Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
– genau in derselben Form!“ erklärte ich dann. „Plemborn ist Spieler. Und Spieler sind zu allem fähig.“
Harst blickte den Wölkchen seiner Mirakulum nach und fragte erst nach einer geraumen Weile:
„Und die acht Sekunden?!“ Dronting und ich schauten ihn an.
„Was heißt das: Die acht Sekunden?!“ meinte der Inspektor dann. Und nachsinnend wiederholte er nochmals: „Acht – acht Sekunden?!“
Harald nahm einen Briefumschlag aus einem Fache des Wandsofas und einen Zettel und schrieb auf diesen rasch zwei Worte mit Bleistift, schob den Zettel in den Umschlag und klebte diesen zu, gab ihn Dronting und sagte:
„Da – verwahren Sie das gut, lieber Dronting. Öffnen Sie es erst, wenn ich es gestatte. Zwei Worte nur – und doch meine Ansicht über den Fall Plemborn.“
Der Inspektor brummte etwas wie „Überflüssige Mätzchen!“ steckte den Umschlag aber doch in die Innentasche seiner Weste und fragte gereizt:
„Also Sie verraten noch nichts, Harst?“
„Nein. Ich kann mich irren. Ich muß erst Lord Plemborn hören und mir den Scheibenstand ansehen.“
Damit war das Thema Plemborn erledigt. –
Am nächsten Abend näherten wir uns Göteborg. Der Lord hatte sich nicht mehr sehen lassen, hatte auch abgelehnt, Harald in seiner Kabine zu empfangen.
Neun Uhr war’s jetzt. Der Himmel hatte sich bewölkt. Ein Gewitter drohte. Die Jacht fuhr zwischen den Felseninseln von Langedroog dahin. Wir drei saßen auf dem Achterdeck.
Plötzlich unter Deck irgendwo ein lauter Knall.
Wir fuhren hoch.
„Was war das?“ rief Dronting. „Ein Schuß?“
„Nein – eine gewaltsam erbrochene Tür.“ erwiderte Harald.
Dann tauchte auch schon der Lord auf der Kajüttreppe auf.
Und – mit einem Satz war er über Bord.
„Er flieht!“ brüllte der Inspektor. „Wenden – ihm nach!“
Aber der Matrose am Steuer tat, als hörte er nichts.
Dronting rannte zu ihm hin.
„Wenden – wenden, – im Namen des Gesetzes!“ –
Plemborn war verschwunden. So viel die Jacht auch kreuzen mochte: er blieb verschwunden!
Der Inspektor, sonst so pomadig, tobte.
„Er muß noch in der Nähe sein – muß! Harst, haben Sie nicht gesehen, wo er blieb?“
„Bei der Dunkelheit!“ meinte Harald nur. Und fügte ganz leise für mich hinzu:
„Er ist noch in der Nähe – das stimmt!“ Dann ging er auf das Vorschiff, wo drei Matrosen und der alte Steuermann Sönnquist zusammenstanden.
Sönnquist war schon bei Lord Plemborns Vater Leichtmatrose gewesen und schien seinen Herrn über alles zu liebem Als er gemerkt hatte, daß Plemborn in die Kabine eingeschlossen war, hatte es zwischen ihm und Dronting einen bösen Auftritt gegeben. –
Eine Polizeibarkasse nahte jetzt. Der Inspektor hatte mit seiner Trillerpfeife Signale gegeben.
Man suchte noch eifriger. Harst und ich spielten die Zuschauer vom Achterdeck aus. Erst gegen elf Uhr gab Dronting die Sache auf. Der gemütliche Mann spie förmlich Feuer vor Wut.
„Weshalb haben Sie eigentlich nicht geholfen, Harst!“ fauchte er Harald an. „Sonst drängen Sie sich doch überall vor! Sie hielten Plemborn doch von Anfang an für schuldig. Das hätten Sie mir klar und deutlich sagen müssen. Dann würde ich den Lord anders behandelt haben!“
Es war dunkel auf Deck. Harsts Gesichtszüge waren nur undeutlich zu erkennen.
„Herr Kriminalinspektor,“ sagte er eisig, „Sie vergreifen sich etwas im Ton! Ich dränge mich nie vor. – Bitte lassen Sie uns sofort drüben in Langedroog an Land setzen –“
Dronting war so verärgert, daß er kurz kehrt machte und dem Steuermann zurief: „Legen Sie dort rechts am Bootssteg an! Zwei Herren wollen aussteigen.“
So schieden wir denn von Dronting ohne Gruß, ohne jedes weitere Wort. Er war in Plemborns Kabine gegangen und hatte sich nicht mehr sehen lassen.
Wir verließen die Jacht mit unseren Handtaschen, blieben aber unweit des Bootssteges hinter einem Bretterschuppen stehen. Die Jacht setzte ihre Fahrt nach Göteborg fort.
Dann tauchte vom Ufer her eine Gestalt auf: der Lord! Er trat an uns heran und sagte unsicher:
„Der alte Sönnquist erzählte mir, Herr Harst, daß Sie beobachtet hätten, wie er mir aus dem Wasser auf das Vorschiff half und wie ich in der Vorderluke verschwand. Ich danke Ihnen, daß Sie mich nicht verraten haben.“
„Nichts zu danken, Mylord. Ich habe mich Ihretwegen sogar mit Dronting entzweit. Damit die Jacht hier im Dunkeln an dem Bootssteg und nicht am erleuchteten Hafenkai in Göteborg anlegte, wo Sie nur schwer hätten von Bord entschlüpfen können, spielte ich den Gekränkten. Die Hauptsache: Ihnen bleibt die Untersuchungshaft erspart und Sie können insgeheim helfen, Ihre Schuldlosigkeit zu beweisen. Wo aber werden Sie jetzt ein sicheres Unterkommen finden?“
„Bei Sönnquist. Der Alte hat sich in Göteborg ein kleines Häuschen gepachtet. Seine Schwester führt ihm die Wirtschaft. Dort bin ich gut aufgehoben.“
„Hm – meinen Sie?! Die Polizei wird Sie auch dort suchen. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Wir werden Sie sofort hier in dem leeren Bootsschuppen, dessen Tür halb offen steht, gründlich verändern. Perücken und Bärte haben wir mit. Wir beide haben auch dieselbe Größe. Sie ziehen meinen Anzug an, ich Ihren nassen. Dann steigen Sie nachher in Göteborg, ausgerüstet mit meiner Reisetasche und meinem Ulster, im Fremdenheim Merten, wo auch wir noch unsere Koffer stehen haben, als Kaufmann Watson aus London ab. Um Mitternacht trifft ja ein Zug von Malmö ein. Mit dem sind Sie eben angekommen. – Los denn – keine Widerrede! Ihr nasser Anzug wird mir nichts schaden. Ich ziehe Schrauts Ulster darüber –“ –
Alles ging nach Wunsch. Um zwölf Uhr trafen wir in Göteborg ein. Plemborn bekam ein Zimmer uns gegenüber. Als gegen halb zwei im Pensionat volle Ruhe eingetreten war, fand sich der Lord wie verabredet in unserem Wohnsalon ein. Wir setzten uns dicht nebeneinander an den Mitteltisch. Wir mußten ja vorsichtig sein und leise sprechen.
„Nur drei Fragen, Mylord,“ begann Harald. „Aber – die Antworten müssen der Wahrheit nicht ausweichen! Sie verstehen mich! Andernfalls lehne ich jede Tätigkeit in Ihrem Interesse ab. – Zuerst: Haben Sie Ihrer Schwägerin nie ein Gedicht zugesteckt?“
„Nein – auf mein Wort – nie!“
„Gut. – Dann zweitens: Hatte Evelyn Ihnen nur 200 000 Kronen geliehen?“
„Nein – mehr. Vierhunderttausend.“
„Das ahnte ich. Sie haben Evelyn einen Schuldschein gegeben?“
„Ja. Aufgezwungen habe ich ihr den Schuldschein. Sie wollte ihn nicht nehmen. Genauer gesagt: es sind zwei Schuldscheine, jeder über 200 000 Kronen. – Deshalb floh ich ja auch. Ich hatte mir überlegt, daß, wenn die beiden Schuldscheine von der Polizei gefunden würden, mir daraus –“
„Lassen Sie nur. Ich begreife alles. – Dann drittens: Hat irgend jemand ein Interesse an Evelyns Tod? Nützt Ihr Tod jemandem? Bringt er irgend einer Person Vorteile?“
„Nein – bestimmt nicht! Höchstens Jane, meiner Frau. Evelyn hat Jane als Erbin eingesetzt.“
„Danke, Mylord. Dann wollen wir jetzt zu Bett gehen. – Auf Wiedersehen –“
Plemborn drückte uns die Hand und schlüpfte in sein Zimmer