Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
schon wieder. Und nun braucht man meine Kerzen gar nicht mehr. Nun hast du das goldene Band in der Hand. Es blendet dich noch...«
Da kam die Schwester und Märt hinter ihr drein. Märt lachte über das ganze Gesicht und es ging eine eigene Feierlichkeit von ihm aus. Er hatte eine frische Schürze an und seinen Haaren sah man die Wasserbürste an.
»Durchlaucht wünschen jetzt doch hereingetragen zu werden.«
»Nein, Schwester Johanna, wünschen, das können Sie nicht verlangen, aber ich sehe es ja ein.«
»Durchlaucht sollten einen Fahrstuhl haben.«
»Unsinn,« sagt Harro ärgerlich. »Wir tragen gerne, nicht wahr, Märt? und die kurze Zeit noch... die paar Tage will ich doch kein solch häßliches Ding hier sehen.«
Und sie trugen sie hinein, und Harro fragte: »Ist das nicht viel sänftlicher als jedes Geschiebe und Gerolle?«
»Sehr sänftlich,« lächelt sie mit ihren roten Lippen, und ihre Augen leuchten dazu. Sie ist noch schöner geworden, denkt er. Wenn der Professor das Bild sieht, glaubt er es kaum.
Dann ging Märt hinaus, wie seine Herrin ihm noch zugelächelt hatte; darauf wartete er. Harro und Schwester Johanna hoben Rosmarie auf ihr Bett. Und nun mußte er gehen, er sah's. Der Schwester Johanna war eine eiserne Festigkeit aufgedrückt. Freilich, sie war auch lange geduldig gewesen. Ach, sei's noch die paar Tage, so war ihr Regiment zu Ende.
Er ging in sein Atelier hinüber und spannte seine Leinwand auf.
Die Schwester Johanna brachte, ohne ein Wort zu sagen Rosmarie vollends zu Bett, öffnete die Fenster und setzte sich dann mit ihrer endlosen Arbeit bescheiden in ihre Ecke... Rosmarie war ihr mit den Augen gefolgt. Endlich sagte sie:
»Sie könnten wohl ein Wort sprechen, Schwester Johanna.«
»Ich glaube, Durchlaucht haben schon genug gesprochen... Und sich aufgeregt.« »Fühlen Sie doch meinen Puls, Schwester, ist er denn nicht besser?«
»Wenn hundertzwanzig besser ist als siebzig, dann ist er besser; Durchlaucht müssen viel mehr lernen, sich zurückzuhalten...«
»Schwester Johanna, Sie wissen gar nicht, was Sie sagen... Mich zurückhalten? ... Wenn ich nicht mehr leben soll... ist das auch noch gelebt? ... Hier liegen und auf Herzen horchen und denen den Willen tun wie bösen schreienden Kindern, das ist doch nicht gelebt. Ich bin doch nicht allein für mich auf der Welt...«
»Wenn der Herr Graf wüßte, was Sie jetzt leiden müssen das wäre ihm doch sehr schmerzlich.«
»Das wird er auch nicht wissen. Er war doch so froh, weil ich wieder rote Lippen hatte... und besser aussähe.«
Schwester Johanna bückte sich wieder über ihre Arbeit und schwieg. Und Rosmarie lag da und dachte, sie hat recht, die Schwester Johanna. Ich muß jedes Wort bezahlen, das ich gesprochen habe.
Dann schmeichelte sie: »Schwester Johanna, seien Sie wieder gut. Sie haben natürlich recht, wenn Sie jetzt in Ecken schweigen. Aber nun ist's geschehen, und Sie wissen, daß es mich bedrückt, wenn man so unzufrieden mit mir ist.«
Schwester Johanna erhob sich. Sie setzte sich an Rosmaries Bett und legte ihre Arbeit weg: »Durchlaucht, nur ein klein wenig an nachher denken...«
Über Rosmaries Gesicht strömten große Tränen... aber sie schluchzte nicht... sie hielt still, ganz still. Denn auch Weinen erlaubte es nicht, das unruhige, tyrannische, quälende Es, ohne das es keine Minute lang Erdenluft gibt.
Schwester Johanna macht Eisumschläge... sie hat nicht die Spur von anklagendem Wesen mehr... sie ist ganz nur zarteste Teilnahme und Hilfsbereitschaft.
»Schwester Johanna,« stöhnt Rosmarie. »Es ist mein bitterster Feind geworden ... Und was ich noch an Leben haben will, muß ich mir von seiner Feindschaft erkämpfen.«
Schwester Johanna macht keine Tröstungsversuche. Sie hält Rosmaries heiße Hand in der ihrigen und streicht ihr sanft über den Arm. »Soll ich ein Wort lesen?« »Nein, Schwester Johanna, ich will nichts hören. Ich habe heute große Worte in den Mund genommen, und die großen Worte kommen zurück und sehen mich an ... Und meinem schönen Leben, meinem Waldhaus und den Sommerwiesen und den lichten Eichen muß ich nachsehen... Wie es immer weiter verschwindet: und nicht einmal weinen darf ich: Es duldet's nicht!«
Ganz still liegt sie und läßt den goldbraunen Vorhang über ihre Augen sinken.
Einundvierzigstes Kapitel.
Wiedersehen
Die Dunkelheit ist herabgesunken, und nach einem kurzen einsamen Mahl hantiert Harro nur noch in seinem Atelier. Da hört er plötzlich energische Schritte gegen den Wintergarten kommen, die Tür fliegt auf, und Tante Ulrike mit Regenschirm und Reisetasche marschiert herein.
»Na, sagst du nicht einmal guten Tag, Herr Neffe?«
»Ich bin so überwältigt, Tante Ulrike, kommst du denn per Ballon?...«
»Von Kupferberg und zu Fuß.« sagte Tante Ulrike und legt ihren Regenschirm über seinen Skizzenberg.
»Aber warum denn, liebste Tante? Unsere Goldfüchse stehen sich ja die Füße durch und du gehst! Du konntest doch telegraphieren.«
»Wenn es mir so paßte! Ich komme, um nach dir zu sehen, mein Herr Neffe. Deine Briefe sind unbefriedigend.«
»Tante Ulrike, ich bitte dich, was wäre Befriedigendes zu sagen? Aber komm doch herauf. Eure Stube ist zwar besetzt von Heinz und seiner Babette, in der Weststube liegt unser armer Malariamensch immer noch abgesperrt; aber wenn du mit Osten vorlieb nehmen willst.«
»Fällt mir nicht im Traum ein. Ich will Süden. Treppen will ich keine steigen. Bei der Rose will ich sein...«
»Liebe Tante Ulrike, da schläft ja die Schwester.«
»Du schriebst mir, sie ginge.«
»Sie geht auch, aber dann müssen wir eine Pflegerin haben...« »Hier,« sagte Tante Ulrike und deutete auf den Regenschirm. Ihre Handlung war symbolisch gewesen, und sie hatte gewissermaßen ihr Zepter im Hause Thorstein niedergelegt.
»Liebe Tante Ulrike,« barmte Harro. »Sehr gütig bist du. Aber – deine Damen?«
»Ich habe sie Marga übergeben. Sie wird keine Ordnung unter ihnen halten. Sie ist weichmütig. Sie läßt sich beschwatzen. Es gibt ein Chaos. Ich bin darauf gefaßt...«
Jeder Satz war ein Hammerschlag, der den Nagel ihres Entschlusses tiefer hineinzutreiben schien.
»Harro, du hast mir leid getan.«
Und Tante Ulrike zog ihr Taschentuch und gebrauchte es geräuschvoll, dann steckte sie es wieder ein.
»Es nützt nichts... Alle sieben Seligkeiten hast du gehabt. Jetzt wirst du auch durch alle sieben Wehe hindurchmüssen. Man muß alles bezahlen, Harro. Du hast immer noch Überschuß.«
»Ja,« sagte Harro mit so sonderbar weicher Stimme, daß sie erstaunt zu ihm aufsah. »Ja, ich habe immer noch Überschuß.«
Ulrike stand auf, legte ihre Arme um ihn und küßte ihn auf die Stirne. Das hatte sie im Leben nicht getan... Ganz sprachlos vor Überraschung sah er sie an. Sie hatte ganz rote Wangen bekommen und setzte sich mit einem wunderlich zuckenden Lächeln. Dann sagte sie:
»Glaube nicht, daß deine Rose sich vor mir fürchtet. Aber ich ertrüge es nicht, wenn du in die Zeitung setztest: ›Ausgebildete Pflegerin mit guten Zeugnissen gesucht, Photographie erwünscht‹ und es kommt irgendein gottverlassenes Frauenzimmer und rührt die Rose an. Und die läßt alles mit sich machen und wehrt sich nicht, denn ich kenne sie.«
»Nein, Tante Ulrike, du kennst sie noch nicht.«
Tante Ulrike sah ihn