Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
Harald, „wir werden heute mittag nach Skien fahren. Aber – es bleibt geheim! Ich kann mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen!“
„Wir gehen für Sie durchs Feuer, Herr Harst!“
„Das ist nicht nötig Gromsö. Nur bis Dahlen braucht Ihr zu gehen. – Sie besorgen alles, Gromsö. Um 12 Uhr machen wir vom Bollwerk los!“
Harst durchsuchte die Zeitung.
„Ah – hier haben wir’s. Eine Annonce – Riesenformat!
25 000 Kronen Belohnung!
In der Nacht vom 9. zum 10. August ist aus dem Hotel Dahlen die 21 jährige, unverehelichte deutsche Staatsangehörige Alice Darhagen verschwunden. In derselben Nacht wurden Frau Nora Flamborg im Hotel Dahlen Juwelen im Werte von 400 000 Kronen gestohlen. Da sich der Verdacht, den Diebstahl begangen zu haben, auf Alice Darhagen, die Gesellschafterin der Frau Flamborg, lenkte und dieser Verdacht noch besteht, setzen wir, die Endesunterzeichneten, obige Belohnung für zweckdienliche Nachrichten über den Verbleib des jungen Mädchens aus. – Nachricht erbeten an
Rechnungsrat Emil Darhagen, Hamburg,
Schmale Gasse 16,
oder an Dr. Manfred Bruckner,
zur Zeit Dahlen, Norwegen, Hotel Dahlen.
„Also der Vater und der Bräutigam, nehme ich an,“ sagte Harald sinnend und legte das Blatt weg.
Ich saß so, daß ich die Laufplanke, die vom Jachtdeck zum Hafenbollwerk hinüberführte, vor mir hatte.
Soeben war auf der Laufplanke ein schlanker, jüngerer Herr mit blondem Bürstenschnurrbart und Kneifer ohne Fassung erschienen.
Wir waren aufgestanden. Er lüftete den Hut.
Da sagte Harald schon: „Herr Bruckner, nicht wahr?“
„Jawohl. Mein Name ist Bruckner – Zahnarzt Doktor Bruckner aus Hamburg –“
2. Kapitel
Bruckner, eine sehr sympathische Erscheinung, nahm Platz. Er sah blaß und angegriffen aus. Seine Augen waren tief umschattet.
Er trug Harst dann seine Bitte vor, die dahin ging, daß Harald das Verschwinden seiner Braut aufklären möge.
„Ich bin seit dem 14. in Dahlen, Herr Harst,“ sagte er unter anderem. „Alice ist abends gegen elf Uhr am 9. August gesehen worden, wie sie in ihrem Lodenkostüm und mit Filzhütchen und Bergstock das Hotel verließ.“
„Von wem, Herr Bruckner?“
„Von einer gewissen Miß Beßport, einer Deutschamerikanerin, deren Bekanntschaft sie im Hotel Dahlen gemacht hatte.“
„Miß Beßport erzählte Ihnen dies, Herr Bruckner?“
„Nein. Sie schrieb es meinem Schwiegervater, dem Rechnungsrat Darhagen, nach Hamburg. – Ich habe den Brief hier. Er ist in den D-Zug Christiania-Göteborg eingesteckt worden, dem Stempel nach. Wünschen Sie den Brief zu sehen, Herr Harst?“
„Bitte –“ –
Es war eine feste, klare Schrift. Sie hatte sogar fast etwas zu Energisches an sich. Der Brief lautete:
Christiania, den 15. 8. 19…
Sehr geehrter Herr!
Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen zu machen eine Mitteilung über Ihre Tochter Alice, mit der ich bin gewesen beisammen in das Hotel Dahlen. Ich wundere mich selbst, daß mir nicht sein eingefallen diese Beobachtung schon in Dahlen gleich nach den Diebstahl. Am 9. August abends ich stand an meine Zimmerfenster, als ich sah Frau in Lodenkostüm gehen aus die Hotel hinunter zu den See durch das Dorf. Wirklich, ich wundere mich sehr, daß mir erst heute kommt in den Sinn, daß diese Frau kann sein gewesen Fräulein Alice. Aber damals ich habe geachtet so wenig auf diese Frau, daß ich nicht eher dachte an Miß Alice bis heute, denn die Detektivs in Dahlen immer nur fragten nach Alice, die sollte haben verlassen das Hotel spät nachts nach den Diebstahl. – Ich reise jetzt nach Stockholm und von da mit meiner Freundin Frau Drywater nach Deutschland. Ich werde zu Anfang September sein in Hamburg und mir erlauben vorzusprechen bei Ihnen, sehr geehrter Herr. – Helen Beßport.
Harald gab Doktor Bruckner den Brief zurück.
„Und der Erfolg, den Sie vorhin andeuteten, Herr Doktor?“ fragte er. „Sie sagten doch, daß Sie einen kleinen Erfolg zu verzeichnen hätten.“
„Ganz recht, Herr Harst. Ich habe auf diesen Brief hin, den mein Schwiegervater mir nachschickte, in Dahlen Haus für Haus die Leute ausgeforscht, ob jemand damals am 9. Alice ebenfalls auf dem Wege zum See gesehen hätte. Schließlich besann sich eine Frau, daß ihr Alice begegnet sei, die ihr als Hotelgast von Ansehen bekannt gewesen. – Es ist also richtig, daß Alice das Hotel schon um 11 Uhr abends verlassen hat. Da sie ihr Zimmer neben dem Frau Flamborgs hatte und diese nichts davon gehört hat, daß Alice sich entfernte, muß meine Braut sich ganz leise weggestohlen haben.“
Harald hielt Bruckner das Zigarettenetui hin.
„Bitte – bedienen Sie sich!“
Bruckner hatte sich eine Zigarette genommen.
„So – nun bin ich beruhigt. Ich habe Ihre Fingernägel gesehen,“ sagte Harst. „Wir haben nämlich einen Feind, dem man einfach alles zutrauen kann. Alles! Selbst die Frechheit, sich uns als Doktor Bruckner zu nahen, denn dieser Orstra ist ein glänzender Verkleidungskünstler. Wie er aussieht, wissen wir nicht. Wir sahen ihn stets nur in Maske – bald alt, bald jung, bald blond, bald dunkel.
Aber – etwas konnte er doch nicht verbergen, als er uns als Detektiv Brice zu beseitigen suchte: seine Hände! Er hat sehr schmale Hände und sehr lange Finger und stark gewölbte Fingernägel. Ihre Nägel, Herr Doktor, sind flach. Sie sind also nicht Orstra.“
Bruckner griff in die Tasche und holte einen Paß mit Lichtbild hervor.
„Bitte – Sie sollen ganz sicher gehen, Herr Harst –“
„Oh – stecken Sie den Paß nur weg! Ein Ottmar Orstra fälscht auch Pässe. Ich glaube Ihnen, daß Sie Doktor Bruckner sind. Wir werden nach Dahlen kommen. Reisen Sie nur dorthin zurück. Aber verschweigen Sie, daß wir dort in zwei bis drei Tagen eintreffen werden. Weiß jemand, daß Sie mich hier besuchen wollten?“
„Nur Asbörn Prang, ein Detektiv aus Christiania.“
„Den kenne ich persönlich. Er ist zuverlässig. – Hätten Sie mir sonst noch etwas mitzuteilen?“
„Ja –“ Das klang sehr zögernd. „Ich – ich war nämlich gar nicht mehr mit Alice verlobt, als das Unglück im Hotel Dahlen passierte – ich meine den Diebstahl und Alices Verschwinden. Ich hatte die Verlobung im Mai dieses Jahres aufgehoben.“
„So? – Das erzählen Sie bitte genauer, Herr Doktor.“
„Alice ist von Hause aus arm. Als wir uns letzte Weihnachten verlobten, rechnete sie damit, daß eine Tante ihr die Aussteuer beschaffen würde. Die alte Dame lehnte dies jedoch aus Geiz ab. Alice litt hierdurch sehr. Sie wollte dann erst so viel Geld sparen, daß sie selbst sich die Aussteuer besorgen könnte. Deshalb nahm sie gegen meinen Willen die Stellung bei Frau Flamborg an. Ich selbst bin vermögend. Es hätte mir nichts ausgemacht, die Aussteuer zu kaufen. – Alice reiste am 28. März nach Kopenhagen. Ihre Briefe wurden nun kühler und kühler. Schließlich fragte ich bei ihr an, ob sie mich nicht mehr liebe. Es kam keine Antwort. Da löste ich denn die Verlobung – schweren Herzens –! Als Rechnungsrat Darhagen, der noch fünf Kinder außer Alice hat, nach ihrem Verschwinden in seiner Verzweiflung und seiner Angst um seine Lieblingstochter zu mir kam, erklärte ich ihm sofort, ich betrachtete mich noch immer als Alices Verlobter. Da hat der alte Herr mir denn weinend