Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
Harald kurbelte den Motor an. Das Auto war fahrbereit. Wer sollte hier Kraftwagen stehlen?!
Wir sausten davon, den Weg entlang – gen Odda – über die Hochebene.
Kamen auf die Bergstraße, mußten langsamer fahren. Unsere Laternen brannten nicht, kein Scheinwerfer beleuchtete den schmalen Weg, die drohenden Abgründe.
Dann eine gerade Strecke – hell vom Monde beschienen.
In der Ferne der erste Gletscher, der erste Gletschertunnel.
Hinein in die Finsternis des Tunnels. Beide Taschenlampen hielt ich hoch.
Das war unsere Beleuchtung.
Der Tunnel lag hinter uns; links ein Abgrund jetzt, rechts sanft ansteigende Felswände, und vor uns der zweite Tunnel.
Dann bremste Harst – bremste, stellte den Motor ab. Das Auto stand im Schatten.
Aus dem zweiten Tunnel war soeben ein Motorrad hervorgeschossen. Hell blinkte die Laterne, laut knatterte und knallte der Motor.
Wir duckten uns hinter dem Auto zusammen.
„Er kann es sein!“ flüsterte Harald. „Wir werden ihm den Weg versperren!“
Er hob einen langen, flachen Stein auf.
Das Motorrad kam näher.
Dann hatte der Fahrer das Auto bemerkt. Das Knattern verstummte.
Harald war schon mit langen Sätzen vorgestürmt. Ich folgte.
Der Radler war abgesprungen, drehte das Rad um, wollte sich in den Sattel schwingen.
Der flache Stein flog im Bogen, senkte sich, traf – traf den Kopf des Mannes.
Taumelnd, in die Luft greifend, halb betäubt torkelte der Radler dem Abgrund zu.
Ich schrie vor Schreck auf. Der Mann mußte abstürzen – schwebte schon über der Tiefe.
Harsts Rechte bekam nur noch den Rucksack zu packen. Das Gewicht des Mannes drohte ihn mit hinabzureißen. Er warf sich nach hinten, sank in die Knie, sank schwer nach vorn, lag mit der Brust über dem Abhang.
Ein Sprung, und ich lag quer über Harsts Beinen.
Seine Hand ließ den Rucksack nicht los; seine Linke packte gleichfalls zu.
Der Mann, der so über der Tiefe schwebte, drehte den Kopf. Es war ein Gesicht, das wir nicht kannten, blondbärtig, Brille, dicke Nase.
Und doch war es Ottmar Orstra.
„Lebend bekommt Ihr mich nicht!“ keuchte er. „Ich werde doch siegen!“
In seiner Hand blinkte ein Messer.
Er langte nach hinten, schnitt den Rucksack auf.
Und – wie Wassertropfen, glitzernd und funkelnd, fielen die Edelsteine heraus, verschwanden im Dunkel der Schlucht.
Dann – dann hatte er den einen Riemen ebenfalls durchschnitten, hing nur noch an dem andern, der ihm unter der rechten Achselhöhle lag.
„Sie haben gesiegt!“ – Der letzte Schrei, und er streckte den Arm lang, ließ den Riemen darüber gleiten, ließ sich hinabfallen.
Abermals schrie ich auf.
Wir lauschten dann.
Ob wir den Aufschlag des Körpers hören würden? Ob der furchtbare Ton bis zu uns empordringen würde?
Dann schon ein Krachen und Splittern.
Dann Haralds Stimme:
„Er ist in die Krone einer Tanne gestürzt. Vielleicht ist er noch am Leben! – Vorwärts – dort weiter nach Norden scheint der Abhang weniger steil zu sein!“
Wir liefen – wir kamen atemlos bei dem zweiten Tunnel an.
„Hier hat er ihm aufgelauert!“ keuchte Harst. „Hier werden wir das Opfer finden –“
Unsere Taschenlampen ließen die gleißenden Wände flimmern. Noch eine Biegung. Nun der grelle Schein zweier Autolaternen. Nun beugten wir uns über den schwarzbärtigen Mann, der hier auf dem Boden lag – mit einer Kugel in der Stirn.
Regungslos saß auf dem Chauffeursitz der Herr aus Odda – regungslos –!
Wir traten näher.
Aber – in den Augen war Leben.
„Gott sei Dank!“ sagte Harald und atmete erleichtert auf.
Wir hoben den durch zwei Schüsse schwer Verwundeten herab, betteten ihn im Auto.
„Das Geld!“ hauchte er angstvoll. „Das Geld! Den einen – schoß – ich – nieder. Der andere – entkam!“
„Beunruhigen Sie sich nicht!“ erklärte Harst und hob den Rucksack empor. „Hier sind die Banknotenpakete! Auch Herr Colding ist bereits befreit.“
Dann brachten wir den Verwundeten – es war der Kaufmann Siverdsen aus Odda – nach der Haukeli-Hütte, wo Harald ihn verband. Die Kugeln hatten zum Glück beide die Lunge nur gestreift. Herr Siverdsen war denn auch vier Wochen später völlig wiederhergestellt.
Erst gegen drei Uhr morgens konnten wir Asbörn Prang und den beiden Hotelgästen folgen, die, mit Tauen und Leitern ausgerüstet, in die Schlucht vorausgeeilt waren, um nach Orstra zu suchen.
Wir mußten wieder die beiden Tunnel passieren, mußten also nochmals an der Stelle vorüber, wo Orstras Helfershelfer lag.
Wieder flammten unsere Taschenlampen auf, als wir nun in den zweiten Tunnel einbogen. Wir hatten vorher vom Rande der Bergstraße in die Schlucht hinabgeschaut, hatten dort unten jedoch nichts von Laternenschein wahrgenommen, der uns die Anwesenheit Prangs und der beiden Herren verraten hätte.
„Vorsicht!“ meinte Harald jetzt. „Vorsicht, mein Alter. Prang muß die Schlucht doch längst abgesucht haben. Ich glaube fast, Orstra hat Glück gehabt und ist entwischt. Wenn er aber entwischt ist, tun wir gut, nicht so sorglos diesen Tunnel zu passieren.“
Er schaltete seine Lampe aus, sagte leiser: „Bedecke die Linse Deiner Lampe mit den Fingern und laß nur einen schmalen Strahl durch die Finger gleiten. Halte die Hand weit zur Seite gestreckt!“
Freilich – wenn Orstra jetzt wirklich uns mit Revolverkugeln bedenken wollte, würde ihm das Zielen sehr schwer fallen. Bei diesem schwachen Licht konnte er uns nicht einmal als dunklere Schatten erkennen.
Wir bewegten uns möglichst leise vorwärts, kamen um die Biegung herum, blieben stehen.
Vor uns ein schwacher Lichtschein und ganz undeutlich eine kniende Gestalt.
Jetzt seltsame Laute – Weinen, Schluchzen.
Das war ein Weib, die da neben dem Toten kniete, ein Weib, ohne jedes Interesse für die Umgebung, ganz aufgelöst in Trauer und Schmerz.
„Die andere Seite des Dramas!“ flüsterte Harald, der mit seiner Hand schnell meine Taschenlampe bedeckt hatte.
Ich starrte hinüber. – Die andere Seite des Dramas?! Was hieß das –?
„Mary Colding!“ sagte Harst dann ganz leise mit merkwürdiger Betonung. „Nur sie kann es sein – sie und der Mann, den sie nicht heiraten sollte!“
„Der Tote – Austin Parkner?! Und – Parkner ein Genosse Orstras?!“ meinte ich zweifelnd.
„Das glaube ich nicht. Ich nehme etwas anderes an. Denke an Marys merkwürdiges Benehmen, als sie mit Jane auf der Jacht war. Sie sprach kein Wort. Die Blicke, die mich streiften, verrieten Feindseligkeit und – Angst! Erst zum Schluß betonte sie, daß sie dagegen gewesen sei, mich um Hilfe zu bitten. Und nachher schrieb sie den zweiten Drohbrief. Sie hat es getan, denn Orstra log, als er behauptete, er hätte