Wanderbilder aus Central-Amerika. Skizzen eines deutschen Malers. Wilhelm Heine
1851.
Ehe ich angelangt bin in jenen Tropenländern, welche für die nächste Zukunft mein Aufenthalt sein sollen, halte ich es für angemessen, einige erläuternde Worte, sowohl in Bezug auf den Zweck meiner Reise, als in Bezug auf mich selbst vorauszuschicken.
Glückliche Zufälligkeiten hatten mich in New-York in Verbindung mit Herrn Squier gebracht, einem Mann, welcher sich bereits durch seine Verdienste um archäologische Forschungen in Nord- und Central-Amerika, so wie durch seine ehrenhafte Thätigkeit in einer Angelegenheit, die tief eingreift in die Handelsinteressen fast des ganzen Erdenrundes, einen bedeutenden Ruf erworben.
Herr Squier war mehre Jahre Gesandter der Vereinigten Staaten von Nordamerika bei den verschiedenen Republiken von Central-Amerika, und hatte während dem die beste Gelegenheit, einen großen Theil dieser Länderstriche genau zu erforschen. Das Ergebniß dieser Forschungen ist ein Werk, mit dessen Beendigung Herr Squier jetzt eben beschäftigt ist, während ich, nach getroffener Uebereinkunft mit ihm, vorausgegangen bin, um mich einstweilen mit dem tropischen Klima und der Lebensweise jener Länder vertraut zu machen, bis Herr Squier sofort nach Beendigung und Publikation jenes Werkes mir nachfolgen wird, um seine Forschungen in Gemeinschaft mit mir in den bis jetzt fast noch gar nicht bekannten Strichen Central-Amerikas fortzusetzen. Gestalten sich die Umstände diesem Unternehmen günstig, so soll dessen Resultat ein zweites Werk Squier's sein, an welchem ich mich nur in Bezug auf dessen artistische Ausstattung mit landschaftlichen Ansichten betheiligen werde.
Was nun mich betrifft und dasjenige von meinen persönlichen Reiseerlebnissen, was vielleicht vorher und ganz unabhängig von dem projektirten Werke zur Oeffentlichkeit gelangt, so nöthigt mich die tadelnde Aufnahme, welche Herrn Fröbel's Nachrichten über Central-Amerika zu Theil wurden, zu folgenden Bemerkungen.
Ich bin Künstler, und habe nur als solcher die Reise unternommen, aus Liebe zur Kunst und aus Freude an wissenschaftlichen Forschungen. Es kann nicht in meiner Absicht liegen Reiseberichte zu schreiben, welche diesen oder jenen Strich Landes in zu günstigen Farben schildern und welche vielleicht Veranlassung werden könnten, einen größeren oder kleineren Theil der Auswanderung nach irgend einem bestimmten Punkt der neuen Welt zu lenken. Der Widerspruch, den oberwähnte Berichte mehrseitig erweckt, beweist klar genug, wie überaus schwer es ist, eine feste Meinung über irgend ein Land als unbedingt maßgebend aufzustellen. Das Schicksal des Auswanderers hängt überall von zu vielen Nebenumständen ab, und durchschnittlich gehen an jedem Platze eben so viele zu Grunde, als andere wiederum den Grund zu ihrer Existenz, zu Wohlhabenheit oder gar zu Reichthum legen, wenn nicht gar der ersteren Zahl die überwiegende ist. Jedenfalls sind stets Personen genug vorhanden, welche triftigen Grund haben, Lob oder Tadel eines Landes, je nach individuellen Umständen, übertrieben zu finden.
Ich werde meine Zeit während meines Aufenthaltes in Central-Amerika wohl anderweit bedürfen, als dieselbe mit Entgegnungen von derlei Einwürfen hinzubringen, wenn überhaupt solche mir zu Gesicht kommen sollten, bemerke also im voraus, daß das, was ich etwa in dieser Beziehung zu sagen haben könnte, eben nur individuelle Ansichten und Wahrnehmungen sind, die ich unbefangen und wie sie sich meiner unmittelbaren Anschauung darstellen wiedergebe. Sollte ich wichtige Thatsachen zu berühren haben, so werde ich mich bemühen, stets die Quellen anzugeben, aus denen ich geschöpft.
Bin ich übrigens etwa irgendwo im Irrthume, soll mir's lieb sein, wenn sich Jemand findet, der es besser weiß und seine Ansicht ausspricht.
Was die etwaigen naturhistorischen und archäologischen Entdeckungen betrifft, welche während der vereinigten Expedition von Herrn Squier und mir gemacht werden sollten, so bemerke ich, daß das hier von mir zu Sagende nicht als wissenschaftliche Doctrine anzusehen ist. Dieses Feld bleibt einer geschickteren Feder überlassen als der meinigen, der meines Freundes Herrn Squier. Ich selbst sehe ab von allem und jedem System, wünsche nichts als die Eindrücke wiederzugeben, welche Natur, Menschen und Kunstwerke, als in engster Verbindung mit einander stehend, auf mich als Mensch und Künstler hervorrufen, und fühle mich hierzu veranlaßt durch die Ansicht, daß es Pflicht eines Reisenden in wenig bekannten Länderstrichen ist, seine Beobachtungen zur Kenntniß des Publikums zu bringen, um so, wenn auch nur in einem Minimum, seinen Tribut zum Schatz des menschlichen Wissens beizusteuern.
Nebenbei fühle ich mich gegenwärtig hierzu noch besonders durch den Umstand veranlaßt, daß die Schaubühne von Herrn Squier's und meinen Forschungen sich auf einem Theil des amerikanischen Continents befindet, welcher für diesen Welttheil eine ähnliche Bedeutung hat wie Aegypten und Assyrien für die alte Welt, und ich fühle mich freudig erhoben in dem Gedanken, einen wenn auch noch so kleinen Theil zur Entwicklungs- und Kunstgeschichte des Landes beizutragen, das den Fremden gastlich auf seinem Boden aufgenommen.
Weder Hr. Squier noch ich sind die ersten, welche diesen Gedanken erfaßt: der vorzüglichste Pionier der Neuzeit, im erhabenen Sinne des Worts, der große Humboldt ist es! Viele namhafte Gelehrte und Künstler haben seitdem mannichfaches Licht über jene Gegenden verbreitet, und die letzten Veröffentlichungen Herrn Squier's haben dasselbe vermehrt. Doch noch viel, sehr viel bleibt zu thun übrig, und speciell in den Staaten Nicaragua, Honduras, St. Salvador und Guatemala hemmen unendliche Schwierigkeiten die Fortschritte des wißbegierigen Sammlers. Wie weit unser Unternehmen dieselben überwinden kann, bleibt Gott anheimgestellt; mögen die Resultate indeß sein wie sie wollen, ich werde mich stets dem Schicksal dankbar verpflichtet fühlen, das mir gestattet, meine Thätigkeit mit der eines gleichgesinnten Mannes zu einer so schönen und edlen Unternehmung zu vereinigen.
Es scheint mir zuvörderst dienlich einige topographische Mittheilungen in Bezug auf den zukünftigen Schauplatz unseres Unternehmens und seine Verhältnisse zu machen, zu denen ich die Mittheilungen benutze, welche mein würdiger Freund, Hr. Squier, bereits früher dem amerikanischen Publikum übergeben.
Geographisch ist Nicaragua der größte und bedeutendste Theil von Central-Amerika. Es dehnt sich aus von einem Ocean zum andern, und umfaßt in seinen Gränzen die großen Seen von Nicaragua und Managua, durch welche, wie jetzt einstimmig festgestellt ist, die einzig mögliche Linie für einen Schifffahrtscanal über diesen Theil des amerikanischen Continents (Isthmus) führt. Die Nordgränze ist eine unregelmäßige Linie vom Golf di Fonseca am stillen Ocean zum Cap Gracias a Dios am atlantischen, die Südgränze hingegen eine gerade Linie von der Spitze des Golfs von Nicoga zu einem Punkt inmitten der Mündung des San Juan und dem Hafen von Matina in Costarica am atlantischen Ocean.
Der Grund und Boden hat ein mannichfaltiges Aeußere und eine unbegränzte Fruchtbarkeit. Das große Becken der Seen besteht aus Ebenen und sanft ansteigendem Hügelland, abwechselnd begränzt und unterbrochen durch hohe steile Vulcane, und bietet alle Produkte der Tropenländer im reichsten Maße dar. Die nördlichen Departements Segovia und Choutales sind höher gelegen, gebirgiger, besitzen einen Ueberfluß an Metallen und bringen eine Menge Früchte der gemäßigten Zone hervor; die Temperatur ist vergleichsweise kühl und frisch.
Die atlantische oder, wie sie zumeist genannt wird, Mosquito-Küste ist im ganzen flach, der fast das ganze Jahr sich ergießende Regen höchst beschwerlich, die Atmosphäre drückend heiß und weniger zuträglich als in andern Theilen des Staates. Die ziemlich dünne Bevölkerung besteht aus Indianern vom Stamm der Charibs, entlaufenen Negern von den westindischen Inseln und einer Mischlingsrace zwischen beiden. Der größte Theil der Bevölkerung von Nicaragua jedoch bewohnt den Abhang gegen den stillen Ocean hin. Hier ist der Boden nicht nur überaus fruchtbar und leicht zu bearbeiten, sondern auch das Klima unendlich gesünder und angenehmer. Es giebt hier nur zwei Jahreszeiten: die Regenzeit, von Mitte Mai's bis Mitte Novembers, und die trockene, während welcher sehr selten Regen fällt. Die Temperatur ist ziemlich gleichmäßig, etwa zwischen 70 und 82° Fahrenheit, und schwerlich dürfte sich eines der Tropenländer eines angenehmeren Klima's, einer günstigeren Lage zu erfreuen haben.
Der Staat Nicaragua ist in fünf Departements eingetheilt und hat, trotz seiner großen Ausdehnung, eine Bevölkerung von nur 250,000 Einwohnern, die jedoch hauptsächlich die Städte bewohnen. Die Hauptstadt und der Sitz der Regierung ist Leon, mit 25 bis 30,000 Seelen; die zweite Masaya, eine fast durchaus indianische Stadt, bemerkenswerth durch ihre Manufacturen, die dritte Granada, am See von Nicaragua, durch welche ein großer Theil des Verkehrs des Landes über den See