Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad

Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad


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sich die beiden Männer stumm gegenüber, und das Gesicht des Fremden verzerrte sich in einer Art von Verzweiflung. Es sauste in dem brennenden Docht der Lampe, im übrigen war es sehr still.

      Aber für Seeleute und Küstenbewohner, deren Schicksal an die jähen Wechselfälle des Meeres geknüpft ist, kann das Unerwartete nicht lange ein Rätsel bleiben. Nichts ist auf die Länge unglaublich, daher das Starren zum Horizont nach längst verschwundenen Kameraden. Leute können ein halbes Menschenalter und länger wegbleiben und dann wieder heimkommen, mit ergrautem Haar und ausgestreckter Hand.

      Als der Lotsenälteste sich ein wenig gefaßt hatte, war alles Nachgrübeln über das Unglaubliche des Ereignisses verflogen, und das einzige, was blieb, war die Gewißheit, daß hier Andreas stand. Das war ja Andreas, der wieder heimgekommen war. Und aus dieser Gewißheit stieg eine nebelhafte Erinnerung an das Schiff auf, das vor so vielen Jahren fortgezogen, die sinkenden Segel am Silberrand des Horizonts – und dann all die anderen, die mit an Bord waren.

      Mit plötzlichem überströmenden Eifer ergriff der Lotsenälteste die Hände des anderen:

      »Willkommen daheim, Andreas. Gott sei gelobt, so sollten wir doch noch einmal von euch hören!«

      Er zog ihn zur Lampe hin, um ihn näher anzusehen.

      Andreas konnte nicht sprechen. Es zuckte um seinen Mund, als wenn ihm in seiner völligen Ratlosigkeit die Tränen nahe wären.

       »Du frierst ja, mein Junge,« fuhr der Lotsenälteste herzlich fort – er nannte ihn mein Junge, um so vieles älter war er –, »deine Hände sind ja eiskalt.«

      Er drückte ihn auf einen Stuhl. Als er ihn im Schein der gelben Lampe noch eine Zeitlang angesehen hatte, sagte er verwundert:

      »Nein, daß du zurückgekommen bist, das ist doch merkwürdig. Jetzt weiß ich, warum mir so wunderlich zumute war, als ich dich gestern abend im Fährhaus zum ersten Male sah. Ich muß dich doch erkannt haben, ohne es selbst zu wissen. Jetzt erkenne ich die Züge so deutlich. Du warst ja damals ein blutjunges Bürschchen, aber ich sehe dich doch noch vor mir. Der Mund. Und die Stirn. Und auch der Haarschopf, wenn er auch jetzt grau geworden ist.«

      Der Lotsenälteste faßte seinen Mantelkragen.

      »Und was für ein feiner Mann du geworden bist. Du bist wohl viel herumgereist? Wo bist du denn überall gewesen, Junge?«

      Wieder trat in Andreas' Gesicht dieser beinahe verzweifelte Ausdruck der Ratlosigkeit. Er antwortete:

       »Ja, ich bin viel herumgereist. Aber ich sehe alles nur wie durch einen undeutlichen Nebelschleier. Vielleicht bin ich krank. Ich erinnere mich eigentlich nur an gestern abend, wie ich dort drüben am andern Flußufer stand und rief: Hol über, hol über!«

      Andreas wiederholte diese Worte mit so lauter flehender Stimme, daß der alte Lotse sich unwillkürlich in der Stube umsah.

      Die Stille hier drinnen war plötzlich so fühlbar, daß der Lotse sich mit der Hand über die Stirn fuhr, wie um eine unerklärliche Beängstigung zu verjagen. Nur tote Dinge starrten ihn an. Die Kuppel der Lampe war wie ein Gesicht, und das Zifferblatt war auch wie ein starrendes, abwartendes Antlitz. In dem gelben Lampenlicht trat auch in Andreas' Züge derselbe Schein.

      Andreas wurde sich bewußt, daß er zu laut gerufen hatte, und er senkte die Stimme fast zu einem Flüstern:

      »Nein, ich habe jetzt keine andere deutliche Erinnerung, als daß ich drüben an der Brücke im Schilf stand. Und als ich hörte, wie das Schilf in der Strömung rauschte, war es mir, als sei ich von Nirgendland dorthin gekommen.«

      Er lächelte verlegen.

      »Wunderlich, nicht wahr? Ich erinnere mich auch, daß ich unbeschreiblich müde nach der Reise war. Aber den Wagen, der mich hingebracht hatte, den hörte ich nicht wieder fortrollen.«

      »Ich kann das verstehen,« erwiderte der Lotsenälteste, »das ist die Gemütsbewegung, wieder heimzukommen, die dich überwältigt hat.«

      »Ja, vielleicht ist es so –«

      Plötzlich gab es dem Alten einen Ruck:

      »Wir müssen Leute rufen! Wo denke ich hin!«

      Aber da packte Andreas ihn wieder mit beiden Händen an den Hemdärmeln.

      »Noch nicht«, bat er inständig und mit einer unheilverkündenden Erregung in der Stimme.

      »Was hast du denn, Junge!« rief der alte Mann. »Du solltest sehen, bald ins Bett zu kommen. Deine Hände sind gräßlich kalt. Und warum soll ich die anderen nicht verständigen?«

       »Ich muß zuerst mit dir allein sprechen,« bat der Heimgekehrte, »und außerdem habe ich Angst, mit so vielen Menschen zusammenzutreffen.«

      Der Lotsenälteste blieb sitzen, aber widerstrebend.

      Er griff nach seinem Tabakbeutel, seine Hände tasteten unsicher, als er seine Pfeife stopfte. Doch sowie der dampfende blaue Rauch um ihre Köpfe wirbelte, fand er seine Ruhe wieder.

      »Wenn ich es mir überlege, so fange ich an, dich zu verstehen. Du bist zuerst zu mir gekommen, weil du weißt, daß ich keinen Sohn oder Bruder an Bord hatte. An dieser Sache ist vielleicht manches, das vorsichtig mitgeteilt werden muß. Ich werde nicht in dich dringen. Laß dir Zeit. Wie ging es dem Schiffer?«

      Andreas lehnte sich langsam in die Rückenlehne des Stuhles zurück, der Tabakrauch, der in treibenden, blauen Schwaden zwischen ihnen lag, bewirkte, daß er undeutlich wurde und gleichsam in weite Ferne rückte.

      »Ich werde dir auch vom Schiffer erzählen«, sagte Andreas.

       »Ist er am Leben?« fragte der Lotsenälteste.

      »Nur Zeit lassen«, fuhr Andreas, in seine eigenen Gedanken vertieft, fort. »Du wirst alles erfahren. Auch vom Steuermann Johannsen.«

      Das Gesicht des Alten leuchtete auf.

      »Ja, der Steuermann Bertil Johannsen, der muß jetzt in meinem Alter sein.«

      Andreas wiederholte verwundert »in deinem Alter« – und betrachtete das wettergebräunte, gefurchte Antlitz des Lotsenältesten genau. Und wieder kam etwas Ratloses über Andreas, als ob er den Vergleich zwischen dem Alter des Lotsen und des Steuermanns nicht recht verstünde. Aber der Alte fuhr halb für sich selbst fort: »Laß mich nun sehen ... als er wegfuhr war er ... und jetzt bin ich ... ja, ja, das stimmt –«

      Andreas nannte noch einen Namen.

      »Erinnerst du dich an Gustav?«

      »Gustav?« – Er überlegte.

      »Den kleinen Gustav von Stina auf der Schäre?«

      Freilich erinnerte sich der Lotsenälteste an ihn. Das war ja der kleinste Deckjunge an Bord. »Er war immer so sanft, der kleine Gustav,« erklärte Andreas, »nichts konnte ihn in üble Laune bringen.«

      Und noch mehrere Namen fielen. Einige nannte Andreas, andere der Lotsenälteste.

      Da war der zweite Steuermann, der lange magere zweite Steuermann mit der Narbe über den Augen von einem Messerstich, ein Sonderling war er, der höchst ungern mit jemandem sprach.

      Dann der Bootsmann, der beständig damit beschäftigt war, alles mögliche zu richten und auszubessern, auch wenn es gar nicht notwendig war. Er war Erfinder und murmelte immer nachdenklich in sich hinein, über neue Erfindungen und Verbesserungen nachgrübelnd.

      Dann der dicke Koch – und dann kamen die Matrosen einer nach dem andern, bis man wieder beim kleinen Gustav anlangte. Alle waren sie junge Seeleute, blond, frisch, munter. Über jeden wurde ein Wort gesagt, das sie wieder lebendig für die Erinnerung machte.

      Einer nach dem andern traten sie in die Stube, die Zeit flutete lautlos zwanzig Jahre zurück, und von dem Rauchschleier umwoben standen die Gesichter der Wiedergekommenen vor ihnen, hell und sorglos lächelnd, wie damals, als sie fortzogen.

      Der Lotsenälteste und Andreas redeten sich bei diesen Erinnerungen immer mehr


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