Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel


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Mann habe eine Hornbrille mit runden Gläsern aufgehabt. „Als ich hinschaute, hielt er sich schnell die Hand vor das Gesicht und verschwand. Dann sprangen Sie schon auf den Tisch, Harst –“

      Herr Blörne kam jetzt gleichfalls in den Garten. Die mondhelle Nacht ließ sein bestürztes Gesicht deutlich erkennen.

      „Was ist denn geschehen?“ meinte er.

      „Gehen wir in Ihr Büro, Herr Blörne,“ sagte Harald kurz. „Es hat Fensterladen. Dort können wir nicht durch eine Revolverkugel gestört werden.“

      Blörne blickte scheu umher. Wir betraten das Hotel und setzten uns in das Büro um den mit Papieren bedeckten Sofatisch.

      Harst beschrieb Blörne nun das Gesicht am Fenster.

      Der Wirt dachte nach. Dann erklärte er sehr bestimmt:

      „Das kann nur einer der beiden Herren sein, die gegen halb acht Uhr mit ihren Frauen zu Fuß eintrafen.“

      Er nahm das Fremdenbuch, schlug es auf und zeigte auf eine Eintragung, eine der letzten.

      „Dies ist er: Samuel Goldner, Bankier, Kopenhagen, nebst Frau –“

      Harald prüfte die Schrift.

      „Habe ich noch nie gesehen,“ meinte er. „Welches Zimmer hat Herr Goldner?“

      „Nummer 18 im Erdgeschoß.“

      „So – 18! Das liegt dicht am Gartenausgang.“

      „Ja – ganz dicht – das zweite rechts.“

      „Wir werden Herrn Goldner fragen, was er draußen am Fenster des Speisesaales jetzt um ein Uhr nachts wollte! – Prang, Sie können mit Herrn Blörne vor den Fenstern von Nr. 18 aufpassen. Gehen wir!“ Und Harald schaltete die Taschenlampe ein, gab sie mir und entsicherte die Clement.

      „Die Vögel werden bereits ausgeflogen sein,“ sagte Prang achselzuckend.

      Harald stand noch regungslos da und starrte auf das aufgeschlagene Fremdenbuch.

      „Ich glaube, die Sache ist anders!“ flüsterte er. „Goldner – Goldner –! Ich habe den Namen letztens irgendwo gelesen. Orstra wäre wohl kaum so unvorsichtig gewesen, auf diese Weise zu spionieren. Außerdem ist die Schrift dort sehr charakteristisch. Es ist die eines Mannes, der außerordentlich pedantisch, selbstsüchtig, berechnend, aber doch harmlos ist. Die Schriftzüge lassen jedes Merkmal verbrecherischer Veranlagung vermissen.“

      Dann trat er in die dunkle Vorhalle hinaus, hob die Clementpistole mit jäher Bewegung und rief:

      „Halt! – Heben Sie die Arme lieber hoch, Herr Goldner!“

      Der breite Lichtschein, der durch die offene Bürotür in die Vorhalle drang, umspielte die korpulente Gestalt eines mittelgroßen Mannes, der vor dem runden Mittelsofa der Vorhalle stand und setzt angstvoll in gutem Englisch rief:

      „Master Harst – ich wollte Sie ja nur unauffällig sprechen!“

      Mit einem Ruck hatte er auch beide Arme sofort hochgereckt.

      Harald lachte. „Unauffällig nennen Sie das, Mr. Goldner?! – Gut – treten Sie hier ein!“

      Goldner gehorchte zögernd.

      „Setzen Sie sich, Mr. Goldner!“ Harald drückte die Tür zu und schloß ab.

      Der Dicke mit dem rotblonden kurzen Vollbart und der Hornbrille nahm behutsam Platz, indem er den Schoß seiner Touristenjoppe etwas hochhob.

      Seine halb zugekniffenen Schweinsäuglein irrten von Blörne zu Prang, dann zu mir und blieben nun auf Harald haften, der sich an die Tür gelehnt hatte.

      „Mr. Harst,“ sagte er unsicher, „dies – dies lag nicht in meiner Absicht!“

      „Das glaube ich, Mr. Goldner. Unauffällig war das nicht!“

      „Leider nein!“ Abermals schaute der dicke Herr auf Prang und Blörne und fügte hinzu: „Ich möchte nur Ihnen, Mr. Harst, und Ihrem Freunde Schraut eine kurze Mitteilung machen.“

      „Also sollen Blörne und ich verschwinden,“ sagte Prang keineswegs empfindlich. „Gehen wir, Herr Blörne.“

      „Nein!“ entschied Harald. „Sie und Herr Blörne werden genau so diskret sein wie wir, lieber Prang. – Mr. Goldner, erleichtern Sie also Ihr Herz. – Einen Augenblick noch!" –

      Er ging zum Zeitungsständer und nahm die Zeitungen der letzten vier Tage heraus, legte sie auf den Tisch und schien darin einen bestimmten Artikel zu suchen, rief dann:

      „Hier haben wir’s ja! Die Abendpost aus Christiania meldet vom 18. August des Jahres:

      „Dem Bankier Samuel Goldner aus Kopenhagen, einem der bekanntesten Großfinanziers Dänemarks ist am 16. des Monats seine Motorjacht „Kattegatt“ aus unserem Hafen offenbar gestohlen worden. Herr Goldner befindet sich zur Zeit auf einer Fußtour mit seiner Gattin in Telemarken und hatte dem Kapitän seiner Jacht, mit der er am 14. d. M. hier eingetroffen war, Befehl gegeben, ihn am 22. von Skien abzuholen. Am 16. morgens war die Jacht jedoch aus dem Hafen verschwunden. Besondere Umstände deuten darauf hin, daß die Kattegatt gewaltsam entführt worden ist. Den Kapitän und die drei Jachtmatrosen sowie den Koch und die Zofe Frau Goldners entdeckte man am 16. mittags auf einer kleinen Fjordinsel. Die sechs Personen konnten nur angeben, daß sie nach dem am 15. an Bord eingenommenen Abendessen von einer unerklärlichen Schlafsucht befallen worden waren und sich daher in ihre Kabinen zurückgezogen hatten, wo sie auch sogleich einschliefen. Als sie erwachten, lagen sie in den Büschen der kleinen Fjordinsel, fühlten sich aber so elend, daß sie sich nicht aufzuraffen vermochten. Ein Fischer, der zufällig nach der Insel kam, brachte sie dann mit seinem Kutter nach Christiania, wo man die Leute sofort im Krankenhaus in ärztliche Behandlung nehmen mußte. – Herr Goldner hatte befohlen, ihm die Briefe nach dem Hotel Dahlen in Dahlen nachzusenden, so daß, da sein Aufenthalt zur Zeit unbekannt ist, ihm die Nachricht von dem Vorgefallenen erst in Dahlen zugehen kann. Die Ermittlungen unserer Polizei haben bisher diesen Streich moderner Piraten, der uns in die Zeiten von vor hundertfünfzig Jahren zurückversetzt, nur insofern aufklären können, als drei Zeugen gefunden sind, die beobachtet haben, wie die elegante weiße Jacht, nebenbei eines der luxuriösesten Privatfahrzeuge Europas, den Hafen genau um Mitternacht verließ.

      Diese Zeugen sind drei Matrosen von drei verschiedenen hier ihre Ladung löschenden Dampfern. Sie haben übereinstimmend betont, daß die Jacht sich in demselben Moment in Bewegung gesetzt habe, als die große Hafenuhr zwölf zu schlagen begann. Weit wichtiger ist die Bekundung, daß zur selben Zeit ein von fünf Männern bemanntes Boot auf die Jacht sehr eilig zugerudert sei, dann aber habe umkehren müssen, weil es die Kattegatt nicht mehr einholen konnte. Die fünf Männer seien keine Matrosen gewesen, sondern hätten ganz den Eindruck von Touristen oder von Zugehörigen der wohlhabenden Stände gemacht. Ihr Boot sei dann wieder in der Richtung auf die Festung Akersbus verschwunden.

      Unsere Polizei ist der Meinung, daß es sich hier nicht um einen Schiffsraub als solchen handelt, sondern daß die Piraten, die sehr wohl wissen, daß die Jacht unverkäuflich ist, das elegante Lustfahrzeug ausplündern und dann versenken werden. Die Motoren allein sind 250 000 Kronen wert; die Lichtanlage, die Möbel, die Spiegelscheiben, Messingteile und Tauwerk mindestens ebenso viel.

      Es wäre Herrn Goldner vielleicht anzuraten, sich an Harald Harst zu wenden, der sich in Dahlen zuletzt aufgehalten hat, und ihn zu bitten, diesen Schiffsdiebstahl zu untersuchen, der fraglos einen sorgfältig vorbereiteten Streich darstellt.“

      Harald legte die Zeitung weg.

      „So, nun wissen wir ja, was vorgefallen ist, Mr. Goldner,“ meinte er. „Wann erfuhren Sie von dem Diebstahl?“

      „Am vergangenen Abend gegen acht Uhr. Ich holte mir die Briefsachen hier von der Postagentur ab, und darunter befanden sich auch zwei Depeschen und ein Brief Kapitän Bolkings, der mir den Raub der Kattegatt meldete und um Verhaltungsmaßregeln bat.“


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