Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar Wallace
war das richtige Mittel; in weniger als zehn Minuten hatte Gold alles in Erfahrung gebracht, was der Hausmeister selbst wußte – leider war das nicht viel.
»Ich habe den Herrn nur immer bei Dunkelheit kommen und gehen sehen. Er arbeitet nie hier und läßt wohl nur seine Post hierher schicken.«
»Wie lange hat er das Büro schon gemietet?«
»Ungefähr seit zwei Jahren. Soviel ich weiß, hält er sich meistens außerhalb Londons auf, manchmal fährt er wohl sogar nach Amerika.«
»Ist er Amerikaner?« fragte Gold hastig.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nur, daß er die Miete regelmäßig bezahlt und daß er sein Büro nur selten betritt. Wenn Sie es sehen möchten, zeige ich es Ihnen gern.«
Sie stiegen die Treppe hinauf, und der Hausmeister öffnete die Tür. Gold trat in einen kleinen Raum, in dem ein Rollschreibtisch, ein Sessel und ein Schreibtischstuhl standen. Außerdem gab es noch ein Regal mit Büchern über Finanzwesen und Börsenjahrbüchern. Das war die ganze Einrichtung.
»Ein merkwürdiger Schreibtisch«, sagte Gold sehr liebenswürdig. »Ich würde mir dieses Modell gerne einmal ansehen.«
Der Hausmeister, der ein sehr geschäftstüchtiger Mann war, konnte an dem Schreibtisch durchaus nichts Besonderes entdecken. Er verstand aber auch so gut genug, was der Besucher wollte. Schließlich war eine Pfundnote keine Kleinigkeit und erforderte eine gewisse Gegenleistung. Also murmelte er vor sich hin, daß er schnell etwas im Treppenhaus nachschauen müsse, und ließ Gold allein.
Innerhalb einer Minute hatte Gold an einem großen Schlüsselbund, den er aus der Tasche zog, den richtigen Schlüssel ausgewählt und den Schreibtisch geöffnet.
Er war leer, vollständig leer. In keiner Schublade konnte er auch nur ein einziges Stück Papier entdecken. Welchem Beruf Willetts auch nachgehen mochte – und Gold hatte hierüber seine ganz besonderen Ansichten –, jedenfalls übte er ihn nicht in diesem Büro aus.
»Wie oft kommt Mr. Willetts eigentlich hierher?« fragte er den Hausmeister, als er mit ihm zusammen die Treppe wieder hinunterging.
»Wenigstens einmal im Monat – aber ich weiß nie vorher an welchem Tag.«
»Können Sie ihn mir ungefähr beschreiben?«
»Er hat eine dunkle Gesichtsfarbe und dunkles Haar, meistens hält er sich etwas gebückt …«
»Ist er groß und schlank?«
»Nein. Ich würde ihn als mittelgroß bezeichnen. Diesen Eindruck hatte ich wenigstens, als ich ihm auf der Treppe begegnete.«
»Wie ist seine Stimme?«
»Gut, daß Sie danach fragen – er spricht mit einem ausländischen Akzent, ungefähr so wie ein Franzose.«
»Schön, sagen Sie Mr. Willetts bitte, wenn er wieder herkommt, daß ich ihn gern gesprochen hätte.«
»Und wie ist Ihr Name?«
»Comstock Bell«, entgegnete Gold seelenruhig.
Der Hausmeister sah ihn erstaunt an.
»Sie sind doch nicht Mr. Comstock Bell!«
Gold lächelte.
»Na ja, ich wollte sagen, daß mich Mr. Bell hierhergeschickt hat«, erklärte er freundlich. »Aber woher wollen Sie eigentlich wissen, daß ich nicht Mr. Bell bin?«
»Weil Mr. Bell erst vor zwei Tagen hier war, um mit Mr. Willetts zu sprechen«, erwiderte der Hausmeister.
7
Comstock Bell bewohnte ein Haus am Cadogan Square. Die Einrichtung seiner Wohnung zeugte von feinem künstlerischem Geschmack. Eine Reihe von Gemälden moderner Meister bewies sein eigenes Interesse, das er allem entgegenbrachte, was mit Kunst zusammenhing.
Um sechs Uhr abends kam Bell nach Hause und ging sofort in sein großes Arbeitszimmer, das auf der Rückseite des Gebäudes lag. Auf dem Rauchtischchen lagen ein Dutzend Briefe für ihn, die er gleich durchsah; meistens handelte es sich um Einladungen zu gesellschaftlichen Veranstaltungen.
Nachdenklich setzte er sich dann an den Schreibtisch und strich mit der Hand über die Tasten einer Reiseschreibmaschine, die vor ihm stand. Schließlich drückte er auf einen Klingelknopf und wartete, bis der Diener hereinkam.
»Ich habe doch gestern einen Gummistempel in Auftrag gegeben. Ist er schon gekommen?« fragte Bell.
»Jawohl, Sir. Vor einer Stunde wurde er abgeliefert«, entgegnete der Diener, lief hinaus und. kam gleich darauf mit einem Päckchen wieder zurück.
»Öffnen Sie es.«
In dem Päckchen lagen ein kleiner Gummistempel und ein Stempelkissen. Bell nahm den Stempel heraus und besah ihn eingehend von allen Seiten. Es war ein Faksimile seiner eigenen Unterschrift, und er hatte es bei seiner Bank durchgesetzt, daß ein Scheck ausgezahlt wurde, wenn er so gestempelt war. Es hatte lange Zeit gedauert, bevor sich die Bank damit einverstanden erklärte, und der Bankdirektor hatte ihm auseinandergesetzt, daß das ein großes Risiko sei.
Bell legte den Gummistempel in eine kleine Kassette, schloß ab und steckte den Schlüssel in seine Westentasche.
»Parker«, wandte er sich dann wieder an den Diener, »ich werde England in einigen Wochen verlassen, und ich möchte, daß Sie auf das Haus achtgeben. Selbstverständlich habe ich dafür gesorgt, daß Ihr Gehalt regelmäßig ausgezahlt wird. Einige andere Instruktionen erhalten Sie dann noch.«
»Werden Sie lange fortbleiben, Sir?«
Bell zögerte mit der Antwort.
»Es ist möglich, daß ich – einige Jahre im Ausland bin.«
»So lange, Sir?«
Wenn Bell erklärt hätte, daß er für den Rest seines Lebens fortbleiben wollte, hätte Parker auch nicht mehr gesagt.
Bell trat ans Fenster und schaute geistesabwesend hinaus. Der Diener machte eine Bewegung, als ob er gehen wollte. »Warten Sie noch einen Augenblick, Parker«, sagte Bell ohne sich umzudrehen. Er stand unentschlossen da, als ob er nicht wüßte, was er tun sollte. Irgendein Entschluß schien ihm schwerzufallen. »Ich werde mich verheiraten.«
Jetzt hatte er es gesagt und schien sich erleichtert zu fühlen. Vielleicht würde er jetzt den Mut finden, es auch allen seinen Bekannten mitzuteilen.
»Ich bin im Begriff, mich zu verheiraten«, wiederholte er halblaut.
»Darf ich mir erlauben, Ihnen mit allem Respekt zu gratulieren«, entgegnete Parker ein wenig kleinlaut.
»Wegen Ihrer Stellung brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Für Sie wird sich nicht viel ändern, da ich mit meiner Frau im Ausland leben werde.«
Es trat eine Pause ein.
»Darf ich mir die Frage gestatten, ob ich die Dame kenne?«
»Das ist anzunehmen«, antwortete Bell und biß sich nervös auf die Lippen. »Wahrscheinlich kennen Sie sie.«
Wieder trat eine Pause ein, bis er plötzlich sagte: »In etwa einer Stunde erwarte ich Mrs. Granger Collak. Führen Sie die Dame herein.«
Parker machte eine Verbeugung und ging hinaus.
Bell setzte sich in einen Sessel.
Er dachte an Mrs. Granger Collak und an das, was über sie geredet wurde. Ihr Ruf war wirklich nicht der allerbeste. Diese ungewöhnlich schöne Frau führte einen Lebenswandel, den auch großzügige Leute als ziemlich unmoralisch bezeichneten.
Er schaute sich