Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

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werden.

      Inzwischen hatte einer der Schaffner auf dem Wagendach über unserem Abteil tatsächlich einen Zentrumsbohrer und auch ein rundes Bohrloch gefunden, das jedoch erst etwa ein Zentimeter tief war.

      Die Aufregung der Reisenden und des Zugpersonals legte sich allmählich. Dann kehrten auch der Beamte und die beiden Schaffner von der Brücke zurück. Sie hatten nichts von Harst entdecken können.

      Da der Zug nicht länger auf offener Strecke stehen bleiben konnte und bereits zwanzig Minuten Verspätung hatte, nahm ich Harsts und meine Reisetasche, Ulster und Schirme und erklärte, ich würde das nächste Dorf am Fluß aufsuchen und mit Booten und Netzen nach Harald fischen lassen. Der Zug fuhr weiter. Die beiden Kriminalbeamten versprachen mir noch, die Reisenden abermals auf die Echtheit ihrer Legitimationspapiere zu prüfen.

      So setzte ich mich denn allein nach der Brücke in Marsch. Ich mußte ein kleines Buchenwäldchen dabei passieren. Und hier nun wurden all meine Sorgen um Harald plötzlich zerstreut.

      Da war ein dornenumwucherter Graben am Südrande des Wäldchens und aus diesem Gestrüpp jetzt eine wohlbekannte Stimme:

      „Recht so, mein Alter! Dein Gesicht paßt zu den Umständen vortrefflich! Markiere weiter den Leidtragenden. Laß nach mir suchen. Auf Wiedersehen in Skien – übermorgen! Und – gib auf die nahe Chaussee acht! Dort hält das Auto!“

      Ich hatte meine Schritte nur kaum merklich verkürzt, hatte nur ein einziges Mal nach dem Gestrüpp hingeschaut.

      Harst lebte! Das war die Hauptsache! – Oh – ich wollte die Rolle des untröstlichen Freundes schon vortrefflich spielen!

      Der Bahnsteig stieg vor der Brücke beträchtlich an. Rechts von mir im Tale schlängelte sich eine Chaussee entlang. Unweit der Brücke näherte sie sich dem Bahnkörper bis auf zweihundert Meter.

      Da hielt wirklich ein Auto.

      Aber – jetzt saßen ein Herr und eine Dame darin. Von dem Chauffeur war nichts zu sehen.

      Sollte es tatsachlich dasselbe Auto sein?! Jenes Auto, das ich in Trollhätta beobachtet hatte?!

      Ich hütete mich, allzu auffällig hinüberzublicken. Es war jetzt heller Tag geworden. Es mochte gegen fünf Uhr morgens sein. Die Sonne mußte jeden Augenblick über den Höhen im Osten auftauchen.

      Dann stutzte ich.

      Auf der Eisenbahnbrücke stand ein Mann – ein Mensch in Chauffeurtracht.

      Ich dachte sofort an Harsts Warnung. Um unbemerkt meine Clement in die Hand zu bekommen, tat ich, als ob ich stolperte und hinfiel. Ich ließ dabei die Reisetaschen den Bahndamm hinabkollern, kletterte hinterdrein, legte mir dann die beiden Ulster so über den rechten Arm, daß sie auch die rechte Hand bedeckten, in der ich nun die entsicherte Clement hielt. So betrat ich die Brücke.

      Der Chauffeur kam mir langsam entgegen. Er hatte die Autobrille vor den Augen. Sein schwarzer Vollbart war offenbar falsch. Die stumpfe Farbe der Haare verriet dies.

      Der Mann hatte die linke Hand zwanglos in der Tasche seiner Manchesterjoppe. Aber – in dieser Tasche konnte sich eine Waffe befinden. Ich war auf der Hut – ich traute dem Menschen nicht!

      „Entschuldigen Sie,“ sagte er nun, „ist hier etwas passiert? Wir sahen vom Auto aus den Zug halten –“

      „Ja – ein Reisender ist von einem andern in den Fluß geworfen worden.“ – Ich merkte, wie der Chauffeur mich von oben bis unten musterte – so, als ob er meine Gestalt mit irgend jemand vergliche, der ihm beschrieben worden war.

      Mein Herz begann rascher zu schlagen. Ich ahnte: hier stand ich entweder Ottmar Orstra oder doch einem seiner Helfershelfer gegenüber.

      „Wer war der Reisende, der in den Fluß geworfen wurde?“ fragte er nun, indem er eine übermäßige Neugier heuchelte.

      „Der Detektiv Harst – mein Freund!“ erwiderte ich kurz. – Ich wollte diese Szene hier abkürzen. Wenn der Chauffeur etwas gegen mich im Schilde führte, mußte die Entscheidung jetzt kommen.

      Er lächelte plötzlich.

      Ein fatales, grausames Lächeln.

      Dann – zog er die linke Hand aus der Tasche – mit einem Revolver, sagte drohend:

      „Rühren Sie sich nicht! Ich drücke sofort ab! – Sie werden mir eine Frage beantworten: Hat Sigrid Arbang Herrn Harst gestern nachmittag im Hause des Arztes Doktor Tribroog etwas über Ottmar Orstra erzählt?“

      Ich war mir über das, was ich zu erwidern hätte, schon im klaren, bevor mein Gegner noch das letzte Wort ausgesprochen hatte.

      „Leider nein! Sie war noch zu schwach! Nur eins teilte sie Harst mit: daß Orstra schon in Göteborg verbrecherische Handlungen begangen habe!“

      „Wohin wollten Sie beide jetzt reisen?“

      „Nach Christiania, um festzustellen, ob Orstra dort jenen Brief, den der Juwelier Bantjör von seinem Sohne vor der angeblichen Einschiffung nach Amerika erhielt, zur Post –“

      „Schon gut!“ unterbrach er mich. – Es war nicht Orstra. Das erkannte ich an der Stimme. „Schon gut! Was werden Sie jetzt tun, Herr Schraut?“

      „Haralds Leiche suchen lassen und sie nach Berlin bringen –“

      Er hatte den Revolver etwas gesenkt – etwas. Er schien unschlüssig zu sein.

      Dann – von der Chaussee her ein besonderer Pfiff – der einer Trillerpfeife – ein Signal!

      Der linke Arm des Chauffeurs hob sich wieder.

      „Ich muß!“ sagte er finster. „Ich bin zu blindem Gehorsam verpflichtet wie viele andere!“

      Er wollte abdrücken – wollte –

      Es war Notwehr von mir –! Noch nie hatte ich auf zwei Schritt Entfernung unter Mänteln hervor auf einen Menschen geschossen.

      Notwehr – Selbsterhaltungstrieb, – und daher berührte mein Finger früher den Abzug.

      Der Mann taumelte zurück. Sein Schuß ging in die Luft; meine Kugel war ihm durch die rechte Schulter begangen.

      Ich hatte die beiden Ulster schnell zur Erde gleiten lassen, sprang zu, – schlug zu – und der Revolver flog durch das Geländer in den Fluß.

      Der Chauffeur lehnte jetzt an einem der Brückenbogen.

      „Schonen Sie mich!“ stammelte er. „Ich – ich will es Ihnen danken!“

      Von der Chaussee jetzt das Knattern des davonjagenden Autos.

      Der Verwundete schwankte plötzlich, sank bewußtlos um. Ich trug ihn rasch in das nächste Gebüsch, hoffte, daß Harald sich zeigen würde. Als ich dann den Bahndamm erkletterte und Ausschau hielt, sah ich in der Ferne einen Menschen laufen. Es war Harst. –

      Die nächsten Stunden will ich hier nur ganz kurz schildern. Ein Dorf lag nach Südwest zu am Flusse. Ich meldete dort, daß ich in der Notwehr den Chauffeur verwundet hätte, und bat, mit Netzen den Fluß abzusuchen. Der Gemeindevorsteher begleitete mich zur Brücke. Zwei Männer mit einer Tragbahre folgten uns. Als wir das Gebüsch erreichten, war der Chauffeur nicht mehr da. Aber die Fußspuren im Grase verrieten uns, daß zwei Leute den verwundeten nach der Chaussee getragen hatten. Es konnten nur die Insassen des Autos gewesen sein. – Bis gegen zwei Uhr nachmittag wohnte ich dem Abfischen des Flusses bei. Dann kehrte ich von der nächsten Bahnstation nach Göteborg ins Fremdenheim Merten zurück. Am anderen Morgen meldeten die Göteborger Zeitungen Harsts Tod. Zu derselben Zeit war ich bereits in Begleitung Inspektor Drontings, den ich jetzt ins Vertrauen gezogen hatte, mit einem Polizeidampfer unterwegs nach Skien. Unsere Abfahrt aus Göteborg hatten wir so schlau in undurchdringliche Schleier gehüllt, daß selbst ein Ottmar Orstra nicht wissen konnte, wohin ich mich gewandt hatte.


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