Hotel Amerika. Maria Leitner

Hotel Amerika - Maria Leitner


Скачать книгу
der Zimmerbewohnerin verrät. Ein Gebetbuch liegt mit dem Theaterprogramm zusammen, die Puderdose mit einem goldenen Kreuz, ein Rosenkranz neben dem Lippenstift.

      »Sie ist wenigstens reinlich«, sagt Celestina, »die Badewanne ist sauber.«

      »Aber Celestina, vielleicht hat sie gar nicht gebadet?«

      »Das ist mir ganz gleich, die Hauptsache ist, dass die Wanne ganz rein ist.«

      »Und für mich ist es die Hauptsache, dass sie den Puder nicht ins ganze Zimmer verstreut.«

      »Ob die wohl reich ist?«

      »Wenn sie eine wirklich Reiche wäre, würde sie nicht dieses billige Zimmer bewohnen, und dann würde sie auch kein Gebetbuch haben.«

      Beim nächsten Zimmer hat Ingrid keine Zweifel über den Reichtum der Bewohnerin. »Die hat bestimmt viel Geld.«

      Sie beginnt die Schuhe zu zählen, die den Boden des ganzen Wandschrankes bedecken.

      »Soviel Schuhe werde ich in meinem ganzen Leben nicht besitzen, auch wenn ich noch so alt werde und meine Babyschuhe noch mitrechne.«

      »Hör auf mit dem Zählen, du machst dir auch Arbeit, die du nicht unbedingt nötig hast.«

      »Schau, Celestina, wie viel Kleider und Mäntel! Wie würde ich aussehen, wenn ich solche Kleider trüge? Besser als die Frau, der sie gehören. Ich hab' sie einmal gesehen. Fabelhaft elegant angezogen, – aber schön war sie doch nicht.

      Celestina, wenn du die Tür bewachen und darauf achten wolltest, dass Frau Magpag nicht hereinkommt, möchte ich schnell dieses Abendkleid anprobieren.«

      »Du bist wohl ganz verrückt! Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte! Du wirst dir auch allerlei dumme Gedanken in den Kopf setzen, genau wie Shirley. Ihr seht all die schönen Sachen und denkt an nichts weiter, als daran, wie ihr auch alles genau so haben könntet.«

      »Celestina, sei doch nicht so langweilig, ich möchte doch nur ein bisschen Spaß haben. Es fällt mir nicht ein, so werden zu wollen, wie die sind.«

      »Du merkst es kaum, und schon denkst du immer an schöne Kleider.«

      Das nächste Zimmer wirkt kahl, alles ist sorgfältig weggeräumt. Aber Ingrid lacht, als sie den Inhalt des Papierkorbes entleert.

      »Das muss eine kindische Person sein, die hier wohnt. Celestina, sieh dir mal all die Papierfetzen an.« Sie sind zum Teil zerrissen, aber überall sind die gleichen Buchstaben, ist das gleiche Wort zu entdecken; manchmal sind auch die Buchstaben durcheinander geworfen, doch immer kehren sie wieder: A-R-Z-T; Arzt steht da überall, klein und groß geschrieben, manchmal im Kreuz, manchmal im Kreis, erst in dichter, dann in ganz weiter Reihenfolge, immer das gleiche Wort: Arzt. »Ein komisches Spiel, nicht wahr?«

      Ingrid findet auch Zeichnungen, die genau so kindisch sind. Eine Männergestalt im weißen Kittel, sehr primitiv hingezeichnet, manchmal hält die vorgestreckte Hand ein Messer oder irgendein ähnliches Instrument. »Lach doch nicht so albern«, Celestina sieht sich auch die Zettel an. »Wenn man einen Arzt braucht, ist das nie zum Lachen.«

      In diesem Augenblick tritt die Bewohnerin des Zimmers ein.

      Ingrid will erschrocken mit dem Papierkorb abziehen. »Ich komme wieder, wenn Sie fort sind.«

      »Sie können ruhig weiterarbeiten, Sie stören mich nicht.« Die Dame mustert Ingrids frische Jugend, und Ingrid kann sich nicht enthalten, einen neugierigen Blick auf ihr verfallenes Gesicht zu werfen. In ihren Augen liegt Verzweiflung.

      Sie setzt sich vor den Toilettenspiegel und beginnt, sehr sorgfältig Rot aufzulegen. Dabei hantiert sie mit allerlei Tuben und Pinseln. Während Ingrid Staub wischt, ordnet die Frau ihre Haare. Sie scheint das Mädchen überhaupt nicht zu bemerken.

      Das eben noch verfallene Gesicht leuchtet ihr jetzt aus dem Spiegel frisch und rosig entgegen, die Verzweiflung scheint aus ihren Augen gewichen zu sein. Die Frau entfaltet eine Zeitschrift, »Gesellschaftliches Leben im Süden«, sieht sich einige Bilder aufmerksam an und geht wieder zum Spiegel, prüft sich von allen Seiten: sie sieht jetzt gut aus, eine strahlende, noch junge Frau. Schon ist sie wieder fort, wahrscheinlich will sie nicht allein in ihrem Zimmer sein. »Ich habe Angst vor ihr gehabt«, sagt Ingrid zu Celestina, die schon in ein anderes Zimmer vorausgegangen war, »es ist etwas unheimlich an ihr.«

      Dieses Mal ist es Celestina, die sich die Gegenstände im neuen Zimmer genau betrachtet. Hier wohnt ein junger Mann und Celestina möchte erfahren, ob nicht er mit Shirley im Zusammenhang steht.

      An dem Kleiderhaken hängt ein Waschbärpelz, der geeignet ist, selbst den schmächtigsten Burschen in einen wahren Bären zu verwandeln. Auf dem Schreibtisch liegt ein ›Lehrbuch der neuesten Bridgeregeln‹ und ein ›Juristischer Ratgeber für Autofahrer‹. Golfschläger und Boxhandschuhe und eine Sammlung von Fotografien ausgesucht hübscher Frauen, die alle sichtbar unter dem Glas der Tischplatte liegen, vervollständigen die Einrichtung.

      »Der wird es wohl doch nicht sein«, sagt Celestina, die kein besonderes Vertrauen zu ihrem Detektivtalent besitzt. Sie muss Ingrid einweihen, zusammen werden sie schon herausfinden, was Shirley vorhat.

      »Nein, der ist es nicht«, das ist auch Ingrids Meinung, und in dem Zimmer, das sie danach betreten, brauchen sie ihn wohl auch nicht zu suchen.

      Dieser Raum ist mit einer wahren Batterie von Arzneiflaschen ausgestattet. Eine an der Wand angeschlagene Tabelle enthält genaue Anweisungen über die Zahl der einzunehmenden Tropfen mit genauer Zeitangabe.

      »Der Alte könnte schon ruhig sterben, ich hasse die vielen Arzneiflaschen.«

      »Aber Ingrid, schämst du dich nicht?«

      »Fällt mir nicht ein, ich mache doch nur Spaß.« Aber die Menschen leben zu gern, auch wenn sie alt und krank sind.

      »Ich möchte nicht in einem Zimmer mit der Nummer 13 wohnen«, sagt Ingrid im nächsten Zimmer, das sie reinigen, und öffnet den Schrank.

      »Warum bist du so neugierig, Ingrid? Wir wollen uns beeilen, du brauchst dir doch nicht jedes einzelne Kleid anzusehen.«

      »Aha, wir sollen wohl nur die Zimmer genau nachsehen, in denen Männer wohnen!? Celestina, wenn Frau Magpag das von dir wüsste! Übrigens habe ich den Auftrag, mich um dieses Zimmer besonders zu kümmern, vom Etagendetektiv selbst.«

      »Warum denn?«

      »Sicher hat sie kein Geld. Der Detektiv hat mich gefragt, ob die Dame viel Herrenbesuch bekommt, – als ob er das nicht besser wüsste als ich. Wahrscheinlich konnte sie ihre Rechnung nicht bezahlen, deshalb fällt ihnen ihr Lebenswandel plötzlich auf. Sie wird sicher fliegen, die Arme. Mir hat sie gleich am ersten Tage einen Dollar gegeben, dachte mir gleich, dass etwas nicht mit ihr stimmt; die Frauen sind doch sonst so geizig.«

      »Mach schnell, Ingrid.«

      »Sehen wir uns mal den Schrank an; zwei Kleider und ein Paar Schuhe. Die wird noch heute gehen, pass auf. Sie stellt es sicher nicht schlau an bei dem vielen Herrenbesuch.«

      »Ihr bildet euch immer ein, es besonders schlau einzurichten und fallt erst recht herein.«

      Celestina muss immer wieder an Shirley denken; der Gedanke an die Tochter quält sie, sie möchte wenigstens klar sehen.

      Das Zimmer, das sie nun betreten, gibt Celestina einen Ruck.

      Sollte hier jener wohnen, den sie sucht? Man kann sich schwer ein wilderes Durcheinander vorstellen. Der ganze Boden ist mit Konfetti besät; an den Lampen und an den Möbeln hängen farbige Papierschlangen, in der Badewanne liegen Whiskyflaschen, zerbrochene Gläser bedecken den Tisch, Zigarrenasche ist in alle Ecken verstreut. Einige Puppen sind in den höchsten, kaum erreichbaren Plätzen und Ecken mit verrenkten Gliedern aufgestellt. »Ist es nicht eine Schande, wie es hier aussieht? O Gott, wenn nur nicht Shirley hier – «

      »Ach nein, Celestina, hier wohnen doch zwei Männer, – und sie sind erst gestern eingezogen, sicher aus der Provinz; sie machen sich in New York einen guten Tag.«

      »Sieh dir nur die Wanne an und den Boden! Merk dir das, nur Männer benehmen sich so. Eine Frau, und wenn sie von der übelsten Sorte


Скачать книгу