Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad
»Jawohl.«
»Hier ist Detektivabteilung. Ist draußen ein Unglück passiert?«
»Das Licht ist auf der ganzen Linie ausgegangen,« lautete die Antwort.
»So! Wo steckt denn der Fehler?«
»Das wissen wir noch nicht. Unsere Ingenieure arbeiten mit allen Kräften, um ihn zu finden.«
Krag lautete ab. Eine Stunde verging, ohne daß das Licht wiederkam, und Krag wendete sich wieder an das Werk. Dort begann man offenbar nervös zu werden.
»Nun, hat man den Fehler noch nicht gefunden?« fragte Krag.
»Unfaßbar! Aber man arbeitet angestrengt von allen Seiten, um zu entdecken, wie diese Kalamität eintreten konnte.«
Wieder verging fast eine Stunde. Krag blieb die ganze Zeit in seinem Kontor sitzen und arbeitete bei Stearinkerzen.
Mit einem Male begann das elektrische Licht wieder zu brennen.
Aha, dachte der Detektiv, jetzt haben sie endlich den Fehler gefunden.
Da klingelte das Telephon. Diesmal ist es die Elektrizitätsgesellschaft, die ihn anruft.
»Hallo! Dort Detektivabteilung?«
»Ja.«
»Hier Elektrizitätswerk.«
»Gratuliere. Jetzt brennt ja das Licht wieder.«
»Ja, gerade deshalb wollen wir mit Ihnen sprechen.«
»So. Woran lag also der Fehler?«
»Das wissen wir nicht. Das Licht kam ebenso plötzlich, als es verschwand – durch fremde Hilfe. Unsere Ingenieure sind ganz ratlos. Können Sie rasch herüberkommen?«
»Ich komme sofort.«
Asbjörn Krag nahm seinen Ueberrock und ging. Bei sich selbst dachte er: Da hat wohl der kleine Rotbärtige schon wieder Christiania einen Streich gespielt. Warum –? Ja, das ist die Frage.
Dieser geniale Ingenieur – was führt er eigentlich im Schilde? Zuerst Telegraph und Eisenbahn, dann Elektrizität? Hier müßte etwas Merkwürdiges dahinterstecken, wenn der Mann nicht ein gefährlicher Geisteskranker war, dessen man sich versichern mußte, bevor etwas Ungeheuerliches sich ereignete. Asbjörn Krag beschleunigte seine Schritte.
Unten im Elektrizitätswerk waren wieder geordnete Verhältnisse eingetreten. Aber es mußte wohl eine tüchtige Verwirrung geherrscht haben, solange die Stadt in Finsternis lag und der Ingenieurstab des ganzen Werkes in ununterbrochener Tätigkeit war, um den Fehler herauszufinden.
Der Chef führte Krag in den Dynamoraum, wo es so summte und sprühte und dröhnte, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte.
»Haben Sie irgendeine Vermutung, wie die Störung entstanden sein kann?« fragte Krag.
»Nein,« lautete die Antwort des Chefs. »Die Sache ist uns noch ganz unbegreiflich. Aber persönlich habe ich die Vermutung, daß das Ganze in der einen oder anderen Absicht arrangiert sein muß, einer mir ganz unerklärlichen Absicht, nebenbei.«
»Wer sollte der Urheber sein?«
»Das ahne ich nicht.«
»Kann es einer von Ihren Leuten sein?«
»Kann – ja. Aber ich glaube es nicht,« erwiderte der Chef bestimmt. »Gleichzeitig muß ich noch gestehen, daß, wenn es arrangiert ist, es von einem Mann herrührt, der sehr gut mit elektrischen Apparaten vertraut ist, aber namentlich mit denen des hiesigen Werkes. Darum hielt ich es für das Richtigste, Sie gleich zu bitten, herzukommen.«
Krag nickte zustimmend und fragte, wie die Sache denn wieder in Ordnung gekommen war.
»Das ist beinahe das Wunderlichste von allem. Unsere eigenen Ingenieure vermochten nichts, obwohl sie wie die Besessenen arbeiteten. Da tauchte plötzlich ein Monteur von einer hiesigen großen Firma auf, die ihn uns gesandt hatte. Er trat sehr selbstsicher aus und bat um verschiedene Aufklärungen. Wir gaben sie ihm, dann zog er sich Gummihandschuhe an, ging in den Dynamoraum, und einige Augenblicke später war alles in Ordnung.«
»Wie heißt dieser Monteur?« fragte Krag gespannt.
»Ja, wie hieß doch der Mann?« rief der Chef und wandte sich an seine Untergebenen. Aber niemand wußte es oder kannte ihn.
»Wie sah er aus?« fragte der Detektiv.
»Ein kleiner, nicht mehr junger Mensch,« erklärte der Chef, »in der gewöhnlichen blauen Tracht der Monteure. Mit blauer Brille.«
»Und rotem Bart?« fragte Krag eifrig.
»Ganz richtig,« erwiderte der Chef. »Wie können Sie das wissen?«
Krag besann sich rasch und erwiderte, daß er zufällig einen Monteur dieses Aussehens kenne. »Ein sehr tüchtiger Bursche,« fügte er hinzu.
»Zweifellos.«
»Und im übrigen ist niemand Unbefugtes im Laufe des Tages im Elektrizitätswerk gewesen?« fragte Krag weiter.
»Niemand außer dem Monteur,« erwiderte der Chef bestimmt. »Und den betrachten wir eigentlich auch nicht als einen Unbefugten. Er ist uns von einer Firma geschickt, mit der wir viel zu tun haben. Ich habe ihn übrigens noch nie gesehen, und ich kann mir nicht denken ...«
»Natürlich nicht,« unterbrach Krag seinen Gedankengang. »Wissen Sie, in welcher Weise er das Licht wieder in Ordnung gebracht hat?«
»Nein, dafür gab er uns heute keine Erklärung. Er verschwand, bevor wir noch recht mit ihm reden konnten, in all dem Aufruhr, der in der Dunkelheit geherrscht hatte.«
Asbjörn Krag erbat sich noch einige Mitteilungen und verließ dann rasch das Werk.
Sowie er ins Freie kam, versuchte er aus dem Telephonkiosk der Freimaurerloge in Verbindung mit dem Chef der erwähnten elektrischen Firma zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Er fand es aussichtslos, in der Stadt herumzugaloppieren und nach dem Monteur, alias dem rothaarigen Ingenieur, zu fahnden, und verschob darum seine weiteren Untersuchungen für den nächsten Tag.
Gegen elf Uhr am nächsten Vormittag rief Krag wieder die elektrische Firma an, und der Chef kam selbst an den Apparat. Er stellte sich vor und fragte dann, aus welchem Grunde die Firma am vorigen Abend ihren Monteur in das Elektrizitätswerk entsendet hatte.
Der Chef wußte nichts von der Sache und bat Krag zu warten, bis er sich bei einem der Beamten erkundigt hatte. Als der Chef wieder ans Telephon kam, erklärte er auf das bestimmteste, niemand wisse etwas davon, daß seine Firma gestern einen Mann ins Elektrizitätswerk geschickt habe.
Nun bat der Polizist um ein Gespräch unter vier Augen mit dem Inhaber des Geschäftes, das ihm auch sogleich bewilligt wurde. Und als Krag hinkam, saß der Chef schon in seinem Kontor und erwartete ihn.
Krag machte sofort darauf aufmerksam, daß es sich um eine Sache von außerordentlicher Wichtigkeit handle.
»Kennen Sie einen Ingenieur namens Barra?« fragte Krag.
»Ja.«
»Ist er bei Ihnen angestellt?«
»Nein. Er hat nur die Erlaubnis, von Zeit zu Zeit hier in unseren Werkstätten zu experimentieren.«
»Haben Sie dabei je Anlaß gehabt, sich über ihn zu beklagen?«
»Im Gegenteil! Wir sehen es gerne, daß er bei uns arbeitet. Ich glaube, er beschäftigt sich mit nützlichen Erfindungen. Er ist außerdem offenbar ein sehr reicher Mann. Ein ungemein – um nicht zu sagen hervorragend – tüchtiger Ingenieur ist er auf jeden Fall.«
»Haben Sie nicht den Eindruck, daß er ein bißchen verschroben ist?«
Der Chef sah Krag an.
»Wenn Sie so direkt fragen,« sagte er, »muß ich gestehen, daß sein Benehmen oft etwas auffallend ist. Uebrigens