Ein Reich der Schatten. Морган Райс
Erinnerung war. Auf der Ostseite hatte seine Flotte das Meer der Tränen eingenommen und alle Hafenstädte entlang der Küste zerstört. Mit Esephus hatten sie begonnen. Nur wenige Meter Escalons lagen noch außerhalb seiner Reichweite.
Und das Beste war, dass Escalons trotziger Kommandant Duncan, der Volksverhetzer, der mit dem Ganzen angefangen hatte, nun als Ras Gefangener im Kerker saß. Tatsächlich, als Ra nach draußen schaute und den Sonnenaufgang durchs Fenster betrachtete, wurde ihm beim Gedanken daran Duncan persönlich zum Galgen zu führen vor Aufregung ganz schwindlig. Er würde selbst das Seil ziehen und ihm beim Sterben zusehen. Er lächelte bei diesem Gedanken. Heute würde ein schöner Tag werden.
Ras Sieg war an allen Fronten erfolgreich – und doch fühlte er sich immer noch nicht erfüllt. Er saß dort, hörte tief in sich hinein und versuchte sein Gefühl von Unzufriedenheit zu verstehen. Er hatte alles was er wollte. Was nagte noch an ihm?
Ra hatte sich noch nie erfüllt gefühlt, nicht bei einem seiner Feldzüge und noch nie in seinem ganzen Leben. Es hatte immer etwas in ihm gebrannt, das mehr und mehr wollte. Und sogar jetzt konnte er es spüren. Was konnte er noch tun, um seine Wünsche zu erfüllen? fragte er sich. Was konnte er tun, damit sich sein Sieg wirklich vollständig anfühlte?
Langsam keimte ein Plan in ihm auf. Er könnte jeden Mann, jede Frau und jedes Kind, die noch in Escalon übrig waren umbringen. Er könnte zuerst die Frauen vergewaltigen und die Männer foltern. Er lächelte breit. Ja, das würde helfen. Eigentlich könnte er direkt damit anfangen.
Ra sah zu seinen Beratern hinunter, hunderte seiner besten Männer, die alle vor ihm mit gesenkten Köpfen knieten. Keiner von ihnen wagte den Augenkontakt. Sie alle starrten lautlos auf den Boden, so wie es ihnen befohlen worden war. Denn nach allem, hatten sie das Glück sich in der Gegenwart eines Gottes wie ihm aufhalten zu dürfen.
Ra räusperte sich.
„Bringt mir die zehn schönsten Frauen, die es in Escalon noch gibt“, befahl er. Seine tiefe Stimme dröhnte durch den Saal.
Einer seiner Diener senkte den Kopf soweit herab, dass er den Marmorboden berührte.
„Ja, mein Herr!“ sagte er und drehte sich um.
Als der Diener gerade die Tür erreichte ging diese auf einmal auf und ein weiterer Diener stürmte hektisch in den Saal und rannte direkt auf Ras Thron zu. Alle anderen im Raum keuchten vor Angst. Niemand traute sich einfach in einen Raum einzutreten und noch viel weniger sich Ra ohne eine formale Einladung zu nähern. Und wenn doch, dann bedeutete das den sicheren Tod.
Der Diener stürzte sich mit dem Gesicht zuerst zu Boden und Ra starrte angewidert auf ihn nieder.
„Tötet ihn!“ befahl er.
Sofort stürzten mehrere seiner Soldaten nach vorne und ergriffen den Mann. Sie zogen ihn mit sich. Er zappelte und schrie: „Wartet, mein mächtiger Herr! Ich komme mit dringenden Neuigkeiten – Neuigkeiten, die Ihr sofort hören müsst.“
Ra ließ den Mann wegbringen, ihn interessierten die Neuigkeiten nicht. Der Mann zappelte den ganzen Weg und als sie fast schon zur Tür heraus waren schrie er:
„Duncan ist ausgebrochen!“
Ra fühlte, wie ihn der Schock durchfuhr, er hob eine Hand und ließ die Männer, die den Botschafter festhielten, anhalten.
Missmutig verarbeitete Ra langsam die Neuigkeiten. Er stand dort und atmete tief ein. Er lief die elfenbeinernen Stufen hinunter, nahm eine nach der anderen und seine goldenen Stiefel hallten durch den Saal, als er diesen vollständig durchschritt. Die Atmosphäre im Raum war still und angespannt. Endlich erreichte er den Boten. Mit jedem weiteren Schritt konnte Ra die Wut spüren, die in ihm aufstieg.
„Wiederhole es!“ befahl Ra mit dunkler und bedrohlicher Stimme.
„Es tut mir sehr leid, mein großer und heiliger höchster Herr“, sagte er mit zitternder Stimme, „aber Duncan ist geflohen. Jemand hat ihn aus den Kerkern befreit. Unsere Männer verfolgen ihn bereits in diesem Moment während wir hier sprechen!“
Ra fühlte wie sein Gesicht rot wurde und wie das Feuer in ihm brannte. Er ballte seine Fäuste. Er würde es nicht zulassen. Er würde es sich selbst nicht gestatten das letzte Stück Genugtuung, was er verspürte zu verlieren.
„Danke, für das Überbringen der Neuigkeiten“, sagte Ra.
Ra lächelte und für einen Moment sah der Botschafter entspannt aus, er begann sogar zurück zulächeln und sich vor Stolz aufzuplustern.
Ra belohnte ihn tatsächlich. Er trat nach vorne und legte langsam seine Hände um den Nacken des Mannes und drückte fester und fester. Die Augen des Mannes beulten sich aus dem Schädel, dieser holte nach oben aus und ergriff Ras Handgelenke – aber er war nicht in der Lage sich von Ras Händen zu befreien. Ra wusste, dass der Mann es nicht schaffen würde.
Denn nach allem war er nur ein Mann und Ra war der große und heilige Ra, der Mann, Der Einmal ein Gott Gewesen War.
Der Botschafter kollabierte und fiel tot zu Boden. Aber es hatte Ra ein wenig Genugtuung verschafft.
„Männer!“ dröhnte Ra.
Seine Kommandanten wurden aufmerksam und sahen ihn angstvoll an.
„Versperrt jeden Ausgang der Stadt! Sendet jeden Soldaten aus, wir müssen diesen Duncan finden. Und wenn ihr gerade dabei seid, dann bringt jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in Escalons Stadt um. GEHT!“
„Ja, höchster Herr!“ antworteten die Männer aus einem Munde.
Sie rannten alle aus dem Saal, fielen und stolperten übereinander her, jeder wollte Ras Befehl zuerst ausführen.
Ra drehte sich wütend um und nahm einen tiefen Atemzug, als er den nun leeren Saal durchquerte. Er ging auf den großen Balkon und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen.
Ra trat nach draußen und fühlte die frische Luft während er die chaotische Stadt unter sich betrachtete. Seine Soldaten, stellte er zufrieden fest, nahmen den größten Teil von ihr ein. Er fragte sich, wo Duncan wohl sei. Er bewunderte ihn, das musste er ihm lassen; vielleicht konnte er sich sogar selbst ein wenig in ihm wiedererkennen. Trotzdem würde Duncan lernen müssen, was es hieß dem großen Ra in die Quere zu kommen. Er würde den Tod gnädig annehmen. Auch er würde, wie der Rest der Welt, lernen sich zu unterwerfen.
Auf einmal ertönten von unten Schreie und Ra sah wie seine Männer ihre Schwerter und Speere in die Rücken von nichtsahnenden Frauen und Kindern stachen. So wie befohlen begannen die Straßen sich mit Blut zu füllen. Ra seufzte zufrieden und fand Genugtuung darin. All diese Escalonier würden daraus eine Lehre ziehen. Er handhabte es immer gleich, egal wohin er auch ging, egal welches Land er eroberte sie würden für die Sünden ihres Kommandanten bezahlen müssen.
Auf einmal durchschnitt ein plötzliches Geräusch die Luft. Es war sogar lauter als die angsterfüllten Schreie von unten und es schreckte Ra aus seiner Träumerei auf. Er wusste nicht, was es war oder warum es ihn so sehr erschreckte. Es war ein tiefes, dunkles Rumpeln, welches ihn an Donner erinnerte.
Gerade als er sich fragte, ob er es wirklich gehört hatte, ertönte das Geräusch wieder und er realisierte, dass es nicht von unten – sondern vom Himmel kam.
Ra sah verdutzt nach oben und blinzelte fragend in die Wolken. Das Geräusch ertönte wieder und wieder und er wusste diesmal, dass es sich nicht um Donner handelte. Es war etwas viel Unheilvolleres.
Als er die aufgewirbelten, grauen Wolken absuchte sah Ra plötzlich etwas, was er nie vergessen würde. Er blinzelte, sicher, dass er es sich eingebildet hatte. Aber sooft er auch wegsah änderte sich nichts an der näherkommenden Bedrohung.
Drachen. Eine ganze Horde.
Sie gingen mit ausgestreckten Krallen und erhobenen Flügeln feuerspeiend auf Escalon nieder. Und kamen genau auf ihn zu.
Bevor er es überhaupt verarbeiten konnte, standen bereits hunderte seiner Soldaten vom Feueratem der Drachen schreiend in Flammen. Weitere hundert ächzten als die Drachen sie in Stücke rissen.
Während er dort panisch und ungläubig stand, fixierte ihn