Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
vorn aus dem Nebel kam ein helles, taktmäßiges Kling – kling – kling – kling –
Wir hatten es gleichzeitig gehört.
Harst rannte wieder nach der Luke zum Maschinenraum zurück. Die Motoren arbeiteten noch langsamer.
Ich rührte den Klöppel mit aller Kraft. Da mußte dicht vor uns ein anderes Fahrzeug sein.
Dann verstummte unsere Glocke. Ich lauschte.
Wieder das taktmäßige, schwache Kling-kling – kling-kling – kling-kling.
Unsere Miramare hatte kaum noch Fahrt. Das seltsame kraftlose Anschlagen der anderen Schiffsglocke entfernte sich nicht, blieb in unserer Nähe.
Dann hörte ich, wie Harald Asbörn Prang zurief:
„Steuern Sie mal mehr nördlichen Kurs! Herum mit dem Steuer!“
Gleich darauf erschien er neben mir.
„Warte – nicht läuten!“ sagte er hastig. „Dieses Anschlagen der anderen Glocke erfolgt nicht durch Menschenhand. Der Klöppel schwingt beim Schlingern des Schiffes von selbst hin und her. Daher die schwachen Töne.“
Er hatte das trichterförmige Sprachrohr mitgebracht, setzte es an den Mund, brüllte in den Nebel hinein:
„Schiff ahoi –! Welches Schiff dort?“
Keine Antwort.
Nur wieder das leise Tönen der Glocke – irgendwoher – jetzt scheinbar auf Steuerbordseite.
Nochmals rief Harald – dann noch ein drittes Mal.
Wieder nichts!
„Dort drüben ist ein Fahrzeug ohne Besatzung,“ erklärte er jetzt. „Wir wollen im Kreise fahren. Dann müssen wir es finden! Geh’ und sage Prang Bescheid!“
Die Miramare beschrieb einen Bogen.
Ich horchte. All meine Sinne waren gespannt.
Harst kam mit einem Bootshaken.
Und – kaum stand er neben mir, als das geisterhaft leise Tönen der Glocke dicht vor uns erscholl.
„Prang – rückwärts!“ brüllte Harald und hob den Bootshaken.
Da wuchs auch schon vor uns aus den Nebelschleiern eine Schiffswand empor.
Der Bootshaken krachte gegen die Planken. Ich packte mit zu.
So glitt unsere Miramare denn an dem fremden Fahrzeug entlang.
„Stopp, Prang, – stoppen!“ befahl Harst.
Der Bootshaken erwischte noch gerade die Heckreling des Fremden.
Nun lagen wir Bord an Bord; nun reckte Harst sich hoch, kletterte hinüber, verschwand.
„Teufel, was mag das für ein Kahn sein?“ flüsterte Prang.
Und die Antwort gab Harst. Wir sahen ihn nicht; wir hörten nur seine Stimme.
„Es ist die Kattegatt Goldners! Die beiden Masten sind gekappt. Ich werfe Euch ein Tau zu –“
So wurden die beiden Jachten, die große und die kleine, nebeneinander vertäut.
Dann kletterten auch Prang und ich auf die Kattegatt hinüber, nahmen Laternen mit, fanden Harald in der großen Heckkajüte, wo er soeben die Pendellampen anzündete.
Wir durchsuchten alle Räume. Es war keine lebende Seele an Bord. Wir kehrten in die Kajüte zurück und besprachen das, was wir festgestellt hatten: von den Maschinen waren verschiedene Teile entfernt worden; in der Kombüse auf dem Patentherd stand noch ein halb gar gekochter Topf Reis; im Mannschaftslogis vorn war der Fußboden an drei Stellen mit Blut besudelt – verwischte Blutflecken.
„Was bedeutet das nun?“ sagte Prang leise.
Harald blickte starr auf den mit einer kostbaren Decke belegten Tisch.
Wir folgten der Richtung seines Blickes. Auf dem Tische lagen zwei rote Papierstreifen.
Harst ging, hob sie auf.
Es waren Papierringe gewesen. Man hatte sie durchgerissen.
„Nun – und?!“ fragte Asbörn Prang.
Im selben Augenblick schlug die Tür nach dem Mittelgang, die wir offen gelassen hatten, krachend zu.
Harald war schon mit zwei Sätzen an der Tür.
Zu spät. Sie war vom Gange aus verriegelt worden. – Prang hatte ebenso schnell die Tür nach der Treppe erreicht.
Auch verschlossen! Wir waren eingesperrt!
Jetzt auch bereits eine Stimme durch eins der halb offenen Oberlichtfenster:
„Vielen Dank für die Miramare! Sie kommt uns sehr gelegen – sehr!“
Orstras Stimme – ohne Zweifel!
Stille jetzt.
Dann das Geräusch der Motoren unserer Jacht, unserer Miramare. Das Geräusch entfernte sich schnell.
„Banditen!“ schimpfte Prang. „Banditen! So waren die Kerle doch an Bord!“
„Ja,“ nickte Harald versonnen. „Wahrscheinlich hatten sie sich oben an Deck verborgen! – Wenn wir nicht durch einen blöden Zufall in den Grund gebohrt werden wollen, müssen wir auch hier die Glocke läuten. Außerdem liegen die beiden gekappten Masten ja an Deck. Es wird sich einer davon schon irgendwie aufrichten lassen. Wir werden Segel setzen, damit die Kattegatt in Fahrt kommt und dem Steuer gehorcht!“
So sorgte Harst, daß wir keine Zeit fanden, zwecklosen Grübeleien nachzuhängen. Wir erbrachen die Türen.
Als gegen halb fünf morgens eine frische Brise die Nebelmassen vertrieb, als die Sonne dann aufging und wir den Horizont musterten, kam uns ein großer Seedampfer entgegen, schickte sechs Matrosen herüber, die uns auch den anderen Mast in Ordnung bringen halfen, und fuhr weiter.
Die Brise frischte immer mehr auf. Wir segelten vor dem Winde östlichen Kurs, Richtung Christiania. Um acht Uhr signalisierten wir einen Fischkutter heran, der einen Motor hatte. Über den Schlepplohn waren wir mit den Leuten bald einig. Der Kutter spannte sich vor die Kattegatt, und wir brauchten nicht mehr jede Minute zu fürchten, daß die notdürftig geflickten Masten samt den Segeln über Bord gingen.
Als wir abends im Christianiafjord der ersten Polizeibarkasse begegneten, wollten die Beamten mit uns ein langes Verhör anstellen. Doch Haralds Ausweis änderte die Sache. Wir konnten die Fahrt fortsetzen, und die Beamten versprachen auch, über die Ereignisse vorläufig Schweigen zu bewahren. Neues über die polizeilichen Ermittlungen konnten sie uns nicht mitteilen. Sie wußten nur, daß Herr Goldner mittags in Christiania eingetroffen war.
Um zehn Uhr abends machten wir am Bollwerk im Hafen fest. Harst ließ den Kriminalinspektor Doorsen herbeirufen, den wir von früher her kannten.
Wir vier saßen dann in der großen Heckkajüte, und nun endlich begann Harald – bisher hatte er sich völlig ausgeschwiegen – über die Vorgänge auf den Kragerö-Inseln, wie sie sich seiner Meinung nach abgespielt haben mußten, zu sprechen.
Der Leser wird zugeben, daß es nicht leicht war, aus den uns bekannten Tatsachen diese Vorgänge ohne innere Widersprüche zusammenzustellen.
Man bedenke, daß die Maschinen der Kattegatt absichtlich unbrauchbar gemacht worden waren, daß sich im Mannschaftslogis noch recht frische Blutflecken vorgefunden hatten und daß auch Orstra an Bord gewesen war. Allein die Frage, wie Orstra das Versteck der Kattegatt hatte finden können, schien kaum zu beantworten zu sein.
Und doch – wie zwanglos und einfach war dann Harsts Erklärung über die scheinbar so widerspruchsvollen Geschehnisse!
„Wenn diese Geschehnisse,“ sagte er, „logisch