Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
schließlich auch!« – Ich merkte auch, daß er stark beunruhigt war, weil Sie nun doch der erwartete Detektiv nicht zu sein schienen. Er sah überhaupt sehr bleich und geradezu verfallen aus. Was ist nur aus dem einst so blühenden Mann in so kurzer Zeit geworden!«
Harst füllte sich die Kaffeetasse. »Das böse Gewissen kann einem übel zusetzen, Herr Amtsrichter. Lippstedt war ein ehrlicher Mensch, bevor er die Mathilde Mulack vor zwei Jahren in Berlin kennen lernte. Jetzt – Doch davon später. – Ich habe durch den Aufseher morgens eine Depesche unter Ihrem Namen nach Berlin geschickt. Die Antwort dürfte mittags eingehen. Bitte händigen Sie mir dann doch das Telegramm sofort aus.« Er trank die Tasse leer und bot Mörner eine seiner Mirakulum an. – »Sie sind ja ganz versteinert, Herr Amtsrichter. Vielleicht deswegen, weil ich das böse Gewissen erwähnte? – Oh – ich fürchte, zwei Ihrer Zellen hier werden schon morgen sehr vornehme Gäste bergen. Das See–Leuchten ist nämlich schon aufgeklärt. Sollte heute Herr von Blenkner zu Ihnen kommen, so bringen Sie ihn doch zu mir. Ich habe ihm in dieser Nacht – er ist morgens von Berlin eingetroffen – in seinem Landhaus einen Brief zurückgelassen, des Inhalts, daß es für seine Sache vorteilhaft wäre, recht bald sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«
5. Kapitel
Das Erbbegräbnis derer von Lippstedt
Mörner machte ein sehr wenig geistreiches Gesicht zu alldem. Ihm schwirrte förmlich der Kopf. Ganz mechanisch nahm er von Harst das brennende Streichholz für die Zigarette entgegen. Er wollte dann gerade den Mund zu einer Bemerkung auftun, als draußen im Gang schwere Schritte erklangen. Es war der Aufseher, der nun Harsts Zelle öffnete und meldete: »Herr Amtsrichter, Herr von Blenkner wünscht Sie in einer sehr dringenden –« – »Führen Sie ihn nur hierher,« unterbrach Harst ihn. »Wir warten schon auf den Herrn.«
Der Aufseher verschwand verdutzt. – »Sehen Sie, da ist er schon,« meinte Harst zu Mörner. »Das Vorspiel des Dramas ist zu Ende. Der zweite Akt beginnt, denn der erste spielte sich in dieser Nacht zwischen mir und Blenkners Wirtschafterin ab. Sie werden sofort alles hören.«
Blenkner trat ein. Sein Blick ruhte prüfend auf dem rotbärtigen Leiermann. – »Ah – also hier sehe ich Sie wieder, Herr Harst,« sagte er überstürzt. Dann reichte er Mörner die Hand. – Harst war aufgestanden und bot Blenkner den Platz auf der Bettkante an. »Bitte – setzen Sie sich. Wir werden so manches zu besprechen haben. Ich stehe gern. –
Zigarette gefällig, Herr von Blenkner? – Es ist eine Marke, die im Handel nicht zu haben ist, meine Spezialmarke. – Wie haben Sie es in Berlin herausbekommen, daß ich bereits abgereist war? Waren Sie bei mir zu Hause? – Ah – meine gute Mutter erklärte, ich wäre krank. Ganz wie ich’s ihr angeraten hatte. – So so – und dann haben Sie sofort Lunte gerochen, daß der Vogel in Wahrheit ausgeflogen war. – Doch jetzt wollen wir den Amtsrichter nicht länger auf die Folter spannen. – Die Herren werden ja aus den Zeitungen über meinen ersten kleinen Erfolg als Liebhaberdetektiv unterrichtet sein. Die Aufklärung des an meiner Braut verübten Mordes war bedeutend einfacher als dieser Fall hier, den ich sogar jetzt noch nicht vollständig übersehe, obwohl die Hauptpunkte erledigt sind. Daß die Lichterscheinungen im See nur auf eine elektrische, von einem Taucher gehandhabte Lampe zurückzuführen sein konnten, wußte ich sofort, zumal das Leuchten ja wandern sollte und nicht auf einer Stelle beharrte. Ein Mann im Taucheranzug suchte also irgend etwas auf dem Seeboden, und ein zweiter mußte ihm die nötige Luft mittels der Pumpe zuleiten. Zwei waren also ohne Frage dabei mindestens beteiligt, zwei gute Freunde, – zum Beispiel Sie, Herr von Blenkner, und Ihr Intimus Bollschwing –« Harst entwickelte nun denselben Gedankengang, den er in der Nacht am Seeufer Max Schüler mitgeteilt hatte. »Unterwegs auf der Chaussee riß an meines Sekretärs Rad die Kette. Ich fuhr allein weiter. Ich klingelte dann kurzer Hand Ihre Marie heraus, Herr von Blenkner. All das kennen Sie bereits. Aber dem Amtsrichter ist es neu. Ich stellte mich Marie als Privatdetektiv Meier vor, der in Ihrem Auftrage käme, um die Schritte des anderen Detektivs Harald Harst zu durchkreuzen. – Marie nickte verständnisvoll. »Vor dem Harst hat Herr Bollschwing mich schon gewarnt,« meinte sie in ihrer Ahnungslosigkeit und – vertraute mir vollständig. Ich sagte ihr nun – und das war ein Versuch auf gut Glück! – Sie hätten mir befohlen, die Taucherausrüstung sofort im Walde zu vergraben, da sie Ihnen in dem jetzigen Versteck nicht sicher genug verborgen zu sein schiene. – Marie nickte wieder, nahm die Lampe und führte mich in den Stall, wo in zwei großen, scheinbar mit Getreide gefüllten Kisten all das lag, worauf ich aus war. Als ich so sehr schnell ans Ziel gelangt war, erklärte ich dem alten Frauchen, dies Versteck genüge durchaus; wir könnten die Sachen ruhig in den Kisten lassen. Dann bat ich Ihre Wirtschafterin um etwas Genießbares. So fand ich Gelegenheit, mich mit ihr längere Zeit zu unterhalten. Sie plaudert gern, die Alte, rühmte sich, Ihr volles Vertrauen zu besitzen, und – war spielend leicht auszuhorchen. Ich tat, als hätten Sie mich nur oberflächlich in die Sachlage eingeweiht, und obwohl ich nichts wußte, genügten allgemeine Andeutungen, von dem Frauchen zu erfahren, daß Sie, Herr von Blenkner, den Grafen und seine damalige Geliebte Mathilde Mulack im Verdacht hätten, Ihre Tante, die Gräfin Hildegard, ermordet, im See versenkt und das Märchen erfunden zu haben, sie wäre nach einem Streit mit ihrem Gatten nachts heimlich auf und davon gegangen und sodann bei dem Eisenbahnunglück in Köslin mit umgekommen, wobei dem verbrecherischen Paare die Unkenntlichkeit mehrerer bei der furchtbaren Katastrophe halb verkohlter weiblicher Leichen zu statten gekommen wäre. – Ich dankte der Alten herzlichst für alles Empfangene, wobei sich mein Dank freilich mehr auf die geistige Kost bezog, und verließ das Haus. Marie hatte nun auch unter anderem erwähnt, daß die Überreste der Toten – das heißt also der unechten Gräfin – in der Familiengruft im Park des Schlosses Szentowo beigesetzt worden wären. – Ich sagte nun schon, daß ich, bevor ich meinen Gehilfen Max Schüler am Seeufer traf, bereits das Schloß eine Weile umschlichen und dabei dem Grafen und der Gräfin in der Hauptallee des Parkes begegnet war. Sie gingen auf das Schloß zu und sprachen sehr leise miteinander, aber auch sehr erregt. Es war dies genau eine halbe Stunde vor Mitternacht. – Jetzt, als Marie die Familiengruft erwähnt hatte, kam mir sofort der Gedanke: Das Paar ist vielleicht in der Gruft gewesen, um sich zu überzeugen, ob der Verwesungsprozeß an der Leiche der unechten Gräfin so weit vorgeschritten wäre, daß selbst die genaueste Untersuchung eine Entdeckung dieser Leichenunterschiebung unmöglich machte. – Eine Stunde später – der Morgen begann bereits zu grauen – stand ich vor dem gemauerten, tempelähnlichen Erbbegräbnis der Grafen von Lippstedt. Ich drückte ein Oberfenster ein und kletterte in die kleine Kapelle hinein, stieg in die eigentliche Gruft hinab und – fand hier den Deckel eines Eichensarges beiseite gestellt. Dieser Sarg enthielt einen zweiten aus verlötetem Zinkblech, und – dieser zweite war an den Deckelnähten von sehr ungeübten Händen etwa zur Hälfte gewaltsam geöffnet worden. Die Werkzeuge – Blechschere, Stemmeisen und Hammer – waren in dem Sarge des Vaters des Grafen Erwin versteckt. – Wären Sie nun nicht ebenfalls auf die Vermutung gekommen, meine Herren, daß das Paar hier tätig gewesen? – Das lag so greifbar nahe. – Ich fuhr dann schleunigst heim – hier ins Gerichtsgefängnis zurück. Schlafen konnte ich nicht, wenigstens zunächst nicht. Ich ließ also alles nochmals an meinem kritischen Geiste vorüberziehen, was ich der alten Wirtschafterin an Neuigkeiten verdankte. Und, siehe da, – plötzlich machte mein Denken halt! Marie hatte mir berichtet, daß Sie, Herr von Blenkner, den ersten Verdacht gegen das jetzige Ehepaar Lippstedt deswegen gefaßt hätten, weil Ihre Tante Hildegard in einer Lebensversicherung mit 100 000 Mark eingekauft war und weil der Graf für seine Berliner Geliebte derartige Summen verschwendet hatte, daß Bollschwing als Güterdirektor ihn wiederholt warnen mußte, die Besitzungen nicht allzu stark mit Hypotheken zu belasten, – also deswegen, weil Sie argwöhnten, der Graf hätte es auf die Lebensversicherungssumme abgesehen gehabt. Es ist doch so, nicht wahr?«
Blenkner bejahte. »Ich will hier gleich noch folgendes ergänzen, Herr Harst,« meinte er, froh, einmal zu Worte zu kommen. »Wenn ich Sie so halb als Gegner behandelt habe, so geschah dies lediglich deshalb, weil wir – Bollschwing und ich – mittlerweile doch zu der Überzeugung gelangt sind, daß mein Verdacht hinfällig ist, wenigstens was das