Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

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Fälschung war –“

      „Ah – eine dritte Person hat Plemborns Handschrift nachgeahmt!“

      „Vielleicht. – Also: Evelyn hört Stimmen, verharrt regungslos. Dann – der erste Schuß. Traf er Evelyn?“

      Wieder strengte ich mein Hirn an.

      Dann erklärte ich:

      „Er muß getroffen haben! Sonst hätte Evelyn, wäre sie unverletzt geblieben, aufgeschrien, um weitere Schüsse zu verhüten, um sich zu melden!“

      „Ganz recht! Er muß getroffen haben – er traf das Herz! Und – bei Herzschüssen lehrt die Erfahrung, daß der Getroffene sekundenlang regungslos verharrt, falls er sich nicht gerade in Bewegung befunden hat. Evelyn stand still, behaupte ich. So ereilte sie die erste Kugel. Und – es folgte nach 1¼ Sekunden die zweite –“

      Jetzt hatte ich begriffen, was Harald beweisen wollte, sagte hastig:

      „So dicht wie die Kugeln beieinander sitzen, hätte auch die zweite Kugel Evelyns Brust treffen müssen! Evelyn konnte unmöglich in der kurzen Spanne Zeit schon umgesunken sein –“

      „Nein – ausgeschlossen! – Weshalb also wurde sie nur einmal verwundet?“

      „Weil – weil es gar nicht Lord Plemborns Büchse war, die den tödlichen Schuß abgefeuert hat!“

      „Sehr richtig! Evelyn hätte mindestens zwei Kugeln erhalten, wenn Plemborn der Schütze gewesen wäre! Also –“

      „Also – es hat ein dritter Evelyn erschossen!“

      „Ja – einer, der mit dem Fälscher des Zettels entweder identisch oder doch dessen Genosse, Mitwisser oder Helfershelfer ist! Einer, der hier in der Nähe verborgen war, der wahrscheinlich gleichzeitig mit Plemborn abdrückte – auf Evelyn, die nicht so stand, daß Plemborns Kugeln sie erreichen konnten, also mehr seitwärts! Und – das sah der Mörder. Deshalb schoß er! All dies hatte ich mir schon im Hotelzimmer in Skien überlegt. Schon damals sagte ich mir: Hier ist ein Mord verübt worden – ein Mord, der als unglücklicher Zufall Plemborn aufgehalst werden sollte!“

      „Ah – die beiden Worte auf dem Zettel, den jetzt Dronting hat – im verklebten Umschlag!“

      „Zwei Worte,“ nickte Harst. „Sie lauten:

      Ein anderer!

      Nämlich: ein anderer als Plemborn ist der Mörder!“

      Ich schwieg jetzt. Ich war ganz benommen von diesen glänzenden Schlußfolgerungen, die so eindringlich auf einen Unbekannten hinwiesen.

      Dann sagte Harald nach kurzer Pause:

      „Diesen Mörder werden wir jetzt suchen. Man könnte nun auch folgendermaßen kombinieren: Plemborn hatte bei Evelyn Schulden; er wollte sie beseitigen; er war es, der sie herbestellte; er warb den Mörder. – Was macht diese Theorie hinfällig?“

      Ich zuckte nur die Achseln.

      „Denke nach, mein Alter! – Was spricht dagegen? – Nun – Plemborns Fahrt nach Skien zu mir. Ein Mensch wie Plemborn ist nicht raffiniert genug – seine Frau betonte das ebenfalls –, etwa seine Schuldlosigkeit dadurch recht dick unterstreichen zu wollen, daß er gerade bei dem Manne Hilfe sucht, der nun mal den Ruf genießt, so ziemlich jedes Bubenstück aufklären zu können. Nein – so raffiniert ist Plemborn nicht! Er kam im Gefühl seiner Schuldigkeit zu uns! Und wenn seine Verstörtheit zuweilen den Eindruck des Übertriebenen machte, so muß man ihm zugute halten, daß er neben seinen seelischen Martern noch dauernd von der Furcht gefoltert wurde, die beiden Schuldscheine könnten ihn an den Galgen bringen. – Also – bei der Suche nach dem Mörder können wir Plemborn außer Betracht lassen. – So – jetzt entferne die Ruten, wirf sie in die Sträucher. Ich will mir mal dort die alte Buche ansehen. Aus ihrem Laubdach konnte jemand ganz gut auf Evelyn schräg nach abwärts feuern.“

      Ich hatte die Ruten soeben in die Büsche geworfen, als ich – zum Glück! – den Schießstand hinabschaute.

      Da – ein helles Kleid schimmerte durch die Büsche.

      Eine Frau nahte – Lady Jane!

      Im Moment war ich über den seitlichen Erdwall geklettert, rief Harald, der bereits oben in der Buche war, leise zu:

      „Die Lady kommt!“

      „Vorwärts – her zu mir –!“ – Er half mir. Dann hockten wir beide oben im Blätterdach des alten Baumes.

      Lady Jane war nicht allein. Neben ihr ging ein Mann in der Tracht der schwedischen Briefträger, ein dicker Mann mit plumpen Stiefeln und einem fuchsigen Vollbart, einer Säufernase und über dieser Nase zusammengewachsenen, buschigen Augenbrauen.

      Die beiden blieben vor der Scheibe stehen. Lady Plemborn war blaß wie der Tod.

      „Master Brice,“ sagte sie mit klangloser Stimme, „Sie erhalten 100 Pfund Sterling, wenn Sie beweisen, daß mein Mann Evelyn nicht absichtlich tötete.“

      Ah – also der Londoner Kollege, der berühmte Brice!

      Seine Maske war glänzend – allerhand Achtung!

      Brice stopfte sich schweigend seine kurze Holzpfeife und schaute dabei bald hierhin bald dorthin.

      Dann brannte er die Pfeife an, trat hinter die Plankenwand, besichtigte die Hinterseite der durchlöcherten Balken, besichtigte auch die Felswand und kehrte zu Lady Jane zurück, die sich vorn an die Planken gelehnt hatte.

      Sie blickte ihm angstvoll ins Gesicht.

      Er nahm die Pfeife aus dem Munde, sagte sehr bestimmt:

      „Die fünf Schüsse sitzen sämtlich dicht beieinander. Ich bedauere, Mylady, Ihnen erklären zu müssen, daß ich die Polizei kaum davon überzeugen kann, Ihr Gatte hätte Ihre Schwester zufällig getroffen.“

      Bei der völligen Windstille konnten wir jedes Wort verstehen.

      Ich war enttäuscht – über den Kollegen Brice! Was sollten diese Sätze?! Wo war darin auch nur eine Spur von Logik?! Wie konnte Brice jetzt schon der Lady jede Hoffnung nehmen, wo er doch kaum ein paar Minuten am Tatort weilte?!

      Er sprach dann weiter:

      „Sie sind ja selbst der Ansicht, Mylady, daß Ihr Gatte hier hinter der Holzwand sich mit Ihrer Schwester treffen wollte, daß Ihr Gatte Miß Evelyn also herbestellt hatte. Vielleicht hat er ihr morgens einen Zettel zugesteckt, der die Bitte enthielt, ihn hier zu erwarten. – Ah – Sie zucken zusammen, Mylady. Haben Sie etwa den Zettel gefunden? – Leugnen Sie nicht! Seien Sie aufrichtig mir gegenüber! Nur dann kann ich retten, was noch zu retten ist!“

      Lady Plemborn senkte den Kopf. Was sie flüsterte, verstanden wir nicht. Aber Brice erwiderte:

      „Dann geben Sie mir den Zettel! Tun Sie es! Vernichten dürfen wir ihn nicht. Das ist unmöglich. Das könnte alles nur noch verschlimmern!“

      Sie nickte verzweifelt. Dann ging sie hinter die Plankenwand, zog den rechten zierlichen Lackschuh aus und hob eine Einlegesohle etwas auf. Unter dieser Sohle hatte sie den Zettel verborgen.

      Brice war mit einem seltsamen Lächeln auf demselben Fleck stehen geblieben und rauchte dicke Wolken.

      Als die Lady ihm nun den Zettel gab, faltete er ihn auseinander, las die Aufschrift des schmalen Papierstreifens und schob ihn dann in die Tasche.

      Jane Plemborn starrte auf die Scheibe.

      „Was beweisen die fünf Kugellöcher?“ fragte sie dann zaudernd.

      „Sie befinden sich gerade da, Mylady, wo die Holzwand durch frühere Schüsse völlig zersplittert ist. Miß Evelyn konnte also durch die Scheibe, die sie mit einem kleinen Loch versehen hatte, hindurchblicken und den Scheibenstand hinabschauen. Ich nehme an, Ihr Gatte hat gewußt, daß Miß Evelyn auf diese Weise den Schießstand beobachtete. Er feuerte dann sehr


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