STILLER TOD. Rachel Amphlett

STILLER TOD - Rachel  Amphlett


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Bohrtrupp war mal wieder zu spät dran.

      Jack fluchte leise.

      Das Projekt lag bereits drei Monate hinter dem Zeitplan zurück, was sie einem Winter verdankten, der irgendwie die Daten durcheinandergebracht hatte und die Hügel von Northumberland bis in den April hinein mit Schneemassen überschüttet hatte.

      Das Projektteam war innerhalb einer einzigen Woche aus verschiedenen Teilen der Welt an dieser Baustelle zusammengetrommelt worden. Ihn hatte der Anruf in Saudi-Arabien erreicht, wo er gerade erst ein anderes Projekt abgeschlossen hatte. Die Gelegenheit, endlich die grünen, sanft geschwungenen Hügel Englands wiederzusehen, ganz zu schweigen von der Aussicht auf jede Menge echtes Bier, war einfach zu verlockend, als dass er sie ungenutzt verstreichen lassen konnte. Die Firma setzte ihn und seine Kollegen je nach Bedarf dort ein, wo ein Projekt abgeschlossen werden musste oder wo sie ganz frisch den Zuschlag bekommen hatten. Doch es war ein Lebensstil, der ihm gefiel.

      Er drehte sich um, als ein lauter Ruf von den anderen Gebäuden zu ihm hinüberschallte.

      »Und … wie spät ist es gerade bei euch?«, brummte er, während zwei Männer auf ihn zukamen.

      »Tut mir leid, Jack.« Der Größere der beiden schüttelte ihm die Hand. »Ich hatte einen Anruf aus Brasilien, den ich entgegennehmen musste. Die haben da drüben Probleme mit einem Bohrturm und wollten meinen Rat.«

      »Ist doch schön, wenn man gebraucht wird, oder, Greg?«

      Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ich habe eigentlich nur versucht, weiterzuhelfen … die Arbeit müssen die da schon selbst erledigen.« Er drehte sich zu seinem etwas kleineren Begleiter um.

      »Jack, das ist Mark. Er wird uns heute unterstützen.«

      Mark runzelte die Stirn, als er Jacks Hand schüttelte. »Ist es eigentlich normal für einen Projektmanager, dass er mit dem Bohrteam rausfährt?«

      Jack hob bei dieser Frage eine Augenbraue und wandte sich Greg zu, der hüstelte und ein Kichern unterdrücken musste.

      »Jack packt gern mit an«, erklärte Greg. »Und da die Bohrungen schon einige Zeit in Verzug sind, hat er wohl jedes Recht, mit uns rauszufahren, oder?«

      Mark grunzte zur Antwort nur kurz und deutete auf die große, viereckige Metallbox, die Greg hochgestemmt hatte, wobei ihm die Anstrengung deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

      »Soll ich dir dabei helfen?«

      Sein Boss schüttelte den Kopf. »Nein, ich schaff das schon. Setz dich in den Wagen.«

      Jack beobachtete den jüngeren Mann, während der zur Beifahrerseite schlenderte und die Fahrzeugtür öffnete. »Neuer Mitarbeiter?«

      »Ja … mein letzter Ingenieur ist vor zwei Wochen einfach verschwunden, ohne sich abzumelden. Ich habe den Mann kurzfristig über eine Agentur vermittelt bekommen, aber er scheint zu wissen, was er tut«, antwortete Greg. »Eigentlich ist er ein guter Arbeiter, er müsste nur noch etwas an seiner Einstellung arbeiten«, fügte er zwinkernd hinzu.

      »Bin ich froh, dass das dein und nicht mein Problem ist«, antwortete Jack.

      Er wartete so lange, bis Greg die silberne Box sicher im Kofferraum des Fahrzeugs verstaut hatte, dann ging er schnell zur Fahrertür, ließ sich hinter das Lenkrad gleiten und startete den Motor.

      Sobald auch Greg eingestiegen war, lenkte Jack das Fahrzeug zum Zufahrtstor und wartete, bis die Sicherheitsleute sie passieren ließen. Minuten später waren sie auf einer heckengesäumten Straße unterwegs und bald nahmen sie das ständige Auf und Ab der hügeligen Landschaft kaum noch wahr. Aus dem Tal unter ihnen stieg Nebel auf und verdeckte die Reste des leichten Landregens der letzten Nacht.

      Als sie nach ein paar Meilen einen hohen Maschendrahtzaun erreichten, der die Straße von einem weitläufigen Gelände abtrennte, wurde Jack langsamer. Er bremste weiter ab und lenkte das Fahrzeug nach rechts in Richtung eines kleinen Frachtcontainers, in dem sich das provisorische Büro für die Wachleute befand, die das Zugangstor zum Testgelände kontrollierten.

      In den ersten drei Wochen nach Beginn des Projekts hatte ein von der Regierung beauftragtes Bauunternehmen das Grundstück mit einem massiven Drahtzaun abgetrennt. Seitdem patrouillierten vier Teams mit jeweils zwei Wachleuten und einem Hund rund um die Uhr entlang der Grundstücksgrenze und sorgten dafür, dass die Projektteams ungestört und unbeobachtet im Zentrum des abgesperrten Bereichs ihre Tests durchführen konnten.

      Zwei Wachleute verließen jetzt den Schutz ihres Containers und näherten sich dem Fahrzeug. Als einer der Männer vor dem Geländewagen stehen blieb, ließ Jack seine Scheibe herunter.

      »Morgen«, sagte er und reichte dem Wachmann ihre Firmenausweise.

      »Sieht so aus, als würde es heute da drin ziemlich ruhig werden«, murmelte der Wachmann. Dann deutete er mit den Ausweisen auf die dunkle Wolkenwand, die sich am Horizont entlang einer Hügelkette schnell auf sie zubewegte. »Vor allem, wenn das da seinen Kurs beibehält.«

      »Danke«, antwortete Jack und reichte die Sicherheitsausweise an Mark und Greg weiter.

      »Wann sind Sie denn wieder zurück?«

      »Wahrscheinlich bleiben wir nicht länger als vier bis sechs Stunden«, antwortete Greg und beugte sich dabei über die Mittelkonsole. »Das hängt ganz davon ab, wie schnell wir die benötigten Proben zusammenbekommen.«

      Der Wachmann gab die Information an seinen Kollegen weiter, der sie auf einem Klemmbrett notierte.

      »Okay, na dann … viel Erfolg.«

      Er drehte sich um und ging zum Tor hinüber, nestelte einen Schlüssel aus dem Schlüsselbund, der an seinem Gürtel hing, öffnete das Vorhängeschloss und ließ das Tor aufschwingen.

      Jack schloss sein Fenster wieder, winkte den Wachleuten beim Vorbeifahren kurz zu und beschleunigte dann den Geländewagen auf dem matschigen Farmweg in Richtung der ersten Aufschließungsbohrung.

      Obwohl Jack das Fahrzeug mit geübter Hand lenkte, schlitterte und holperte es auf den ausgefahrenen Spurrillen hin und her. Greg checkte neben ihm sein Handy.

      »Es muss doch inzwischen möglich sein, hier draußen ein verdammtes Signal zu bekommen«, knurrte er.

      »Was ist denn los?«

      »Mein kleines Mädchen hat heute Geburtstag«, antwortete Greg. »Ich wollte mit ihr sprechen, bevor sie sich auf den Weg in die Schule macht.« Er legte das Handy in die Ablage und starrte nachdenklich die vorbeiziehende Landschaft an. »Seit einiger Zeit ist sie nämlich schon im Bett und bereits eingeschlafen, wenn ich abends nach Hause komme.«

      Jack hielt sich mit einer Antwort zurück. Jeder der Männer hatte sich beschwert, als die gestraffte Ablaufplanung bekannt gegeben worden war. Natürlich war ihnen allen klar, dass die Firma unter enormen Zeitdruck stand und Millionen verlieren würde, falls es ihnen nicht gelingen würde, den Rückstand bei den Bohrungen wieder aufzuholen, doch ihre Bosse hatten sich entweder entschieden, den Effekt zu ignorieren, den dieser Zeitdruck auf die Team-Moral hatte, oder sie wussten es einfach nicht besser.

      Er blickte kurz in den Rückspiegel. Mark starrte aus dem hinteren Seitenfenster, während sie den Fuß eines kleinen Hügels umrundeten und das Wachhäuschen hinter ihnen außer Sicht geriet. Dann folgten sie weiter der Fahrspur zum Bohrturm.

      Jack wandte seine Aufmerksamkeit nun wieder dem hochaufragenden Gebilde zu, das jetzt durch die Windschutzscheibe zu erkennen war.

      Mit einer Höhe von fast vierzig Metern ließ der stählerne Bohrturm den Geländewagen geradezu winzig erscheinen und warf lange Schatten auf den grasbewachsenen Boden, der für die Arbeit des Bautrupps, der Ingenieure und der Geologen frisch gemäht worden war.

      Am Fuß des Bohrturms lagerte ein Sortiment von Maschinen und Geräten, mit denen alle möglichen Tests durchgeführt werden konnten.

      Heute waren jedoch nur die drei Ingenieure vor Ort, die den Auftrag hatten, weitere Proben zum Analysieren zu sammeln. Die Ergebnisse sollten zeigen, ob sich


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