Ehre wem Ehre gebührt. Морган Райс
Sommertag.
Royces Brüder tauchten hinter ihm auf, klopften ihm auf die Schulter, und schon machten sich die vier auf ihren eigenen Weg in die entgegengesetzte Richtung den Hügel hinab.
„Komm schon du verliebter Vogel!“ sagte Raymond. Der älteste Bruder war Royce wie ein Vater. „Das kann noch bis heute Abend warten!“
Seine beiden anderen Brüder lachten.
„Sie hat dich wirklich am Haken“, fügte Lofen hinzu, der mittlere von ihnen, der kleiner und gedrungener war als die anderen.
„Es gibt keine Hoffnung für dich“, stimmte Garet mit ein. Als Jüngster von ihnen war er nur wenige Jahre älter als Royce und stand diesem am nächsten. Allerdings stand er mit ihm auch am deutlichsten im Konkurrenzkampf. „Noch nicht einmal verheiratet und schon verloren.“
Die drei lachten und wollten ihn damit aufziehen. Royce stimmte mit ein als sie sich auf den Weg zur Feldarbeit begaben. Er blickte noch einmal über seine Schulter und erhaschte einen letzten Blick auf Genoveva, die den Hügel hinablaufend verschwand. Sein Herz hüpfte als auch sie sich noch einmal nach ihm umwandte und ihm von weit weg ein Lächeln schenkte. Ihr Lächeln rührte seine Seele.
Heute Abend, meine Liebe, dachte er. Heute Abend.
Genoveva arbeitete auf den Feldern, hob und schwang umgeben von etwa einem dutzend Schwestern und Cousinen ihre Sense. Sie alle waren an diesem denkwürdigen Tag bester Laune, und Genoveva nur mit halbem Herzen bei der Arbeit. Sie hielt immer wieder inne, nachdem sie einige Male die Sense geschwungen hatte und stützte sich auf ihren langen Schaft während sie in den blauen Himmel blickte, die grandiosen gelben Felder betrachtete und an Royce dachte. Jedes Mal schlug ihr Herz dabei schneller. Heute war der Tag, von dem sie seit Kindertagen geträumt hatte. Es war der wichtigste Tag in ihrem Leben. Nach dem heutigen Tage würden sie und Royce für immer zusammenleben; nach dem heutigen Tage würden sie ihr eigenes kleines Häuschen beziehen, ein einfaches Ein-Raum-Häuschen am Rande der Felder, ein bescheidenes Plätzchen, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten. Es wäre ein Neubeginn in ihren Rollen als Mann und Frau.
Genoveva strahlte bei dem Gedanken. Nichts hatte sie jemals sehnlicher gewollt, als mit Royce zusammen zu sein. Er war immer an ihrer Seite gewesen seitdem sie ein Kind gewesen war, und sie hatte nie für einen anderen Augen gehabt. Auch wenn er der jüngste der vier Brüder war, so hatte sie stets das Gefühl gehabt, dass Royce etwas Besonderes hatte, das ihn von allen anderen, die sie getroffen hatte, unterschied. Sie wusste nicht genau, worin genau dieser Unterschied bestand, und sie vermutete, dass auch er es nicht wusste. Doch sah sie etwas in ihm, etwas, das größer war als dieses Dorf, dieser Landstrich. Es war ihr, als läge sein Schicksal andernorts.
„Und was wird aus seinen Brüdern?“ fragte eine Stimme.
Genoveva kehrte in die Gegenwart zurück. Sie drehte sich zu der kichernden Sheila ihrer ältesten Schwester, hinter der zwei ihrer Cousinen standen.
„Er hat immerhin drei! Die kannst du unmöglich alle haben!“ setzte sie lachend hinzu.
„Ja worauf wartest du?“ stimmte ihre Cousine zu. „Wir warten darauf, vorgestellt zu werden.“
Genoveva lachte.
„Ich habe euch bereits vorgestellt“, antwortete sie. „Viele Male.“
„Das reicht nicht!“ erwiderte Sheila während die anderen lachten.
„Sollte deine Schwester nicht seinen Bruder heiraten?“
Genoveva lächelte.
„Es gäbe nichts schöneres für mich“, antwortete sie. „Aber ich kann nicht an ihrer Stelle sprechen. Ich kenne nur Royces Herz.“
„Überzeuge sie!“ drängte eine andere ihrer Cousinen.
Genoveva lachte erneut. „Ich werde mein Bestes geben.“
„Und was wirst du tragen?“ rief ihre Cousine dazwischen. „Du hast noch immer nicht entschieden, welches Kleid du – “
Ein Geräusch, das plötzlich durch die Luft zu ihnen drang, eines bei dem Genoveva sofort unwohl zumute wurde, veranlasste sie ihre Sense sinken zu lassen und sich dem Horizont zuzuwenden. Sie wusste, noch bevor sie es ganz verstanden hatte, dass es ein unheilvolles Geräusch war, eines das Ärger bedeuten würde.
Sie drehte sich um und starrte auf den Horizont, und als sie das tat, fanden ihre größten Ängste Bestätigung. Das Geräusch von Getrappel wurde hörbar. Ein Gefolge aus Pferden tauchte auf dem Hügel auf. Ihr Herz stockte als sie die Reiter sah, die in feinste Seide gekleidet, ein grüngoldenes Banner trugen, in dessen Mitte ein Bär prangte und das Haus Nors ankündigten.
Die Adligen kamen.
Genoveva machte dieser Anblick wütend. Diese habgierigen Männer hatten ihrer Familie und allen anderen Bauernfamilien einen Zehnten nach dem anderen abgenommen. Sie hatten alles genommen, was sie kriegen konnten und lebten wie Könige. Und immer noch war es nicht genug.
Genoveva sah, wie sie heranritten, und sie betete mit ganzer Seele, dass sie einfach vorbeireiten und nicht zu ihnen kommen würden. Allerdings hatte sie sie viele Sonnenzyklen nicht mehr in diesen Feldern gesehen.
Genoveva musste zu ihrem Entsetzen mitansehen, wie sie plötzlich drehten und auf sie zu ritten.
Nein, bat sie still. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht heute.
Doch sie ritten und ritten, kamen näher und näher ganz klar auf sie zu. Die Kunde von ihrer Hochzeit musste sich verbreitet haben, und das ermunterte sie, zuzugreifen bevor es zu spät war.
Die anderen Mädchen scharten sich instinktiv um sie. Sheila drehte sich zu ihr und umklammerte wie wild ihren Arm.
„LAUF!“ befahl sie ihr und schubste sie.
Genoveva drehte sich um und erblickte das offene kilometerweite Feld vor sich. Sie wusste, dass es irrsinnig gewesen wäre – sie würde nicht weit kommen. Sie würden sie trotzdem einfangen – jedoch ohne Würde.
„Nein“, antwortete sie ruhig und gelassen.
Sie umklammerte den Griff ihrer Sense und hielt sie vor sich.
„Ich werde ihnen entgegentreten.“
Sie sahen sie verblüfft an.
„Mit deiner Sense?“ fragte ihre Cousine ungläubig.
„Vielleicht kommen sie ohne böse Absicht“, pflichtete eine andere Cousine ihr bei.
Doch Genoveva sah sie herannahen und langsam schüttelte sie ihren Kopf.
„Nein, das tun sie nicht“, antwortete sie.
Sie sah, wie sie näherkamen und wartete darauf, dass sie langsamer würden – doch zu ihrer Überraschung hielten sie das Tempo. In ihrer Mitte ritt Manfor, ein höhergestellter Adliger um die zwanzig, den sie verachtete. Er war Herzog des Königreiches, ein Junge mit vollen Lippen, hellen Augen, goldenen Locken und einem höhnischen Lächeln auf den Lippen. Es war als würde er permanent auf die Welt hinabblicken.
Sie kamen noch näher und Genoveva sah das grausige Grinsen in seinem Gesicht und seinen Blick, der über ihren Körper glitt, als wäre er ein Stück Fleisch. Sie waren weniger als zwanzig Meter entfernt, da hob Genoveva ihre Sense und machte sich bereit.
„Sie werden mich nicht mitnehmen“, seufzte sie resignierend und an Royce denkend. Jetzt wünschte sie ihn sich mehr als alles andere an ihrer Seite.
„Genoveva tu das nicht“, schrie Sheila.
Genoveva rannte mit erhobener Sense auf sie zu. Adrenalin schoss durch ihre Adern. Sie wusste nicht, woher sie den Mut nahm, doch sie brachte ihn auf. Sie stürmte mit kampfbereiter Sense auf sie zu und ließ sie auf den ersten Adligen, der ihr in die Quere kam, niedergehen.
Doch sie waren zu schnell. Sie ritten wie der Donner und als sie die Sense niederschwang, da hob einer von ihnen seinen Stock, schwang diesen und schlug ihr die Sense aus der Hand. Sie spürte den schrecklichen Widerstand bis in ihre Hand hinein und musste mitansehen, wie ihre Waffe durch die Luft flog und in einem