Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel


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Amtsgerichts, Erdgeschoß vorn rechts. Ich meldete mich bei Herrn Gumlowsky auf sein Inserat hin. Er suchte einen Buchhalter, der auch französisch und englisch korrespondieren könne. Da meine Gehaltsforderung bescheiden war, stellte er mich an.“

      „Haben Sie denn viel Arbeit?“

      „Es geht. Hauptsächlich schreibe ich Briefe nach London und Paris an Geschäftsfreunde des Chefs.“

      „Also Geschäftsbriefe?“

      „Ja. Die Firma vermittelt auch An- und Verkäufe von Grundstücken und größeren Warenposten.“

      „So – und nun den Grund Ihres Besuches, Herr Lehmann –“

      „Ja, das hängt folgendermaßen zusammen. Also – vor etwa vierzehn Tagen waren Herr und Frau Gumlowsky gleichzeitig an Grippe erkrankt. Da mußte ich auch Krankenpfleger spielen, ebenso die eingegangene Post selbst öffnen. Am 18. August kam der erste Brief – der leere Brief, eben ein Briefumschlag großen Formats mit einem nicht geknifften völlig leeren Briefbogen darin. Ich ging damit in das Schlafzimmer und zeigte ihn dem Chef. – „Da hat sich einer einen Witz gemacht!“ schimpfte er. – Aber – er legte Umschlag und Briefbogen sehr sorgsam in die Nachttischschublade. Schon dieses fiel mir auf. – Am 20. August kam der zweite Brief, ebenfalls aus Danzig, auch leer – der Briefbogen. Und abermals schimpfte Gumlowsky und verwahrte Umschlag und Briefbogen wieder in der Schublade des Nachttisches. – Dann ging es ihm besser, und er sah die Post selbst durch. Das heißt: er tat so, als ob es ihm besser ginge. In Wahrheit hustete er fürchterlich und hatte hohes Fieber. Ich argwöhnte daher, er wolle mich nur die eingelaufenen Briefe nicht öffnen lassen.“

      „Sie werden richtig kombiniert haben,“ nickte Harald.

      „Ja, das glaube ich auch, Herr Harst. – Immerhin bekam ich die Briefe zuweilen doch zuerst in die Hand. Die seltsamen Sendungen aus Danzig interessierten mich. Ich paßte auf. Am 23. August war wieder ein Brief von gleichem Format darunter. Ich will ehrlich sein: ich habe den Umschlag heimlich geöffnet, Herr Harst, auch die der nächsten drei Briefe. Und – auch in diesen vier Umschlägen nichts als leere Briefbogen!“

      „Wann trafen die Briefe Nr. 4, 5 und 6 ein?“

      „Am 24., 25. und 26. August, – jeden Morgen einer.“

      „Und dann?“

      Dann war der Chef wieder gesund, und ich konnte nicht mehr feststellen, ob noch mehr von diesen Briefen anlangten.“

      Herr Karl-Ernst Lehmann schwieg und beschaute verlegen seine spitzen Fingernägel.

      „Nun kommt die Hauptsache, nicht wahr?“ munterte Harald ihn auf.

      „Ja – wie man’s nimmt, Herr Harst. Die Hauptsache sind doch wohl die sechs leeren Briefbogen. – Gestern mußte ich einen Brief nach London schreiben. Der Chef setzt mir stets bei Briefen ins Ausland den deutschen Text auf, den ich übersetzen muß. Er selbst kann nicht englisch, ebensowenig französisch.“

      „In diesem Text fiel Ihnen etwas auf?“

      „Ja. – Ich habe mir den Entwurf abgeschrieben. Hier ist er –“

      Karl-Ernst Lehmann legte einen Zettel vor uns hin. Wir lasen folgendes:

      Herrn

      Stuart Austin,

      London,

       Baker-Straße 24.

      Auf Ihre letzten Anfragen teilen wir Ihnen höflichst mit, daß die Warenproben Nr. 5 und 6 am meisten unseren Wünschen entsprechen. Wir bitten daher um einen größeren Posten, da der Artikel zur Zeit recht gangbar ist.

      Allemannia, Agenturen – p. v.

       Max Gumlowsky.

      Harst legte den Briefentwurf wieder auf den Tisch.

      „Sie wunderten sich, Herr Lehmann, weil keine Warenproben eingegangen waren, auf die dieses Schreiben sich beziehen könnte?“ fragte Harald.

      „Ja. Außerdem darüber, daß der Chef mir weismachen wollte, es handele sich um Feuerzeuge, die wir allerdings von Herrn Austin aus London erhalten hatten.“

      „Ließen Sie Ihre Zweifel laut werden?“

      „Nein, Herr Harst. – Heute vormittag erfolgte dann das Dritte, was mich seltsam berührte. Gumlowsky wurde gegen zehn Uhr am Telephon verlangt, das heißt, es fragte jemand, ob Herr Gumlowsky zu sprechen sei. Ich rief zurück: „Hier Max Gumlowsky u. Komp.“ – Darauf der Fremde: „Du – ich bin wieder in Berlin! Habe soeben Deine Nummer im neuen Telephonbuchnachtrag gefunden – Mensch – rate mal, wer mit Dir spricht?“ – Dann lachte der Fremde und fügte hinzu: „Das rätst Du nie! Der schwarze Mar ist’s! Nachmittags um zwei Uhr komme ich zu Dir. Halte die Luft rein! Auf Wiedersehn, Gumlochen!“ – Da dachte ich mir, daß es ratsam sei, den Harmlosen zu spielen, und rief schnell: „Entschuldigen Sie, Herr Mar – ich bin nur der Prokurist. Der Chef ist ausgegangen. Ich werde ihm aber bestellen, daß Sie um zwei Uhr ihn besuchen wollen.“ – Dann hörte ich einen Fluch – und es meldete sich niemand mehr.“

      „Was sagte Gumlowsky, als Sie ihm von dem schwarzen Mar berichteten?“

      „Oh – ich erzählte nur, ein Herr Mar habe ihn sprechen wollen und würde sich um zwei Uhr einfinden. – Aber – das Gesicht des Chefs hätten Sie sehen sollen, Herr Harst. Ganz blaß wurde Gumlowsky, dann puterrot; dann bückte er sich schnell und hob seinen Hut auf, den er natürlich absichtlich hingeworfen hatte. „Ach so – der Herr Mar!“ Und dann sprach er vom Wetter. – Ich habe von eins bis drei Tischzeit. Aber die Neugierde ließ mir keine Ruhe. Ich wollte den schwarzen Mar sehen, stellte mich um ¾2 gegenüber in den Hausflur und paßte auf. Es kam jedoch kein Mensch zu Gumlowsky. Nur eine ältere Dame betrat den Laden. Es wird eine Bekannte Frau Gumlowskys gewesen sein.“

      „Wahrscheinlich!“

      „Dann spürte ich nachmittags ganz deutlich, daß der Chef mich aushorchen wollte, ob ich etwa bei dem Telephongespräch mit Herrn Mar etwas Besonderes gefunden, also irgendwie Verdacht geschöpft hätte. Ich spielte wieder den Harmlosen. Aber – als ich so gegen acht Uhr meine Wohnung in der Kantstraße Nr. 36 – ich wohne dort möbliert – verließ und mit der Straßenbahn bis hier nach Schmargendorf fuhr, da – da bemerkte ich vom Innern des Wagens aus auf der Plattform einen Mann, der mich zuweilen mit so einem besonderen Blick streifte. – Gewiß, der Mann hatte keinerlei Ähnlichkeit mit meinem mageren, bartlosen Chef, hatte einen rötlichen Vollbart, trug keinen Hornkneifer, hatte eine noch dickere Nase als Gumlowsky und war korpulent. Und trotzdem: die Augen verrieten den verkleideten Spion! Es waren meines Chefs unruhige, halb zugekniffene Augen; es war dasselbe nervöse Zwinkern des linken Auges. Jedenfalls – nachdem ich erst einmal auf den Mann aufmerksam geworden war, nachdem ich ihn heimlich weiter belauert hatte, ward es mir zur Gewißheit: es ist Max Gumlowsky! – Ich hütete mich daher, etwa hier in der Nähe Ihres Hauses auszusteigen, Herr Harst. Ich fuhr bis zum Viktoria-Louise-Platz und betrat dort ein Cafee, das zwei Eingänge hatte, verließ es sofort wieder durch die andere Tür und sprang in ein Auto. Aus Ihres Freundes Schilderungen Ihrer Abenteuer weiß ich, daß man auch durch das Laubengelände an die Rückseite Ihres Grundstücks gelangen kann. Als ich dann zu Fuß mich dem Gartenzaun auf dem Feldwege näherte, als ich mich mißtrauisch nochmals umschaute, sah ich – Gumlowsky, der mir laufend folgte. Da habe ich dann nicht lange gezögert, kletterte über den Zaun, eilte durch den Gemüsegarten und schlich zuletzt links am Zaune entlang dem Hofe zu –“

      „Deshalb also hat der Hund Sie nicht gemeldet! – Dann verschwanden Sie im Hühnerstall –“

      „Ja, Herr Harst –“

       Inhaltsverzeichnis

      „Bitte, nehmen Sie eine Zigarette. – So. Noch einige Fragen. Die sechs leeren Briefbogen interessieren


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