagte er.

      Ich atmete auf. Ich war bereit, einem Unglücklichen zuzuhören, aber ich hätte nicht gern diskutiert. Ich hatte keine Ruhe dazu. Unten lag das Schiff.

      Der Mann saß eine Zeitlang da, als schliefe er mit offenen Augen. Dann, als der Gitarrespieler auf die Terrasse kam, wachte er auf. „Ich heiße Schwarz“, sagte er. „Es ist nicht mein richtiger Name; er ist der, der auf meinem Pass steht. Aber ich habe mich an ihn gewöhnt, und er wird für heute nacht genügen. Waren Sie lange in Frankreich?“

      „Solange es ging.“

      „Interniert?“

      „Als der Krieg ausbrach. Wie alle andern.“

      Der Mann nickte. „Wir auch. Ich war glücklich“, sagte er dann plötzlich leise und rasch, den Kopf gesenkt, die Augen abgewandt. „Ich war sehr glücklich. Glücklicher, als ich je geglaubt hätte, sein zu können.“

      Ich drehte mich überrascht um. Er sah wahrhaftig nicht so aus. Er wirkte eher wie ein mittelmäßiger, etwas schüchterner Mann.

      „Wann?“ fragte ich. „Etwa im Lager?“

      „Im letzten Sommer.“

      „1939? In Frankreich?“

      „Ja. Im Sommer vor dem Kriege. Ich begreife jetzt noch nicht, wie alles kam. Deshalb muss ich mit jemand darüber reden. Ich kenne niemand hier. Wenn ich mit jemand darüber rede, wird es noch einmal dasein. Es wird mir dann ganz klar werden. Und es wird bleiben. Ich muss es nur noch einmal…“ Er brach ab. „Verstehen Sie?“ fragte er nach einer Weile.

      „Ja“, erwiderte ich und fügte behutsam hinzu: „Es ist nicht schwer zu verstehen, Herr Schwarz,“ „Es ist überhaupt nicht zu verstehen!“ erwiderte er, plötzlich heftig und leidenschaftlich. „Sie liegt da unten in einem Zimmer, in dem die Fenster geschlossen sind, in einem scheußlichen Holzsarg, tot, und sie ist es nicht mehr! Wer kann das verstehen? Niemand! Sie nicht und ich nicht, und niemand, und wer sagt, er verstehe es, der lügt!“

      Ich schwieg und wartete. Ich hatte schon öfter so mit jemand gesessen, Verluste waren schwerer durchzustehen, wenn man ohne eigenes Land war. Nichts stützte einen dann, und


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