Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel

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– Nein?! – Aber ich bitte Sie! Wenn Ihnen etwas Wichtiges gestohlen wird, werden Sie dann vierzehn Tage untätig bleiben, bis Ihnen zufällig der Name eines bisher ganz unbekannten Liebhaberdetektivs aufstößt?! Gibt es nicht hier in Berlin Privatdetektive von Weltruf? Wird da ein vernünftiger Mensch ausgerechnet auf Harald Harst und den Zeitungsbericht über die Millionenwette warten? – Guten Morgen, auf Wiedersehen.«

      Harst ließ den sehr nachdenklich gewordenen ehemaligen Komiker allein und verließ das Haus, ging dann nach rechts die Blücherstraße, diesen noch wenig bebauten Straßenzug des Vorortes Schmargendorf, hinunter und betrat bald durch die Tür des Bauzaunes ein halbfertiges Gebäude, sprach hier mit einigen Ziegelträgern und schenkte jedem zwei Zigarren. Dann benutzte er das nächste freie Auto zur Fahrt nach dem Zeitungspalast des verbreitetsten Blattes der Reichshauptstadt.

      2. Kapitel

       Schraut wird noch klüger

       Inhaltsverzeichnis

      Halb zwölf abends. – Den Wartesaal 3. Klasse des Stettiner Bahnhofs in Berlin betrat ein recht bescheiden gekleideter buckliger Mann, der außer einem großen Pappkarton noch einen Violinenkasten trug. Er setzte sich in eine Ecke, bestellte ein Glas Bier und sog an seiner Zigarre, die längst ausgegangen war. Dabei überlegte er so allerlei. – Daß Harst erst später ihm nach Szentowo folgen wollte und daß er nun dort allein zunächst das »Terrain sondieren« sollte, gefiel ihm gar nicht. Er glaubte sich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Anderseits sagte er sich aber, daß seines Herrn Vorschlag, er solle dort in der Verkleidung eines wandernden Musikanten auftreten, recht gut gewesen war. Nur erschien es ihm überflüssig, daß Harst verlangt hatte, er müßte das Haus in der Blücherstraße, in dem Frau Auguste Harst nun bereits ein Lebensalter wohnte, durch den Gemüsegarten und den hinteren Ausgang des Grundstückes verlassen. – Wozu diese Vorsicht? Das sah ja gerade so aus, als nähme sein Herr an, das Haus würde beobachtet!

      Es wurde Zeit, sich ein Plätzchen in der vierten Klasse des Personenzuges nach Danzig zu sichern. Schraut-Schüler bezahlte das Bier, nahm Karton und Violinenkasten und schlurfte hinaus auf den Bahnsteig. Seine Maske war vorzüglich. Er war ja auch ein recht befähigter Schauspieler gewesen, ehe er sich dem Trunke ergab und dann schließlich Taschendieb wurde. – Nun – er würde diese gefährliche Fingerfertigkeit nie mehr zum Schaden seiner Mitmenschen ausüben. Harst hatte ihn jetzt auf den rechten Weg zurückgeführt, und von dieser ehrlichen Straße wollte er nie wieder abweichen – nie wieder!

      Der Andrang zu dem Personenzuge war nicht groß. Er fand in der Vierten ein Eckplätzchen und machte es sich bequem. Nach ihm kamen noch zwei Frauen mit vielen Paketen und ein älterer Mann herein. Dann nach einer Weile noch ein Kollege von ihm, ein rotbärtiger, schlotteriger Mensch mit einer blauen Brille und einer kleinen Drehorgel.

      Der Drehorgelspieler nickte ihm, als er den Violinenkasten sah, kameradschaftlich zu und stellte sein Instrument auf die Bank neben ihn, sagte dazu mit heiserer Säuferstimme: »Passen Sie doch ’n bißchen auf meine Quietschkiste auf.« Dann verließ er den Wagen wieder und kehrte erst zurück, als der Zug sich bereits in Bewegung setzte. Er nahm mit einem: »Na, da wären wir ja!« neben Schraut-Schüler Platz und holte eine dicke Stulle hervor. – »Möchten Sie was abhaben?« fragte er. »Ich bin von Frau Auguste Harst gut versorgt worden –«

      »Sie – Sie sind’s?« stotterte der Komiker.

      »Vorsicht! – Wir sind Kollegen, die sich hier zufällig getroffen haben. Danach richten Sie sich. – Hier, greifen Sie zu, essen Sie. Wir haben mit dem Bummelzug zwölf Stunden zu fahren. – Glaubten Sie wirklich, ich wollte Sie allein reisen lassen? – Nein, da hätte ich wohl kaum unseren jungen Freund Karl Malke nachmittags mit so viel Aufträgen herumgehetzt und mir von Ihnen nicht noch schnell eine Unterrichtsstunde im Schminken, Bartbefestigen und so weiter geben lassen! – Nicht wahr, die Hausmacher-Dauerwurst meiner Mutter ist großartig! – Wenn der Schaffner die Fahrkarten nachsehen kommt, wollen wir fragen, ob wir nicht hier und in den anderen Wagen Vierter ein wenig musizieren dürfen. Vielleicht haben wir Glück und stöbern einen braven Landmann aus Szentowo oder Umgegend auf, mit dem wir uns anbiedern können. Sie verstehen, Kollege: so ein bißchen aushorchen nach diesem und jenem! – Übrigens: Blenkner war vorhin auf dem Bahnsteig. Er hat wohl gedacht, wir hätten den Elfuhr-Schnellzug versäumt. Er hatte auch seinen Freund wieder mit, – denselben Mann, der heute nachmittag in der Blücherstraße patrouillierte. Ist Ihnen das nicht aufgefallen? – Nein?! – Aber, Kollege, – Sie wollen doch Detektiv werden! Da muß einem alles aufstoßen, alles, jede Kleinigkeit, auch Kalkspuren am Stiefeloberleder, das einen dann auf einem Neubau hinleitet, wo man durch eine Zigarrenspende erfährt, daß Blenkner dort vor dem Regenguß Schutz gesucht hat.«

      »Ah – endlich, Herr –, nein, nicht Herr, sondern Kollege, – endlich höre ich nun auch Näheres über das, was –«

      »Ja – alles werden Sie hören. Es ist recht viel. Es ist das Vorspiel für Szentowo. – Also: ich war bei dem Chefredakteur der bewußten Zeitung. Diese verdankt die Einzelheiten über das Geheimnis des Sees einem Briefe mit unleserlicher Unterschrift. Das Schreiben traf gestern elf Uhr abends durch einen Dienstmann ein – eine Stunde nach Abschluß der Wette also, die ja bereits tags zuvor in Anregung gebracht worden, aber noch nicht in ihren einzelnen Bestimmungen festgelegt war. – Wie gesagt: unleserliche Unterschrift. – Einleitende Sätze etwa: »Es dürfte Sie interessieren, daß soeben im Universum-Klub – und so weiter. Ich kann Ihnen nun auf Grund eigener Sachkunde über diese erste Aufgabe, das heißt, über das Geheimnis des Szentowo-Sees, folgendes mitteilen –« Auf diese Weise war das Blatt imstande, gleich morgens seinen Lesern jene Einzelheiten zu bringen. – Unleserliche Unterschrift und – falsche Adresse! Denn ich habe Markgrafenstraße Nr. 35 das ganze Haus abgeklappert. Da wohnt nicht einer, der Szentowo kennt. – Was hätten Sie nun nach diesen Feststellungen getan, Kollege?«

      »Hm – schwer zu sagen.«

      »Leicht zu sagen! – Der Briefschreiber muß doch fraglos unter den Mitgliedern des Klubs einen Bekannten gehabt haben – oder selbst zum Klub gehören. Woher sonst die schnelle Kenntnis vom Abschluß der Wette und sogar vom Inhalt der ersten Aufgabe? – Ich fuhr also in den Klub und fragte zunächst den Hauswart, ob gestern abend kurz nach zehn Uhr jemand von den Herren das Klubhaus verlassen hätte. – Antwort: »Ja, Herr Doktor von Beltz – zusammen mit dem Herrn, der schon einige Male in letzter Zeit als Gast hier war.« – Da wußte ich Bescheid. Dieser Gast konnte es sein, der die Redaktion eine Stunde später benachrichtigt hatte, und dieser Gast –«

      »Ich darf wohl den Namen nennen,« unterbrach Schraut-Schüler ihn schnell. »Es wird derselbe Herr sein, den mir heute vormittag das Stubenmädchen im Fremdenheim Menkwitz als den Intimus Blenkners bezeichnete: der Güterdirektor Bollschwing aus Szentowo.«

      »Stimmt – Bollschwing, der hier in Geschäften weilt und der die Besitzungen des Grafen von Lippstedt, des Schloßherrn von Szentowo – denken Sie an den Artikel! – verwaltet, derselbe Bollschwing auch, der vorhin Blenkner die Arbeit abnahm, diesen Zug nach uns zu durchsuchen, – natürlich nur die erste und zweite Klasse, denn mich als Millionärssohn vermutete man nicht dritter oder gar vierter Güte, und der nachmittags unsere Blücherstraße unsicher machte. – So, nun wissen Sie alles, bis auf den Inhalt eines Telephongesprächs nach außerhalb und einen Besuch bei Doktor von Beltz und einen zweiten bei einem Privatdetektiv. Und nun zeigen Sie, daß Sie Schlußfolgerungen ziehen können.«

      »Bollschwing und Blenkner stehen zu dem Geheimnis des Sees irgendwie in Beziehung, und – und – Ja, das wäre wohl alles.«

      »Hm – etwas wenig, lieber Kollege. – Wir müssen folgendes beachten: Blenkner hat uns belogen. Er hat, wie Sie herausgebracht haben, das Fremdenheim bereits um sieben Uhr morgens gemeinsam mit Bollschwing verlassen, der eine halbe Stunde vorher zu ihm gekommen war. Und – er hatte eine Morgenzeitung überhaupt noch nicht zu Gesicht bekommen, als er mit dem Güterdirektor fortging. – Erst um halb zehn erscheint er dann bei mir, erfindet sehr ungeschickt als Vorwand seines Besuchs die Geschichte von dem Diebstahl und fragt, wann und ob ich


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