Hotel Amerika. Maria Leitner

Hotel Amerika - Maria Leitner


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Frühstückstische werden von allen mit Interesse betrachtet, sogar von Fräulein Wesley und Frau Magpag. Sie sind aber auch entschieden sehenswert. In einer schlanken Vase steht eine Blume in der Mitte des Tisches, um kundzutun, dass hier nicht nur auf materielle Genüsse Wert gelegt wird. Die gerösteten Brote liegen zwischen weißen Servietten, wie kleine Babies liebevoll zugedeckt. Der Kaffee in den silbernen Kannen duftet angenehm und aromatisch und scheint nicht die geringste Verwandtschaft mit dem gleichnamigen und gleichfarbigen Gebräu, das in der Angestelltenküche gereicht wird, zu haben. Die Schlagsahne schmiegt sich in zierliche Silberschälchen, während die Milch in einem schön geschwungenen Kristallglas serviert wird. Erdbeeren liegen rosig zwischen grünen Blättern, frische Pfirsiche, das goldgelbe Fleisch sorgfältig aufgeschnitten, noch mit den blutroten Spuren der abgetrennten Kerne, liegen aufgeschichtet daneben. Braungekräuselter, dünngeschnittener Speck, gebratene Würstchen und geröstete Hammelkoteletts, mit weißen, gekräuselten Papiermanschetten verziert, ruhen, wie es sich gehört, unter schützenden silbernen Schalen, die aber von Zeit zu Zeit von Neugierigen aufgehoben werden. Die Kellner müssen allerlei Späße anhören, die sich auf die reich gedeckten Tische beziehen, aber auch Begehrlichkeiten wehren, die sich gegen diese Tische richten.

      Sogar Fräulein Wesley flötet jedes Mal, wenn sie einen Frühstückstisch vorbeischweben sieht, den Kellnern freundlich zu: »Vergessen Sie mich nicht, mein Lieber, wenn etwas Kaffee übrig bleibt, ich habe solchen Durst.«

      Aber sie hat nur selten Gelegenheit, ihn zu stillen; es kommt nicht oft vor, dass von den Gästen etwas verschmäht wird. Sogar Frau Magpag verliert beim Anblick der Tische ihre Würde und notiert sich die Nummern der Zimmer, in denen sie verschwinden. Auf diese behält sie ein Auge, und sie ist die erste, die nachkontrolliert, sobald die Gäste das Zimmer verlassen.

      Aber leider wird auch Frau Magpags Aufmerksamkeit selten belohnt. Ja, der Appetit der Gäste ist staunenswert. Ingrid nimmt ihren Zimmerbestand auf. Sie notiert auf einem Zettel die freien Zimmer, meldet Fräulein Wesley, wenn jemand auswärts geschlafen hat und prüft dann, aus welchen Zimmern die Gäste schon ausgegangen sind. Zu diesem Zweck ist an jedem Schloss ein Knopf angebracht. Kann man ihn herunterziehen, so ist das ein Zeichen, dass von innen kein Schlüssel in dem Schloss steckt; ist ein Schlüssel drin, bleibt der Knopf unbeweglich. »Die Leute sollten wirklich nicht vergessen, dass sie ihre Schlüssel nicht abziehen dürfen, wenn sie zu Hause sind«, sagte Ingrid zu dem dänischen Kellner, der gerade mit einem besonders reichgedeckten Tisch in ein Zimmer wollte. »Es ist schrecklich, wenn man plötzlich in ein Zimmer gerät und die Bewohner sind noch drin, die sich allein und ungestört glauben. Wirklich, man müsste eine Tafel anbringen und die Gäste darauf aufmerksam machen, wie sie sich einschließen sollen.«

      »Als ob die sich viel daran kehren würden, ob wir sie sehen oder nicht! Der Kerl, zu dem ich mit der großen Bestellung gehe, hat sicher wieder zwei Weiber in seinem Bett. Nun, wenn er ein gutes Trinkgeld gibt, kann er meinetwegen auch tun was er will, sonst mache ich Krach.«

      »Wenn er seine Rechnungen bezahlt, kannst du lange Krach machen, dann darf er tun, was er will.«

      »Na, ich werde ihn schon so ansehen, dass er das Trinkgeld nicht vergisst.«

      »Also viel Glück!«

      »Wenn sie etwas übriglassen, werde ich an dich denken, Kleines.«

      Celestina ist heute der Sektion Ingrids zugeteilt und hat die Badezimmer gründlich zu reinigen, während Ingrid die Zimmer in Ordnung bringt.

      Dieser Teil ihres Tagewerks beginnt in einem Zimmer, das zu den merkwürdigsten Räumlichkeiten des Hotels Amerika gehört. Hier wohnt eine alte Frau, eine Kaffeeplantagenbesitzerin aus Westindien, die ihr Zimmer in einen Miniatururwald verwandelt hat: mit zwei Palmen, einem Affen, der auf diesen Palmen umherklettert, einem Papagei und einem weißen Kakadu. Vor allem aber gibt es, dank dieser Tiere, sehr viel Schmutz, den die Besitzerin nur nach einem gewissen Plan wegräumen lässt. Es gibt in diesem Zimmer ›Wege‹, die rein zu sein haben, alles andere ist »Wald«, und hier soll der ›Naturzustand‹ aufrechterhalten bleiben.

      Die alte Frau beaufsichtigt selbst die Reinigungsarbeiten und schimpft mit einer Stimme, die der des Papageis ähnelt. »Du kannst keinen Besen richtig halten!« schreit sie Ingrid an.

      Ingrid kostet es Mühe, ihr nicht ins Gesicht zu lachen. Die Alte folgt dann Celestina ins Badezimmer. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtet sie, wie Celestina die Wanne reinigt.

      »Da sieht man, warum du nie auf einen grünen Zweig kommst. Du bist viel zu verschwenderisch, du brauchst viel zu viel Seife. Ihr jammert immer, dass ihr arm seid, aber wie man sparen muss, das lernt ihr auch auf eure alten Tage nicht.«

      Celestina schweigt. Oberster Grundsatz des Hotels Amerika ist: die Gäste haben immer recht.

      Die Alte schimpft weiter. Da ihre Gesellschafterinnen immer wieder ausrücken, benutzt sie die halbe Stunde des Zimmeraufräumens, um ihren Herrschergelüsten freien Lauf zu lassen. Sonst kommandiert sie ihre Tiere, aber an ihnen kann sie nie ein Zeichen von Unwillen wahrnehmen. Jetzt, da sie in Celestinas Gesicht eine leise Röte aufsteigen sieht, ist sie zufrieden.

      »Nun, du brauchst dich nicht gleich zu ärgern, wenn man dich belehren will.«

      Dann beginnt sie fieberhaft in einem Schreibtischfach zu suchen und drückt endlich mit großartiger Gebärde ein Zehncentstück in Celestinas Hand.

      Diese Zehncentstücke, die sie in seltenen Fällen zu verteilen pflegte, hatten ihr von dem Personal den Spitznamen ›der weibliche Rockefeller‹ eingebracht.

      »Hat sie dir wieder ein ›dime‹ gegeben? Sie ist doch so reich. Fräulein Wesley erzählt, dass auf ihrer Plantage viele hundert Neger arbeiten. Vor ein paar Tagen gab es sogar einen kleinen Auf stand. Fräulein Wesley hat gerade die Nachricht aufgenommen, als ich abends Inspektion hatte.«

      »Was meinst du, wie viel Geld die Alte zahlen muss, um sich hier solche Verrücktheiten zu erlauben? Es wohnen hier auch andere, die nicht richtig im Kopf sind, aber sie müssen sich mit ihrem Steckenpferd doch anpassen, kein anderer dürfte das Parkett so zuschanden machen.«

      »Ach, ich habe vergessen, meinen ›Brief‹ nachzusehen.« Frau Magpag hat die wenig beliebte Gewohnheit, allen Stubenmädchen der Etage die kleinen Verfehlungen, den Mangel an Vollkommenheit, den sie beim Reinigen der Zimmer zeigen, auf einer langen Liste aufzuschreiben. Wenn die Haushälterin ein Zimmer inspiziert, entgeht nichts ihren Späheraugen.

      Ingrid buchstabiert mit Schwierigkeit den Zettel, das Englischlesen fällt ihr noch schwer.

      »Du meine Güte, was habe ich alles verbrochen! Allein in Nummer 17: Die Nickelknöpfe des Wandspiegels glänzen nicht, im Spucknapf ist nicht genug Wasser, es fehlen Ersatzstecknadeln, das kleine Löschpapier ist zu stark gebraucht, auf dem Schrank liegt Staub, die kleine Tischdecke muss gewechselt werden, – das geht ja noch weiß Gott wie lange weiter! Frau Magpag gibt mir für eine Stunde Lesestoff.«

      »Ja, die Haushälterinnen müssen zeigen, wie notwendig sie sind.«

      »Sie schreibt an alle ihre Briefchen; ich glaube, sie schläft nachts nicht. Sicher denkt sie an nichts weiter, als an die Zimmer, und ob nicht achtzehn Stecknadeln in einem Zimmer sind statt zwanzig und nur fünf reine Handtücher statt sechs.«

      »Sie ist eben die Haushälterin und muss daran denken.«

      »Aber sie verdient auch nur fünfzehn Dollar die Woche und muss noch länger arbeiten als wir.«

      »Sie bekommt aber besseres Essen und isst am gedeckten Tisch.«

      »Ja, sie steht über uns; sie ist Vorgesetzte … Ob das ein angenehmes Gefühl ist?«

      »Das wirst du wahrscheinlich nie erfahren, ein Stubenmädchen wird selten Haushälterin.«

      »Will ich ja gar nicht werden, ich denke nur nach, wie es sein mag, etwas anderes zu sein, als man ist.«

      »Aus mir kann nie etwas anderes werden, als was ich bin: eine Scheuerfrau.«

      »Das Dumme ist, ich weiß, es nützt mir nichts, und doch muss ich oft an die Arbeit denken, auch wenn ich schon frei bin. Sogar im Traum hatte ich heute Angst,


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