Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
hatte ihm die Tür geöffnet und ihm durch Zeichen angedeutet, recht schnell den Flur zu überqueren.
Er ließ die Tür dann halb offen und lauschte, indem er den Kopf recht weit vorschob, ohne jedoch die Wandlinie des Flurs und der Türen zu überragen.
Gloux’ Tür klappte zu. Gleich darauf auch eine zweite – nur ganz leise.
Harald zog unsere Tür zu, wandte sich um und sagte mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck:
„Das war vielleicht Delville!“
„Ja – Delville!“ nickte ich. „Delville, der gleich nach unserer Ankunft hier seinen Hohlspiegel zur Lichttelegraphie benutzte.“
Harst kam an den Tisch und nahm eine Zigarette, rannte sie an und legte Dalströms Depesche vor mich hin.
Ich las folgendes:
„Die beiden Bücher sind bereits nach Deutschland unterwegs. Ich fand sie hier bei Hot. Bargen, Havensgatan 58. Beides schon ältere Exemplare. Gruß Dalström.“
„Hm,“ meinte ich, „also wohnten Miß Beßport und Frau Drywater im Hotel Bargen. Es waren jedoch zwei ältere Damen. Und die Beßport, die echte Beßport, soll noch jung und von eigenartiger Schönheit sein.“
„Mithin –?“
„Mithin ist die eine eben nicht die Beßport, zumal Gloux sie hier gesehen hat.“
„Stimmt. Sie ist es nicht. Sie hat den Brief an den Rat Darhagen nur deshalb geschrieben, um zu verhüten, daß man gegen sie irgendwie Verdacht schöpfte. Sie hat sich fraglos den Namen Beßport nur zugelegt, weil es tatsächlich eine Helen Beßport gibt, von deren Existenz sie etwas wußte, ebenso wie von der Anwesenheit der Drywater in Stockholm. Alles sehr schlau – sehr! Besonders das eine, daß sie durch den Brief als erste über Alice Darhagen etwas Tatsächliches bekundete – eben daß Alice am 9. das Hotel um 11 Uhr abends verlassen hat. Sehr schlau! Wer weiß, wer diese Helen, die falsche Helen sein mag!“
„Natürlich die Diebin der Juwelen der Frau Flamborg,“ behauptete ich.
Harst rauchte wieder zwei Züge. Das scheint ausgeschlossen zu sein, mein Alter!“
„So?! Weshalb denn?!“
Er faßte in die Tasche und legte eine Nummer der Christiania-Post vor mich hin.
„Bitte – innen steht der Artikel. Der Verfasser ist Asbörn Prang. Und – der ist kein Dummkopf!“
Ich will aus dem Aufsatz nur das Wichtigste anführen.
„Die Fensterscheibe im Schlafzimmer der Bestohlenen war von innen eingedrückt. Das Seifenpflaster auf der Scheibe saß freilich außen. Der, der die Scheibe eindrückte, stand jedoch im Zimmer. Da Frau Flamborg nun ihre Tür verriegelt und sogar noch einen Stuhl davor gerückt hatte, kann nur die Gesellschafterin den Diebstahl auf die Weise begangen haben, daß sie Frau Flamborg, die abends stets ein Schlafpulver nahm, ein stärkeres Pulver unterschob, welches so kräftig wirkte, daß die unter dem Bett verborgene Alice D. nachher in aller Ruhe die Scheibe eindrücken konnte und so den Anschein erweckte oder erwecken wollte, es sei jemand von draußen eingedrungen.“
Ich ließ das Blatt sinken. Und Harald sagte:
„Siehst Du, nach Asbörn Prangs Meinung muß es Alice Darhagen gewesen sein. Es ist also ausgeschlossen, daß es die schöne Helen war – nach seiner Ansicht.“
„Aha – nicht nach Deiner Ansicht!“
„Nein. Ich gab soeben, als ich „ausgeschlossen!“ sagte, nur des Kollegen Prang Meinung wieder.“ Er lächelte fein. „Ich wußte bereits nach Empfang von Gloux’ Brief, daß die Beßport die Diebin war.“
„Sie hat die Juwelen in der Höhle versteckt! Sie hat die beiden Bilder dort nur zurückgelassen, damit sie, falls sie beobachtet worden war, sagen konnte, sie habe die Gemälde dort verborgen!“
„Nicht schlecht kombiniert, mein Alter, doch lassen wir das jetzt! Gehen wir spazieren –“ –
Wir schlugen die Richtung nach Süden, nach dem See, ein. Das Tal und die Grotte lagen nordöstlich. Wir schlenderten recht gemächlich dahin, kamen durch die Dorfstraße und betraten ein kleines Gasthaus, bestellten Kaffee und plauderten mit dem Wirt.
Allmählich kam Harald auf den Diebstahl im Hotel Dahlen zu sprechen. Der Wirt hatte für Alice Darhagen starke Worte der Verteidigung.
„Das junge Mädchen hat’s nie im Leben getan! So ein guter mitleidiger Mensch wie sie stiehlt nicht. Das ganze Dorf sagt das!!“ ereiferte er sich.
„Woher kennt man denn Fräulein Darhagen hier so genau?“ fragte Harald interessiert.
„Nun – sie und Frau Flamborg waren doch seit dem ersten Juli hier, und Fräulein Darhagen hat dreimal ganz von selbst Schwerkranken die erste Hilfe angedeihen lassen. Als der Mann der Frau Kölding abgestürzt war, ist sie jeden Tag hinausgewandert zu den Köldings und hat den Verband erneuert – sogar zweimal am Tage.“
„Kölding –? Ist der Mann Bauer?“
„Ja, Herr. Kleinbauer! Dort am Ostufer des Sees liegt sein kleines Grundstück ganz einsam. Eine halbe Stunde hat man zu klettern bis dahin.“
„Wenn’s die Gesellschafterin nicht tat, – wer soll denn sonst die Juwelen gestohlen haben?“
Der Wirt zuckte die Achseln. „Die Herren von der Polizei hatten sich ja gleich derart auf das Fräulein festgebissen, daß sie andere Hotelgäste gar nicht in Betracht zogen! Natürlich ist der Dieb längst über alle Berge!“
„Wo mag denn aber das Fräulein hingeraten sein?“
„Dja, Herr, hier redet man so allerlei im Dorfe. Allerlei –!“
„Was denn?“
Der Wirt schaute Harald mißtrauisch an.
„Herr, Sie fragen so viel! Wer – wer sind Sie?“
„Einer, der es gut mit dem Fräulein meint – nur gut.“ – Er zog seine Brieftasche und legte vor den Wirt seinen Ausweis hin. „Da – ich bin Detektiv, bin der Deutsche Harald Harst!“
Der Wirt machte große Augen. „Wie – Herr Harst, der in Skien letztens die Sigrid Lingnörg —“
„Derselbe!“ fiel Harald ihm ins Wort. „Sie dürfen aber keiner Seele verraten, daß ich hier in Dahlen bin. – So – was redet man im Dorfe?“
„Hm – nur weil Sie es sind, Herr Harst! So was soll man besser für sich behalten. Also – das Stubenmädchen Igne Bröm hat am 9. August abends gehört, daß Frau Flamborg das Fräulein Darhagen ohrfeigte. Das hat die Flamborg nachher ängstlich verschwiegen. Und Igne Bröm weiß auch, daß das Fräulein am selben Abend einen Brief erhielt – aus Hamburg. Sie hat ihn gelesen. Er war offen –“
„Offen?“ fragte Harst gespannt.
„Ja, Herr – offen. Was drinstand, weiß ich nicht. Aber die Igne kann deutsch lesen.“
„Igne Bröm ist noch im Hotel Dahlen?“
„Ja, Herr. Es ist ein großes, blondes Mädchen, aber nicht eben hübsch.“
„Sie werden also schweigen!“
„Bestimmt, Herr.“
Wir zahlten und gingen, verfolgten einen armseligen Fahrweg, bogen links ab und kamen durch eine steile Schlucht auf die Hochebene.
Harst war schweigsam und tief in Gedanken.
Dort vor uns sahen wir das Eichenwäldchen an einem Steilabhang. Gloux hatte uns auf dieses Wäldchen besonders hingewiesen. Es sollte über der Terrasse und der Grotte liegen.
Wir mußten noch ein Tal durchqueren, um an die Stelle zu gelangen, von wo