Der scharlachrote Buchstabe. Hawthorne Nathaniel

Der scharlachrote Buchstabe - Hawthorne Nathaniel


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mußte, deren Kind die Welt erlösen sollte. Hier befleckte die tiefste Sünde die heiligste Eigenschaft des menschlichen Lebens und brachte eine solche Wirkung hervor, daß die Welt um der Schönheit dieses Weibes willen nur noch dunkler und durch das Kind, welches sie geboren hatte, nur um so mehr verloren war.

      Das Schauspiel war nicht ohne eine gewisse Schauerlichkeit, wie sie stets den Anblick von Schuld und Schande bei einem Mitgeschöpfe begleiten muß, ehe die Gesellschaft verderbt genug geworden ist, um darüber zu lächeln, statt sich zu entsetzen. Die Zeugen von Esther Prynnes Schmach waren noch nicht über diese ursprüngliche Einfachheit hinausgekommen; sie waren streng genug, um auf ihren Tod, wenn das Urteil auf diesen gelautet hätte, ohne Murren über die Schwere der Strafe zu blicken, besaßen aber nichts von der Herzlosigkeit eines andern sozialen Zustandes, welcher in einer Schaustellung, wie der gegenwärtigen, nur ein Thema zum Scherzen gefunden haben würde. Selbst wenn Neigung vorhanden gewesen wäre, die Sache ins Lächerliche zu ziehen, so hätte sie von der feierlichen Anwesenheit des Gouverneurs mit mehreren seiner Räte, eines Richters, eines Generals und der Geistlichen der Stadt, welche alle auf einem Balkon des Versammlungshauses, der sich über der Bühne befand, saßen oder standen, überwältigt oder zurückgedrängt werden müssen. Wenn solche Personen einen Teil des Schauspiels bilden konnten, ohne die Majestät oder Ehrwürdigkeit ihres Ranges und Amtes auf das Spiel zu setzen, so war mit Sicherheit zu schließen, daß die Vollstreckung eines Richterspruches eine eindringliche, wirksame Bedeutung haben würde. Die Zuschauermenge blieb daher auch düster und ernst. Die unglückliche Delinquentin hielt sich so gut aufrecht, wie es nur ein Weib unter der Last von Tausenden unbarmherziger, auf sie gehefteter und auf ihren Busen konzentrierter Augen vermochte. Fast war es unerträglich. Von leidenschaftlich impulsiver Natur, hatte sie sich gegen die Stiche und giftigen Verwundungen des Hohnes und der Schmähung des Publikums, die sich in jeder Art von Beleidigungen Luft machen konnten, gerüstet, aber die feierliche Geistesstimmung des Volkes besaß etwas um so viel Furchtbareres, daß sie sich fast sehnte, alle jene starren Gesichter zu spöttischer Lustigkeit verzerrt und sich als Gegenstand derselben zu sehen. Wenn ein schallendes Gelächter unter der Menge ausgebrochen wäre, zu dem jeder Mann, jedes Weib, jedes Kind mit seiner schrillen Stimme einen Anteil geliefert hätte, so würde Esther Prynne darauf vielleicht nur mit einem bitteren, verächtlichen Lächeln geantwortet haben; aber unter der bleiernen Wucht, welche zu ertragen ihr Schicksal war, hatte sie in manchen Augenblicken das Gefühl, als ob sie aus voller Kraft ihrer Lunge schreien und sich von dem Gerüste auf den Boden herabstürzen oder plötzlich wahnsinnig werden müsse.

      Und doch gab es Zwischenräume, wo das ganze Schauspiel, dessen hervorragendster Gegenstand sie war, ihren Augen zu entschwinden schien oder wenigstens nur undeutlich vor denselben schimmerte, wie eine Masse von unvollkommen geformten Gespenstergestalten. Ihr Geist und besonders ihr Erinnerungsvermögen entwickelte eine übernatürliche Tätigkeit und stellte fortwährend andere Szenen vor sie hin, als jene grob ausgehauene Straße einer kleinen Stadt am Saume der westlichen Wildnis, andere Gesichter als diejenigen, welche unter den Krempen jener hohen Spitzhüte streng auf sie blickten, Erinnerungen von der geringfügigsten und unwesentlichsten Art; Vorgänge aus ihren Kindheits- und Schuljahren, Spiele, kindische Zänkereien und die kleinen häuslichen Züge ihres Jungfernalters drängten sich in Verbindung mit Bildern aus den ernstesten Verhältnissen ihres späteren Lebens vor sie zusammen, und das eine war genau ebenso lebhaft wie das andere, als ob alle von gleicher Wichtigkeit oder alle gleichmäßig nur ein Spiel seien. Vielleicht war das ein instinktmäßiger Kunstgriff ihres Geistes, um sich durch die Vorstellung dieser phantasmagorischen Gestalten von der drückenden Last und Härte der Wirklichkeit zu befreien.

      Mochte dem sein, wie ihm wollte, die Schandbühne des Prangers war ein Standpunkt, welcher Esther Prynne den ganzen Weg, den sie seit ihrer glücklichen Kindheit gewandelt war, überblicken ließ. Während sie auf dieser Unglückshöhe stand, erblickte sie von neuem ihr Heimatdorf in Alt-England und ihr Vaterhaus, ein verfallenes Gebäude von grauem Stein und ärmlichem Aussehen, das aber als Beweis seiner früheren Vornehmheit noch ein halbverwischtes Wappenschild ihres Vaters mit seiner kahlen Stirn und seinem ehrwürdigen weißen Bart, welcher über den altmodischen Elisabethkragen herabhing, und das ihrer Mutter mit dem Blicke sorglicher Liebe, welchen es stets in ihrer Erinnerung trug und der selbst nach ihrem Tode so oft das Hemmnis eines sanften Vorwurfs in den Pfad ihrer Tochter gelegt hatte. Sie erblickte ihr eigenes, von mädchenhafter Schönheit glühendes Gesicht, welches das ganze Innere des trüben Spiegels erhellte, in welchem sie gewohnt gewesen war, es zu betrachten. Dort sah sie noch ein Gesicht, das eines Mannes von vorgerückten Jahren, ein bleiches, mageres Gelehrtenantlitz mit von dem Lampenscheine, welcher ihnen beigestanden hatte, so manchen schweren Folianten durchzustudieren, getrübten und geschwächten Augen. Und doch besaßen diese trüben Augen eine seltsame, durchdringende Gewalt, wenn es die Absicht ihres Besitzers war, in der menschlichen Seele zu lesen. Diese Gestalt des Studierzimmers und des Klosters war, wie Esther Prynnes weibliche Phantasie heraufzurufen nicht verfehlte, etwas verwachsen und ihre linke Schulter um ein geringes höher als die rechte. Sodann erhoben sich vor ihr in der Bildergalerie der Erinnerung die winkeligen, schmalen Gassen, die hohen grauen Häuser, die mächtigen Kathedralen und die alten, schnörkeligen öffentlichen Gebäude einer Kontinentalstadt, wo sie ein neues, immer noch mit dem verwachsenen Gelehrten in Verbindung stehendes Leben erwartet hatte ein neues Leben, welches sich aber von gealterten und abgenutzten Materialien genährt, wie ein Büschel grünen Mooses an einer zerbröckelnden Mauer. Endlich kehrte an die Stelle dieser wechselnden Szenen der unebene Marktplatz der puritanischen Niederlassung zurück mit der ganzen versammelten Bewohnerschaft der Stadt, welche ihre strengen Blicke auf Esther Prynne heftete – ja, auf sie selbst, die auf der Bühne des Prangers stand, mit einem Kinde auf ihrem Arm und dem scharlachroten, phantastisch mit Goldseide durchsäumten Buchstaben A auf ihrer Brust.

      Konnte es Wahrheit sein? Sie preßte das Kind so heftig an ihre Brust, daß es einen Schrei ausstieß. Sie senkte ihre Augen auf den Scharlachbuchstaben und berührte ihn sogar mit ihrem Finger, um sich zu überzeugen, daß das Kind und die Schande wirklich existierten. Ja, das waren ihre Wirklichkeiten – alles übrige war verschwunden.

      Kapitel 3

      Die Erkennung

      Von diesem sie gänzlich erfüllenden Bewußtsein, daß sie der Gegenstand einer strengen und allgemeinen Beobachtung sei, wurde die Trägerin des Scharlachbuchstabens endlich dadurch erlöst, daß sie am äußeren Saume der Zuschauermenge eine Gestalt bemerkte, welche unwiderstehlich Besitz von ihren Gedanken ergriff. Dort stand ein Indianer in seiner einheimischen Tracht, aber die roten Männer waren nicht so seltene Besucher der englischen Ansiedlungen, daß einer von ihnen zu solcher Zeit Esther Prynnes Aufmerksamkeit erregt oder gar alle übrigen Gegenstände und Gedanken aus ihrem Geiste verbannt haben würde. An der Seite des Indianers, und offenbar als sein Begleiter, stand ein weißer, in ein seltsames Gemisch von zivilisiertem und wildem Kostüm gekleideter Mann.

      Er war von kleiner Statur und zeigte ein gefurchtes Gesicht, welches jedoch noch kaum alt genannt werden konnte. In seinen Zügen lag eine bemerkenswerte Intelligenz, als seien es die einer Person, welche ihren geistigen Teil so ausgebildet hatte, daß er nicht verfehlen konnte, den physischen nach sich zu formen und durch unverwechselbare Zeichen sichtbar zu machen. Wiewohl er durch eine scheinbar nachlässige Anordnung seiner zusammengewürfelten Kleidung versucht hatte, die Eigentümlichkeiten zu vermindern oder zu verringern, so war es für Esther Prynne doch erkennbar genug, daß die eine Schulter dieses Mannes sich über die andere erhob. In dem ersten Augenblick, wo sie dieses magere Gesicht und die geringe Entstellung der Gestalt bemerkte, drückte sie ihr Kind wieder mit so krampfhafter Gewalt an ihre Brust, daß der arme Säugling einen zweiten Schmerzensschrei ausstieß. Die Mutter schien ihn jedoch nicht zu hören.

      Sobald er auf den Marktplatz gelangt war und schon einige Zeit, ehe sie ihn gesehen, hatte der Fremde seine Augen auf Esther Prynne geheftet. Anfangs war es nachlässig gewesen, wie der Blick eines Mannes, der gewohnt ist, hauptsächlich nach innen zu blicken, und für welchen äußere Dinge ohne Wert und Wichtigkeit sind, wenn sie sich nicht auf etwas in seinem Geiste beziehen. Sehr bald war jedoch sein Blick scharf und durchdringend geworden. Ein zuckendes Entsetzen trat auf seine Züge, wie eine schnell darüber hingleitende Schlange, die eine kleine Pause machte, während alle ihre verschlungenen Wendungen deutlich sichtbar


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