Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
und um jeden Dienst, der ihr getan werden durfte, rissen sich ein paar Menschen. Ob dies Tante Ulrike tun dürfte oder noch Schwester Johanna, das gab schon Grenzschwierigkeiten.
Was der Fürst jeden Tag ersann, um nicht mit leeren Händen zu kommen, und wie er die Fiktion aufrecht erhielt, als ob sie bei seinen täglichen Besuchen auf seine Geschenke warte – das grenzt ans Geniale.
Klein Heinz befreundete sich zögernd, aber deutlich wieder mit der Mama, die ihn nicht auf den Arm nehmen durfte und bei der keine stürmischen Zärtlichkeitsausbrüche erlaubt waren, an der man keine Turnübungen machen konnte. Er lernte es Großpapa ab, ihr etwas zu bringen. Seine Liebesgaben waren sehr mannigfaltig. Ein Blumenblatt, ein Stück von seiner Morgenbrezel und ein wunderschön schnalzender Regenwurm. Sie nahm alles an, sogar den Regenwurm, und ließ ihn auf der Decke sich winden, bis Heinz Friedrichs Genuß daran erloschen war. Er gewöhnte sich wieder an sie, und es war seiner Tugend sehr förderlich, denn er merkte bald, daß nur gute Kinder bei der Mama blieben, schreiende, stampfende dagegen unbarmherzig fortgeschafft wurden, und daß er, wenn er so fortgebracht wurde, überall, selbst bei seiner Sklavin Babette eine kühle, vorwurfsvolle Aufnahme fand. So ein Heinz, der die Mama erschreckte und aufregte! Er lernte daran die Größe seiner Untat bemessen, und das hatte einen sehr sittigenden Einfluß.
Sie trugen alles herbei, was die junge Herrin von Thorstein freuen konnte. Keine schöne Blume, die irgendwo blühte, war vor dem Fürsten sicher. Sein stolzer Brauner hielt vor Bauerngärten, und der Fürst verhandelte mit der sehr geschmeichelten Besitzerin. Und Geld nahmen die Leute ja nur in den allerseltensten Fällen. »Für meine Tochter,« sagte der Fürst, und wenn er es nicht sagte, so wußten sie es. – Sogar der Mann, der den »Vorwärts« las, riß die schönsten Nelken, die seine Frau züchtete, herunter. Trotz des ehelichen Donnerwetters, das ihn von seiner zielbewußten Genossin erwartete.
Rosmaries Ruhe wäre bei all der andringenden Liebe zu kurz gekommen, wenn es nicht immer klarer geworden wäre, daß des Herrn Hofrats Anordnungen um ihrer selbst willen sehr genau befolgt werden mußten. So mußte sie viele Stunden täglich allein liegen, entweder im Garten oder auf der Veranda, die ein weiß und rotes Zelt bekommen hatte, oder in ihrem Schlafzimmer auf der Chaiselongue mit Tante Uli im Nebenzimmer. Rosmarie hatte Zeit, ihre Gedankenvögel fliegen zu lassen und ihren Flügen zuzusehen. Lesen kann sie nicht, ihre Arme müssen ja unter der Brust liegen. Im Vorlesen ist Tante Uli keine Meisterin, auch wünscht es der Herr Hofrat nicht. Ruhe und wieder Ruhe.
Rosmarie lebt sehr schnell in ihren Ruhestunden... manchmal ist es von gestern auf heute ein Schritt, wie er sonst vielleicht Jahre brauchte. Neben ihr duften und leuchten die Blumen, die ihr die Liebe gebracht, alles ist so schön und friedvoll um sie. Es spielt der Sommerwind mit den Blättern der Rebenlaube und malt runde und spitze siebenfarbige Flecke auf den Boden. Die Schmetterlinge fliegen und setzen sich zuweilen auf den blauen Saphir ihres Ringes, und sie kann dem Schlagen der gold- und silberschimmernden Flügel zusehen. Und der Wald ist nie ganz still. Immer rauscht er ein weniges auf der Höhe. Und die Wolkengebilde wandern und vergolden sich zum Abend, und es ist wieder ein Tag dahin. Von dem kurzen Sommer, von dem schönen, reichen Leben, von blauer Erdenlust und liebsten Menschen.
Rosmarie ist am Abend immer traurig. Sie ist müde am Abend, sagen sie. Müde vom Ruhen? Rosmarie kämpft ihren Kampf ganz allein. Niemand sieht die lautlosen Tränen.
»O du schöne Sommerwelt, du Goldhaus und grüner Wald, ihr alle, die ihr am Ufer steht und von denen mein Kahn hinweggleitet.«
Sie hat verlangt, sie möchte einmal mit ihrem Lehrer, dem Herrn Stiftsprediger, sprechen, er würde sie gewiß besuchen. Aber der Familienrat hat gefürchtet, sie könne sich aufregen. Herr Stiftsprediger ist ja sehr taktvoll und es ist ihm nicht zuzutrauen, daß er Rosmarie aufregen würde. Aber man erinnert sich noch, daß Rosmarie damals von ihrem Unterricht doch sehr angegriffen war, und das soll ja alles vermieden werden. »Später, Rosmarie, wenn du kräftiger bist.«
Rosmarie hört den Beschluß mit einem kleinen leisen Lächeln, das Tante Ulrike zu denken gibt. Vielleicht liegt ihr selbst nicht mehr so viel daran. Der Familienrat hat doch zwei Tage zu seiner Beschlußfassung gebraucht. Ja wissen wir denn überhaupt, was sie denkt? Sie fragt nie, sie läßt alles mit sich geschehen, sie wehrt sich gegen nichts. Aber das ist freilich ihre Art, wenn sie krank ist. Rosmarie denkt, sie werden grausam aus lauter Liebe. Sie flehen mich an, ich solle mir doch irgend etwas wünschen, daß sie es mir erfüllen könnten, das einzige, um was ich aber bitte, das können sie mir nicht tun aus lauter Liebe. Und wenn ich darauf bestände, so würden sie erschrecken und sagen: sie grämt sich doch heimlich, die Rosmarie, und alle überfiele wieder die große Unruhe. Man muß allein fertig werden. Vielleicht kann einem auch im tiefsten Grunde niemand helfen, und die Seele ist einsam.
Und wenn nur der Kampf nicht jeden Tag wieder von neuem begänne. Es darf nur ein neuer Jubelschrei vom kleinen Heinz zu ihr in ihre Stille dringen, so ist's, als hätte sie all den mühsamen Weg über Dornen und Steine so einsam, so sterneneinsam, gar nicht gemacht. Eine neue niedrige Hügelwelle tut sich auf, dornenumrankt, so steinig, so mühselig. Aber wunderbar, wenn der Weg am bittersten wird, dann kommt plötzlich ein grünes Fleckchen. Wo das scharfe, eintönige Sausen der Luft aufhört. Wo weiße Sternenblumen stehen und eine klare Quelle über goldenen Grund rieselt. Rosmaries Seele bückt sich zu den Sternenblumen – ein fremder, geheimnisvoller Duft, stark und süß, kommt aus der Quelle. Niemand sieht Rosmaries Augen, wenn sie die himmlischen Sternblumen vor sich schaut, wenn sie dem leisen Rauschen horcht. Niemand sieht, wie sie ihre schlanken Hände ausstreckt.
Und es ist, als würden die grünen Inseln häufiger. Ja als bliebe immer mehr von dem Dufte der Sternblumen an dem Dornengeranke des einsamen Weges hängen... Ja, nun verstummt das leise Rauschen gar nicht mehr, es muß wohl mit ihr wandern ... verborgen, aber es ist da. Und sie darf nur ganz stille sein, so hört sie die leise Stimme. Am lautesten rauscht es in den Frühmorgenstunden, wenn die blauschwarze Nacht in das erste Grau heraufdämmert. Und den Bergfried sieht man, der sich fast plötzlich gegen den Himmel zeichnet. Dann leidet sie freilich auch am meisten. Und es ist ein großes Glück, daß das Rauschen dann so stark wird. Und doch sehnt sie sich so sehr, daß Harro, der doch immer so früh wacht, käme und seine starken Arme sie in die Höhe hielten. Aber dann würde er das traurige Leiden sehen, und das erträgt er noch nicht.
Tante Ulrike, die in der Nacht so oft einmal an der Türe erscheint und die ein leiser Druck auf die elektrische Birne sofort an ihre Seite brächte, schläft um diese Zeit so herrlich, und helfen kann man ja auch nicht viel. So schiebt sie sich die Birne aus ihrem Bereich und greift nach der alten Bernsteinkugel und hält die Wange daran, bis sie einschläft, wenn die Sonne in den Hof fällt.
Zweiundvierzigstes Kapitel.
Opfer
In Brauneck ist auch als oberster Grundsatz Ruhe aufgestellt. Auch die Zimmer der Fürstin find mit den schönsten Blumen des Herrn Hofgärtners geschmückt. Auch nach ihren erfüllbaren Wünschen wird geforscht. Sie soll auch liegen, und auf der Nordbastei, gerade in die Baumwipfel hinein ist ein kleiner Pavillon aufgeschlagen worden. Sie hat zwei Pflegerinnen, die abwechseln, und die beiden haben sehr harten Dienst.
Der Fürst kommt jeden Tag auf eine Viertelstunde, immer ehe er nach Thorstein reitet. Er gestattet sich seine Rosmarie erst, wenn er seine Pflicht erfüllt hat und nach der entsetzlichen Bitternis, die er in der Viertelstunde genießt, tut die Thorsteiner Luft doppelt wohl.
Die Fürstin hat über alles zu klagen, es gibt nur noch Hassenswertes in der Welt. Sie haßt den Herrn Hofrat, ihre Pflegerinnen, den Braunecker Wind und die Braunecker Sonne. Sie haßt den Fürsten, das fühlt er, und doch fühlt er ebenso, daß, wenn er seinen Besuch unterließe, sie das auch hassen würde. Ihre Augen sind tief umrändert und ihre Gestalt ist verfallen. Sie kann immer noch nicht ruhig sitzen, man muß sich an den Blättersturm in ihrer Nähe gewöhnen, es macht einen selbst nervös. Sie weiß gewiß, wenn sie eine einzige Fahrt in dem Auto machen dürfte – wozu bezahlt man denn den teuren Chauffeur – so würde sie besser schlafen können. Die