Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch - Walther Kabel


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– Oh – hätte ich ihm doch diese vierhunderttausend Kronen gegeben!“

      Sie weinte, lehnte sich gegen die Planken und drückte die Hände vor das Gesicht.

      Kollege Brice schlenderte auf und ab und bückte sich des öfteren, schien ganz in seine Sucharbeit vertieft zu sein.

      Dann – plötzlich in der Nähe ein überlauter Knall, – fast wie ein Kanonenschuß.

      Lady Jane rief entsetzt:

      „Diese Sprengschüsse drüben im Steinbruch – sie bringen mich um!“

      Brice fragte gleichmütig:

      „So – Sprengschüsse?“

      Lady Plemborn hatte sich jetzt der Scheibe zugewandt.

      „Ich sehe hier kein Loch, das Evelyn in die Pappe gebohrt haben könnte,“ meinte sie lebhaft. Sie hoffte, Brices Annahme durch das fehlende Guckloch widerlegen zu können.

      „Das glaube ich,“ sagte er kurz. Eine der Kugeln wird es zum Kugelloch vergrößert haben.“

      „Idiot!“ flüsterte Harald mir ins Ohr.

      Lady Jane ließ wieder mutlos den Kopf sinken.

      Brice trat vor sie hin. „Mylady, Sie erwähnten vorhin Harald Harst. Ich würde sehr gern seine Ansicht über diesen Fall erfahren. Falls er zu Ihnen kommt, rufen Sie mich doch telephonisch herbei. Ich bin im Pensionat Merten als Ingenieur Triborg abgestiegen.“

      Und wieder flüsterte Harald:

      „Schau’ an – auch bei der Merten!“

      „Gut, Master Brice, ich werde Sie benachrichtigen,“ erwiderte Lady Jane.

      Dann schritten sie langsam den Scheibenstand hinab.

      „Fort von hier – rasch!“ befahl Harst, als sie kaum außer Sicht waren. „An der Parkmauer entlang auf die Straße! Ich möchte Brice heimlich folgen.“

      Wir erreichten die Straße denn auch vor Brice, faßten uns unter und spielten die leicht angetrunkenen Seeleute mit jener Echtheit, die einige Übung in diesen Dingen verlangt. Brice kam dann hinter uns her, überholte uns und ging dem Hafenviertel zu.

      „Er muß noch ein zweites Quartier haben,“ sagte Harald, als wir durch das bereits recht belebte Viertel schlenderten.

      Brice hatte sich nicht ein einziges Mal umgeschaut.

      Jetzt blieb er stehen, steckte sich wieder seine Pfeife an und betrat ein Haus.

      Als wir dasselbe Haus von der anderen Straßenseite besichtigten, sahen wir, daß es zwei Eingänge hatte. Durch die Toreinfahrt schaute man auf einen langen Hof, wo leere Möbelwagen, Frachtwagen und Haufen von Kisten standen. Dieser Hof zog sich bis zur anderen Straße hin.

      „Aha – Brice ist doch vorsichtig!“ meinte Harald. „Er ist über den Hof in die Parallelstraße eingebogen. Wir werden ihn kaum noch erwischen.“

      Auf dem Hofe arbeiteten zwei Männer. Als wir sie nach einem Briefträger fragten, der soeben den Hof überquert haben müsse, verneinten sie. – „Hier ist niemand vorbeigekommen,“ erklärte der eine dann nochmals.

      „Hm – dann steckt er doch vorn im Hause!“ sagte Harald. „Also kehrt!“

      Und – als wir nun den Hausflur betraten, als wir hier im Halbdunkel standen und erst einmal horchten, da stürmten plötzlich drei – vier Männer auf uns ein, packten uns, und ein fünfter, der ebenfalls von der Straße herbei kam, rief uns zu:

      „Im Namen des Gesetzes – Sie sind verhaftet! Hier meine Legitimation. Ich bin der Kriminalwachtmeister Lörnberg –“

      „Freut mich, Sie kennen zu lernen,“ sagte Harald höflich.

      Dann fuhr er herum. Es hatte ihm jemand von hinten in die Beinkleidtasche gegriffen.

      Und dieser Jemand war Brice – der triumphierend grinsende Brice!

      „Herr Lörnberg – hier ist die Papierkugel!“ erklärte er. „Sehen Sie, der alte Brice hat mal wieder gezeigt, daß er doch nicht so ganz auf den Kopf gefallen ist!“

      Die Papierkugel aber waren die beiden Gedichte, die Lady Plemborn auf die Veranda geworfen hatte.

      Brice steckte sie schnell in seine eigene Tasche, noch bevor Harald sich losgerissen hatte und zugreifen konnte.

      „Oho – keinen Widerstand!“ drohte Lörnberg, der als Arbeiter verkleidet war. Im Nu hatte er einen Revolver gezogen.

      Harst lachte ärgerlich auf.

      „Hier scheint eine kleine Verwechslung vorzuliegen,“ meinte er scharfen Tones. „Herr Lörnberg, ich bin Harald Harst! Und Sie, Herr Brice, werden mir gefälligst das zurückgeben, was Sie da soeben stahlen!“

      Lörnberg blickte Brice unsicher an.

      „Frechheit, sich für Harst auszugeben!“ meinte der englische Kollege. „Bringen Sie die Kerle zur Wache, Herr Lörnberg. Ich eile voraus –“

      Er wollte den Hausflur verlassen. In demselben Moment erschien in der Tür Inspektor Drontings massige Gestalt. Brice wollte sich an ihm vorbeidrängen.

      Harst rief jedoch:

      „Dronting, Sie erkennen meine Stimme! Master Brice mag bleiben! Der Gang zur Wache ist überflüssig!“

      Der Inspektor erwiderte prompt – halb enttäuscht, halb belustigt:

      „Ob ich Sie erkenne, Harst! Das ist ja ein feiner Fang, Herr Brice! – Lörnberg, verschwinden Sie mit Ihren Leuten. Draußen sammeln sich schon Neugierige an.“

      Er gab uns die Hand. „Lieber Harst!“ sagte er schnell, „nicht wahr, es ist alles vergeben und vergessen?“

      „Gewiß, Dronting, gewiß!“ Harald war merkwürdig zerstreut.

      Auch Brice begrüßte uns nun und meinte:

      „Verdammt, da habe ich mich ja fein blamiert. Ich sah Sie beide über das Gitter der Villa Plemborn klettern und schlich Ihnen nach, sah auch, wie Sie, Herr Harst, die Papierkugel aufhoben. Da habe ich denn die Polizei geholt und die Straße bewachen lassen. Wo waren Sie beide aber nachher?“

      „In der Buche neben dem Scheibenwall,“ sagte Harald so geistesabwesend, als ob seine Gedanken weit weg waren.

      Brice stutzte. „In der Buche?“

      „Gehen wir!“ drängte der Inspektor.

      „Ja – Brice mag mit Schraut den Vortrab bilden,“ meinte Harald plötzlich lebhafter. „Vorwärts! Auf der nächsten Polizeiwache haben wir wohl Gelegenheit, ungestört miteinander zu reden!“ –

      Brice und ich sprachen wenig. Der englische Kollege schien verstimmt zu sein. Das war ihm nicht zu verargen.

      „Wen glaubten Sie eigentlich in den beiden Matrosen vor sich zu haben?“ fragte ich ihn nach einer Weile.

      „Nun – Leute, die der flüchtige Lord angeworben hatte, um durch sie feststellen zu lassen, wie die Dinge in seiner Villa liegen,“ erklärte er kurz.

      Dieser Brice war jetzt auch merkwürdig nervös. Alles, was auf der Straße geschah, beobachtete er mit jener zerstreuten Aufmerksamkeit, die nur sekundenlang einem Vorgang gilt und sofort wieder weitergleitet. Außerdem hatte er dauernd an seiner Kleidung zu korrigieren. Bald zog er den Rock glatt, bald nestelte er am Kragen herum, bald steckte er die eine, bald die andere Hand in die Beinkleidtaschen oder in die Außentaschen des Rockes, als ob er fühlte, ob das Taschenfutter auch noch ganz sei.

      Hierbei passierte es ihm, daß er die Papierkugel, die beiden Gedichte mit herauszog. Sie rollte in einen Kehrrichthaufen. Ich wollte mich danach bücken, als hinter mir Harst sich räusperte und dann auf irgend etwas, das Dronting ihn gefragt


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