Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
hinunter. Baptiste eilte voraus, rief dann plötzlich – und den Schrei vergesse ich mein Lebenlang nicht: „Herr Gott – Miß Evelyn!“
Ich begann zu laufen. Und dann sah ich hinter der Balkenwand auf der Erde Evelyns blonden Kopf.
Sie – sie war tot! Eine Kugel war ihr durchs Herz gegangen. Ihr Spitzenmorgenkleid zeigte auf der Herzstelle geringe Blutspuren.
Ich sank ohnmächtig um. Als ich wieder zu mir kam, war schon ein Arzt und die Polizei da. Der Kriminalwachtmeister Lörnberg verhörte mich und Baptiste –“
Er schwieg und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, stöhnte qualvoll und flüsterte:
„Meine Frau hatte auch bereits Baptiste mit einer Kabeldepesche weggeschickt und ihren Eltern in Neuyork mitgeteilt, daß Evelyn verunglückt sei –“
„Weshalb erwähnen Sie dies besonders, Mylord?“ fragte Harald und nahm eine neue Mirakulum.
„Weil – weil ich nicht gut mit meinen Schwiegereltern stehe, Herr Harst. Jane, meine Frau, hat – hat –“
Er schwieg wieder, sprang auf und eilte ans Fenster, kehrte uns den Rücken zu und stieß hervor:
„Jane hatte ganz unbegründete Anwandlungen von Eifersucht. Sie glaubte, ich erwiese Evelyn zu viel Aufmerksamkeiten“
Harald beschaute seine Fingernägel und meinte:
„Sie haben in dieser Beziehung ein ganz reines Gewissen, Mylord?“
Plemborn drehte sich hastig um.
„Bei Gott – das habe ich!“
Er lehnte sich an das Fenster.
„Aber Jane behauptet, ich hätte Evelyn heimlich Liebesgedichte zugesteckt. Vor einer Woche hat sie ihren Eltern geschrieben, Evelyn wieder zurückzuholen, und hat in dem Briefe Andeutungen über ihre Eifersucht auf Evelyn gemacht.“
„So standen die Schwestern schlecht miteinander?“
„Ja – seit einer Woche war Jane sehr unfreundlich zu Evelyn, wenn sie ihr auch nicht direkt sagte, daß sie ihr mißtraue.“
„Wie lange sind Sie verheiratet, Mylord?“
„Zwei Jahre.“
„Was hat es nun mit den besonderen Begleitumständen auf sich?“
„Erstens sind es die Eifersüchteleien meiner Frau. Dann – dann etwas, das ich den Herren nur unter strengster Diskretion mitteile. Evelyn und ich waren gute Freunde. Ich – ich – spiele gern. Ich hatte letztens im Klub in Göteborg eine – eine Riesensumme verloren. Evelyn besitzt eigenes Vermögen von ihrer Großmutter her. Sie hat mir –“ er senkte den Kopf ganz tief – „zweihunderttausend Kronen geliehen.“
Hm – das war etwas eigenartig!
„Weiß Ihre Gattin von diesem Darlehn?“ fragte Harst scheinbar gleichgültig.
„Ja – sie erfuhr zufällig davon. Sie – sie hat Evelyn und mich belauscht.“
„Wo?“
Plemborn schoß das Blut ins Gesicht.
„Hinter – hinter der Plankenwand des Schießstandes. Sie stand dahinter, und Evelyn und ich kamen den Schießstand entlang.“
„Noch ein besonderer Begleitumstand, Mylord?“
„Ja – wie man’s nimmt. Jane behauptet nämlich, sie habe in Evelyns goldenem Handtäschchen zwei Gedichte gefunden – Gedichte, die ich geschrieben hätte. Gezeigt hat sie mir die Gedichte nicht, weil sie fürchtete, ich könnte sie vernichten –“
Er kam wieder langsam an den Tisch und setzte sich.
„Oh – es ist furchtbar!“ stöhnte er auf. „Jane tut mir bitter unrecht. Ich liebe sie aufrichtig. Es war keine Geldheirat – wirklich nicht, wenn ich auch arm war – und es noch bin, denn meiner Frau Vermögen kann ich nicht antasten. Mein Schwiegervater hat dies so bestimmt.“
Das war recht offenherzig von Plemborn. Aber auf mich wirkte dies wie schlaue Berechnung. Mir war da ein Verdacht gekommen, der mich nicht wieder losließ.
„Weshalb sind Sie hier nach Skien zu mir geeilt, Mylord?“ fragte Harald nach kurzer Pause.
„Weil – weil ich fühlte, daß Jane annimmt, es handele sich hier um keinen unglücklichen Zufall. Sie hat Andeutungen mir gegenüber gemacht, daß ich Evelyn –“
Er preßte einen Moment die Lippen zusammen.
„– Evelyn dort hinter die Plankenwand bestellt hätte und daß ich –“ Seine Stimme gehorchte nicht mehr. Nur stoßweise brachte er hervor:
„– Daß ich gewußt hätte, ich – ich würde Evelyn treffen!“
„Also – Mord?“ sagte Harald seltsam hart.
Plemborn nickte schwach.
„Und – weshalb, denken Sie, argwöhnt Ihre Gattin dies?“
„Weil – weil sie vermutet, ich hätte mir von Evelyn noch größere Summen geliehen –“
„Und – daß Sie Evelyn als Ihnen unbequem beseitigen wollten,“ fügte Harald hinzu.
„Ja – ja –!“ Er war hochgefahren, reckte die Arme empor, rief heiser:
„Bei Gott – mein Gewissen ist rein! Es war ein Unfall, Herr Harst! Beweisen Sie, daß es einer war! Denn – sonst verliere ich den Verstand über alledem!“
2. Kapitel
Dies spielte sich in der norwegischen Industriestadt Skien gegen fünf Uhr nachmittags ab. Um sechs befanden wir uns bereits an Bord von Plemborns Jacht „Miramare“ und fuhren den Skien-Fjord hinab.
Abends acht Uhr kam uns ein Polizeiboot entgegen. Es hatte uns an der Fjordmündung aufgelauert. Inzwischen war aus Göteborg die telegraphische Anweisung an Dronting gekommen, Plemborn zu verhaften. Diese Depesche war von Skien nach der Zollstation an der Fjordmündung weitergegeben und wurde Dronting nun auf der Miramare überreicht.
Dem Inspektor war dies sichtlich unangenehm. Er glaubte nicht an eine Schuld des Lords. Trotzdem mußte er dem Befehl nachkommen, das heißt, er erklärte Plemborn, daß dieser sich jetzt als Gefangener betrachten müsse. Im übrigen betonte Dronting, daß er Plemborn für schuldlos hielte und daß wir während der Reise nach Göteborg wie bisher ganz freundschaftlich miteinander verkehren sollten.
Dies war nur ein schwacher Trost für Plemborn. Er brach denn auch völlig zusammen, weinte, schluchzte und zeigte so wenig Männlichkeit, daß meine geringe Sympathie für ihn noch mehr zusammenschrumpfte.
Plemborn wollte sich dann in seine Kabine zurückziehen. – „Ich muß allein sein!“ jammerte er.
Dronting erklärte, er hätte nichts dagegen. Nur müsse der Lord ihm das Ehrenwort geben, daß er nicht etwa Selbstmord begehen würde. Plemborn gab sein Ehrenwort. Trotzdem nahm ihm Dronting noch den Revolver und das Taschenmesser ab und schloß ihn dann in die Kabine ein.
Wir drei saßen nun in dem kleinen Salon der Jacht und aßen schweigend zu Abend.
Harald hatte sich bisher über diesen Fall Plemborn in keiner Weise geäußert. Erst als einer der Matrosen den Tisch abgeräumt und Zigarren, Zigaretten und Eispunsch zurechtgestellt hatte, als wir nun allein waren und die Spannung in unserem Innern dringend einen Meinungsaustausch forderte, platzte der Inspektor heraus:
„Was halten Sie von der Sache, Harst? Reden Sie! Es ist ja unerträglich, daß hier drei Leute vom Fach ihre Gedanken voreinander verbergen! Ich selbst