Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
versprach, am Morgen beim Frühstück im Speisesaal die Neugier der Herrschaften zu befriedigen.
Man zerstreute sich murrend.
Wir fünf gingen dann in unser Wohnzimmer. Harald hatte die beiden Ölbilder sich von dem Hotelbesitzer wieder aushändigen lassen und nahm sie mit nach oben.
5. Kapitel
Nun saßen wir um den Sofatisch herum bei geschlossenen Fenstervorhängen und verriegelten Türen; nun sagte Mr. Gloux, der am allereifrigsten bei der Suche gewesen, indem er auf die auf dem Tische liegenden Bilder deutete:
„Schießen Sie los, Mr. Harst. Wir vier, denke ich, sind alle gleichmäßig gespannt auf Ihre Enthüllungen.“
Da – ein schüchternes Klopfen an die Tür.
„Es ist das Stubenmädchen Igne Bröm,“ erklärte Harald. „Ich habe sie gebeten, hierher zu kommen und das mitzubringen, was sie am 9. August abends in Alice Darhagens Zimmer auf dem Fußboden fand und mitnahm, während Alice weinend am Fenster saß.“
Ich riegelte die Tür auf. Das Mädchen war durchaus nicht verschüchtert. Sie erzählte, wie sie Alice damals den mit der letzten Postbestellung anscheinend mit eingetroffenen Brief auf das Zimmer gebracht, wie Alice die weiße Karte aus dem offenen Umschlag genommen und gelesen hatte und dann aufschluchzend auf den Stuhl am Fenster gesunken war, wie sehr bald Miß Beßport eintrat und Alice tröstete, die wiederholt rief: „Oh – der Schändliche! Ich will die Karte nicht mehr sehen!“ – Da hatte Igne Bröm die Karte und den Umschlag denn aufgehoben. –
Beides reichte sie nun Harst, der sie mit kurzem Dank und einem Zwanzig-Kronen-Schein wieder wegschickte.
Harald gab Bruckner die Karte. Es war wirklich eine Verlobungsanzeige Bruckners mit einer „Else Müller“.
Dann verglichen wir den Brief, den Rat Darhagen erhalten hatte, mit der Aufschrift des Umschlags der Verlobungsanzeige. Auch hier fanden sich deutliche Schriftähnlichkeiten.
Harald begann jetzt den ganzen Fall „Alice Darhagen“ genau so zu erläutern, wie er es bereits mir gegenüber getan hatte.
Als er davon sprach, daß Alice wahrscheinlich bei dem Bauer Kölding weile, sprang Bruckner auf. „Ich will sofort hin!“ rief er. „Prang, Sie begleiten mich doch –“
„Noch ein paar Minuten!“ meinte Harald. „Ich bin sofort mit meiner Theorie fertig. Sie sollen doch auch das Wichtigste hören. – Agna Orstra hatte also die Juwelen in Händen. Ihr kam es nun darauf an, die Edelsteine, die sie aus den Fassungen herausgebrochen hatte, so zu verbergen, daß niemand sie finden und daß sie dieselben dennoch jeder Zeit mitnehmen könnte. Sie wählte ein Versteck für die Brillanten, das in seiner Art durchaus nicht neu ist. Schmuggler, Edelsteinschmuggler waren es, die den Trick zuerst ersannen. Er besteht darin, daß die Steine unter der dick aufgetragenen Farbe von Ölgemälden verborgen werden –“
„Ah!“ machte Gloux. „Also deshalb die beiden Gemälde!“
„Ja – deshalb! – Sie liegen hier vor uns – so, wie ich sie in der Höhle fand. Bevor wir die Steine nun zu Tage fördern – die weniger wertvollen Fassungen wird Agna Orstra anderswo versteckt haben, noch ein paar Worte über den Zweck von Agnas Erscheinen hier im Hotel Dahlen. – Das, was ich darüber jetzt ausführe, beruht lediglich auf Kombinationen. Der angeblickt Franzose Delville war Ottmar Orstra. Das steht fest. Er dürfte nun mittags nach unserer Ankunft seiner Schwester Agna oder aber jenem Baptiste, der seine Schandtaten bereits gebüßt hat und der mit Agna zusammen in der Grotte oder doch in der Nähe sich aufhielt, durch die Lichttelegraphie mitgeteilt haben, Agna solle sich jetzt ebenfalls hier im Hotel Dahlen einfinden, damit sie beide, Bruder und Schwester, gemeinsam einen Anschlag gegen uns vorbereiten könnten. Der Umstand, daß Agna Orstra sich gleichfalls hier ins Hotel wagte, beweist, daß die Verbrecher sich ganz sicher fühlten. Erst als Schraut und ich dann den Weg nach jenem Tale einschlugen und der verkleidete Ottmar Orstra erkannte, welchem Ziele wir zuwanderten, wird er eingesehen haben, daß wir mehr wußten, als er ahnte. Da war es für ihn aber bereits zu spät, Agna Gegenordre zu geben, damit sie das Hotel meide. So kam es, daß wir sie hier wirklich antrafen. Sie floh – floh auf sehr geschickte Weise. – Das wäre nun alles –“
Asbörn Prang verneigte sich gegen Harald. „Mr. Harst meine Hochachtung! Sie haben –“
Ein gellender Schrei irgendwo im Flur ließ ihn schweigen.
Der Schrei wiederholte sich.
„Feuer – Feuer!“
Türen wurden zugeschlagen.
Die Rufe des Schreckens, des Entsetzens mehrten sich.
Wir stürmten in den Korridor hinaus.
Beißender Qualm trieb uns entgegen.
Ein Qualm, der scharf nach Petroleum roch.
„Brandstiftung!“ rief Harst mir zu.
Prang, Bruckner und Gloux waren schon durch die Rauchschwaden der Haupttreppe zugeeilt.
Harald zog mich von der offenstehenden Tür unseres Wohnzimmers weg und flüsterte:
„Der Brand gilt den beiden Bildern! Gib acht, was geschieht –“
Der Qualm wurde stärker, zog in unser Zimmer hinein.
Wir standen dicht neben der Tür. Und, um die Türfüllung lugend, gewahrte ich nun undeutlich eine Gestalt, die sich durch das eine Fenster ins Zimmer schwang.
Eine Frau war’s – die Grauhaarige –!
Dann – ich hatte mich wohl zu weit vorgebeugt! – dann hatte sie meinen Kopf bemerkt.
Sprang zum Fenster zurück.
Harald war schon hinter ihr, packte zu – griff ins Leere – bekam nur das Tau in die Finger, das vom Dache herabhing.
Er schwang sich hinaus, hing an dem Tau, kletterte empor. Ich folgte ihm. Es war ein Leichtsinn, dem Tau auch noch mein Gewicht anzuvertrauen. Aber – es hielt.
Harald hatte die Dachrinne erreicht, kroch auf das Pappdach – gab mir die Hand, zog mich empor.
Agna Orstra hatte kaum dreißig Sekunden Vorsprung.
Aber sie war nirgends zu bemerken.
Dabei war das Dach durch die aus den Fenstern herauszüngelnden Flammen taghell erleuchtet.
Nein – nur dort am Ende des Daches nach Nordost zu stand ein Weib in langem Nachtgewand mit aufgelöstem blonden Haar und schrie gellend um Hilfe – offenbar ein Hotelgast, der über die Bodentreppe und durch die Dachluke hierher geflüchtet war.
Harald schritt rasch auf das Weib zu, die sich vor Angst wie eine Wahnsinnige gebärdete, jetzt uns entgegeneilte und vor Scham über ihr mangelhaftes Kostüm den linken Arm über ihr Gesucht deckte.
„Durch die Dachluke – wieder nach unten!“ kreischte sie und wollte an uns vorüber.
Harst vertrat ihr den Weg.
„Agna Orstra – Sie haben verspielt!“ rief er. „Unter dem Nachthemd kommen die –“
Da – ihr rechter Arm zuckte hoch.
„Noch nicht verspielt!“ höhnte sie – zielte – drückte ab!
Harald taumelte, sank mir in die Arme.
Und – wieder das höhnische, grausame Lachen.
„Noch fünf Schuß! Und – jeder soll treffen –“
Harst rutschte völlig zu Boden. Nein – er rutschte nicht! Er hatte sich einen Schwung nach vorn gegeben, riß mich um.
Ein