Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
Lörax krabbelte schwerfällig hoch. Er brummte irgend etwas, das ein Gute Nacht-Gruß sein konnte, und folgte Prang.
Wir hörten, wie das Geräusch ihrer Schritte leiser und leiser wurde.
Dann faßte Harst unter die Wolldecke und holte den zweiten Drohbrief hervor, den er sehr geschickt dort hatte verschwinden lassen, nahm den anderen Brief aus der Brusttasche und sagte:
„Brühe uns Tee auf, mein Alter. Ich habe Hunger.“
Er legte sich lang auf den Bauch und verglich die beiden Briefe. Dann flüsterte Harald plötzlich:
„Achtung –!“ und fügte laut hinzu:
„Der Grobian von Professor hat den Brief hier gelassen, nein, beide Briefe! Ich werde ihm nachlaufen. Er und Prang können noch nicht weit sein!“
Er eilte hinaus. Die Steinhütte hatte weder Tür noch Fenster, nur zwei Maueröffnungen. Es war wohl eine frühere Schäferhütte.
Ich stellte die Aluminiumbecher auf die Erde und die Eßwaren daneben. Aber – meine Gedanken waren draußen, und meine Ohren achteten auf das geringste Geräusch. Doch – nur der Wind umsäuselte die kleine Hütte.
Was hatte das geflüsterte „Achtung!“ zu bedeuten gehabt?! Befand sich wirklich ein Lauscher in der Nähe?!
Und – wenn es so war, dann konnte es nur einer der Masken-Brüder sein!
Ich gebe zu: ich fühlte mich gar nicht behaglich! Die Fensteröffnung lag kaum anderthalb Meter über dem Boden, und auch durch das Türloch konnte man mir bequem einen Stein an den Kopf werfen, konnte mich so geräuschlos stumm machen!
Ich war froh, als ich dann Harsts Stimme vernahm:
„Hallo – erledigt! Ich habe die beiden noch eingeholt!“
Er trat ein und setzte sich.
„Her mit dem Tee!“ meinte er. „Schade, daß das Zeug so heiß ist. Man kann sich nur zu leicht den Mund verbrennen!“
Die beiden letzten Worte wurden unmerklich betont.
Ich verstand: Ich sollte mit Äußerungen vorsichtig sein! Es war also doch ein Lauscher draußen!
Wir begannen zu essen.
„Eigentlich ein Unsinn, daß wir hier so ungemütlich nächtigen,“ sagte Harald nach einer Weile. „Weshalb sollen wir nicht in der Haukeli-Hütte in einem anständigen Bett schlafen, wo wir doch als Gegner der Masken-Brüder ausgeschieden sind!“
„Du hast ganz recht!“ erklärte ich.
„Ja, Prang hätte uns ruhig bis zur Haukeli-Hütte fahren lassen sollen –“
„Er glaubte wohl, Du würdest Dich anders entscheiden.“
„Anders?! Sollen wir gegen den Willen der Coldingschen Damen etwas unternehmen?! Nein – die Verantwortung wäre zu groß!“
„Allerdings!“
„Wenn wir jetzt im Haukeli ein Zimmer haben wollen, wird es wohl eine Stunde dauern, bis wir die Bedienung herausgetrommelt haben. Schließlich – man kann auch hier es sich behaglich machen! Decken haben wir ja. – Übrigens – was den zweiten Drohbrief betrifft – er war von einer Frau geschrieben und mit einer lila Tinte, die die Briefschreiberin sich selbst hergestellt hat –“
Meine Aufmerksamkeit für Harsts Worte, die jedoch nur für den Lauscher berechnet waren, blieb gering.
„Lila Tinte – aus einem Kopierstift und Wasser zubereitet,“ fuhr er fort. „Hm – ob nicht Mary Colding vielleicht diesen Brief geschrieben hat?“
Da schwand meine Interessenlosigkeit.
„Du schaust mich so überrascht an, mein Alter! Bedenke aber, daß die blonde Mary stets gegen unsere Mitwirkung war! Kann sie da nicht aus Angst um den Vater den Brief der Älteren ins Zimmer gelegt haben? Wer tat dies, wenn Mary nicht in Betracht käme?! Unter den Gästen ist kein Verdächtiger, und in die Baulichkeiten des Haukeli kann ein Fremder sich unbemerkt nicht einschleichen! Außerdem: nur Mary konnte wissen, daß ich den ersten Drohbrief behalten hatte!“
„Hm, nicht ganz von der Hand zu weisen,“ meinte ich.
„Ja, – und wenn Mary nun wirklich diesen zweiten Drohbrief fabriziert hat, dann – dann brauchten wir gar nicht auf eine weitere Arbeit hier zu verzichten! Dann könnten wir hier bleiben und den Masken-Brüdern einen dicken Strich durch die Rechnung machen!“
„Das stimmt! Aber – wie willst Du feststellen, ob Mary Colding sich diesen „Scherz“ geleistet hat?“
„Ich brauche nur Jane zu bitten, mir eine Schriftprobe ihrer jüngeren Schwester zu verschaffen. Und – das werde ich morgens tun, denn Mary ist zu ungeübt, ihre Handschrift so zu verstellen, daß ich nicht Ähnlichkeiten herausfinden sollte!“
„Das läßt sich hören!“
„Schade! Wenn mir dies alles schon vorher eingefallen wäre, als noch Prang und der Professor hier waren, dann hätte ich Lörax bitten können, Jane zu ersuchen, ihm irgend etwas Schriftliches von Marys Hand zu geben.“
„Freilich – dazu ist’s jetzt zu spät –“
„So. Ich bin satt. – Nun die Nachtlager. Die Rucksäcke werden als Kopfkissen genügen –“
Fünf Minuten drauf lagen wir nebeneinander in der dunklen Hütte – ganz dicht nebeneinander, der Türöffnung schräg gegenüber. Zwei Decken hatten wir als Matratzen benutzt, die beiden anderen über uns gebreitet.
Als ich die Kerzen ausgelöscht und mich ausgestreckt hatte, als nur noch Haralds glimmende Zigarette wie ein Glühwürmchen leuchtete, da hörte ich ein leises Knacken.
Ich kannte es.
Und auch ich legte die neunschüssige Clement entsichert und gespannt neben mich.
Das Knacken war das Geräusch des zurückgleitenden Sicherungsflügels gewesen.
3. Kapitel
Die grüne Maske
Halb rechts lag die Türöffnung. Schaute man hinaus, so sah man die helle Haukeli-Hochebene, hell vom Mond- und Sternenschein.
Und jenseits des weiten Plateaus in den Randbergen überall weiße Tupfen: Schneefelder! Sogar auf der Ebene waren noch hie und da grau bestaubte Schneehalden sichtbar. –
Ich wartete, daß Harald mir nun flüsternd Aufschluß über den Lauscher geben würde.
Er rauchte und schwieg.
„Ist er noch da?“ fragte ich schließlich ganz leise.
„Er war gar nicht da. Sie war da!“
„Wer?“
„Das weiß ich nicht. Jedenfalls ein Weib.“
„Wie hast Du dies bemerkt?“
„Gesehen habe ich sie.“
„Durch die Tür?“
„Nein – durch die Löcher in der Wand. Die Steine sind nur durch Lehm verbunden. An einer Stelle gibt es da in der Seitenwand ein faustgroßes Loch, etwa vierzig Zentimeter über dem Boden. Ich saß so, daß ich hinausschauen konnte. Und so erspähte ich die Schnürstiefel und den Rocksaum eines Weibes, das lautlos an die Hütte heranschlich.“
„Ob es Mary Colding war?“
„Glaube ich nicht. Wer anders!“
„Jane etwa? – So rede doch!“
„Bitte