Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
drehte sich um sich selbst, wurde gerade noch von Harst aufgefangen.
Asbörn Prang stürmte herbei – von der Dachluke her, den Revolver noch halb erhoben.
„Der Schuß wird mir nie leid tun!“ keuchte er ingrimmig.
Harst faßte in die Brusttasche, holte sein goldenes Zigarettenetui hervor. An der einen Seite steckte die Revolverkugel in dem Edelmetall.
„Meine Leidenschaft für Zigaretten hat mir das Leben gerettet,“ sagte Harald schlicht. –
Unten kam die Dorfspritze angerasselt. Hotelgäste erkletterten das Dach, bildeten [eine] Kette, reichten sich Wassereimer zu. –
Harst hatte die Sterbende behutsam niedergleiten lassen, hatte ihren Kopf in den Schoß genommen.
Rauchwolken strichen über uns hin, die wir hier um die Todgeweihte herumstanden.
Prangs Kugel war ihr schräg durch die Brust gegangen. Zwei dünne Blutfäden rannen aus den Mundwinkeln zum Kinn hinab.
Agna Orstra lag mit geschlossenen Augen da.
Schlug nun die Lider matt empor, stierte geradeaus in die Flammen – in den weißen Qualm.
„Sie haben Alice Darhagen hypnotisiert!“ sagte Harald, jedes Wort betonend.
Und die Sterbende nickte.
„Ist Alice bei Bauer Kölding?“
„Ja!“ hauchte sie. „War – war – krank. Nervenfieber –!“
Ihr Blick ruhte jetzt auf Haralds Gesicht.
„Hüten – Sie – sich!“ stieß sie mit letzter Kraft hervor. „Ottmar – will – will – Gletscher –“
Dann ein Ruck durch den Körper – ein Dehnen aller Glieder – ein Blutquell aus dem Munde.
Agna Orstra war tot. –
Nach einer Stunde hatte man das Feuer bewältigt. Wäre die Nacht nicht windstill gewesen, würde das ganze Hotel in Flammen aufgegangen sein.
So aber war der angerichtete Schaden verhältnismäßig gering. –
Mitternacht war vorüber, als wir beide, Prang und Bruckner durch den noch immer verqualmten Korridor nach unserem Wohnzimmer eilten.
Die beiden Ölgemälde – waren verschwunden.
„Ottmar Orstra!“ sagte Harald nur.
Dann machten wir uns nach dem Gehöft des Bauern Kölding auf den Weg.
Liebesszenen, ein Wiedersehen und Wiederfinden zwischen zwei Liebenden, zu schildern, übersteigt meine geringen Fähigkeiten als Schriftsteller-Dilettant.
Alice Darhagen hatte viel gelitten. Die Seligkeit dieses einen Augenblicks, da Bruckner sie jubelnd an sich zog, machte alles Leid gegenstandslos.
* * *
Das ist die Schreckensnacht im Hotel Dahlen.
Frau Viehgroßhändler Flamborg hat ihre Juwelen nie wiedergesehen, obwohl wir sie Ottmar Orstra beinahe –
Doch nein!
Ich schließe mit der Bemerkung, daß Mr. Albert Gloux nach wie vor jedes Jahr in Dahlen Forellen angelt und uns dann stets eine Ansichtskarte mit herzlichen Grüßen schickt.
Die Leiche im Gletschertunnel
1. Kapitel
Um drei Millionen
Harald Harsts Kampf gegen den seit vielen Jahren von der Polizei aller Länder eifrigst gesuchten Bankräuber und Mörder Ottmar Orstra hatte, wie ich in den vorhergehenden Bänden geschildert habe, bei den berühmten Trollhätta-Wasserfällen in Schweden begonnen und war nun nach aufregenden, wechselvollen Ereignissen in dem Bergdorfe Dahlen in Norwegen scheinbar zu einem vorläufigem Abschluß gelangt.
Orstras Schwester Agna und sein Helfershelfer, den wir nur unter dem Namen Baptiste kannten, hatten hier in Dahlen ihr Leben eingebüßt.
Wir wußten aber, daß Orstra das Haupt einer weitverzweigten Verbrechergesellschaft war und daß wir jeden Tag, jede Stunde damit rechnen mußten, recht gefährliche Beweise der erfindungsreichen Rachgier dieses vielseitig gebildeten und dabei äußerst verwegenen Menschen zu erhalten. –
Vier Tage nach dem Brande des Hotels Dahlen (vergl. Nr. 76 „Lord Plemborns Verbrechen“) saßen wir beide mit dem Detektiv Asbörn Prang aus Christiania auf dem Achterdeck der Jacht Miramare beim Morgenkaffee.
Die Jacht hatte Lord Plemborn uns zur Verfügung gestellt. Sie lag jetzt am Nordufer des Dahlen-Sees vertäut, also inmitten einer der großartigsten Berglandschaften, die meine naturfreudigen Augen je geschaut haben.
Man stelle sich einen kilometerlangen, ovalen See mit steilen, himmelhohen Felsufern vor, die sich nur nach Norden zu öffnen und einen Ausblick auf die schneebedeckten Berghäupter Telemarkens gewähren. Vor diesen Bergriesen im langgestreckten Tale die Häuschen des Dorfes Dahlen, eingebettet in das Grün von Bäumen und Sträuchern. Und als einziges größeres Gebäude das Hotel Dahlen, ein Holzbau mit zahllosen blinkenden Fenstern.
Über alledem die Morgensonne eines klaren Augusttages: ringsum Frieden und Ruhe; nur das feine Klingen der Glocken des auf den grünen Bergmatten weidenden Viehs.
Es lag eine wunderbar feine Stimmung über diesem Bilde, eine Stimmung, die uns drei fast andächtig schweigen ließ.
Wie störend wirkte jetzt das schnell näherkommende Rattern eines Autos, das auf der Bergstraße von Odda her im Eiltempo nahte.
Wir konnten es nicht sehen. Aber wir hörten es.
Mit einem Male sagte Harald:
„Es muß ein Privatauto sein, also keiner der den Verkehr nach Odda vermittelnden Kraftwagen. Die halten stets vor dem Hotel Dahlen, und dieses Auto kommt die Dorfstraße entlang hier zum See hinab –“
Asbörn Prang nickte und schaute Harst fragend an.
„Sie denken an einen Klienten, Harst?“ meinte er leise und lauschte dem Geräusch des Autos.
„Ich denke, daß Vergnügungsreisende nicht so rasen würden. Das Auto hat mindestens siebzig Kilometer Geschwindigkeit.“
„Also vermutest Du, daß wirklich jemand zu Dir will,“ sagte ich und stand auf, trat an die Reling und blickte nach der Dampferanlegestelle hinüber, wo die Dorfstraße endete.
Dann tauchte das Auto auch schon auf, hielt und ließ zwei Damen mit Autobrillen erkennen, die sich jetzt hastig erhoben, nach der Jacht hinblickten und ausstiegen.
Der Chauffeur nahm ihnen die gelblichen Staubmäntel ab und half ihnen beim Abbinden der Autobrillen. Dann kamen die beiden rasch am Seeufer entlang.