Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
der hohen Dame rauscht plötzlich nichts mehr... Sie ist wie eine Statue. Ihr gemaltes Gesicht, weiß, rosig und bläulich unter ihren gelockten Haaren, ist wie das einer Meduse. Sie sinkt in ihren Stuhl. Die Flammen, die vielen Flammen, krachend schießen sie über ihr zusammen... Wie gelähmt ist ihr Denken, die Faltenaugen bohren sich in sie hinein und lähmen ihr den Willen .... Der Herr Professor wendet kein Auge von ihr. Dann redet er weiter. »Durchlaucht bedürfen durchaus der Ruhe, einer längeren Ruhezeit. Ich werde mit dem Herrn Hofrat reden, ob es besser hier im Hause zu machen ist, die vollständige Ruhe meine ich, oder ob Durchlaucht eine Heilstätte aufsuchen sollten. Ich wäre ja für das letztere.«
Die Fürstin fährt auf, unter dem Blick sinkt sie aber wieder zurück.
»Durchlaucht haben schon länger sehr schlechten Schlaf. Durchlaucht gebrauchen ein Schlafmittel.«
»Lassen Sie die Komödie,« zischt sie.
»Es ist gar keine Komödie. Das nervöse Zucken in den Füßen, die Unruhe, die entsetzlichen Träume..., das Angstgefühl wie jetzt eben. Ich fühle mich nicht berufen, der Justiz irgendwie Amateurdienste zu leisten. Ich bin Arzt, und als solcher suche ich der Familie, die mir die Ehre ihres Vertrauens schenkt, zu dienen. Ganz besonders der jungen Gräfin Thorstein in ihrem schweren Leiden. Sie sind gefährlich, Frau Fürstin. So wenig ich einen Pockenkranken herumlaufen ließe, sondern sorgte, daß man ihn verpflegt und acht gibt, daß er seine Krankheit nicht verbreite, ebensowenig werde ich dulden, daß Durchlaucht länger im Land herumfahren und über Wiesen knallen. Und das schwere, mit so heldenhafter Geduld getragene Leiden auch noch durch Ihre Gegenwart vermehren.«
Da fuhr sie auf wie eine Schlange.
»Sie können mir nichts beweisen... Gar nichts können Sie beweisen... Ich war in der Kreuzklinge mit dem alten Christian...«
»Auf Kreuzklingen lasse ich mich nicht ein. Sie schlagen nicht in mein Metier. Aber daß Durchlaucht krank sind, das werde ich beweisen. Lassen Durchlaucht sich einmal von dem Hofrat den Puls fühlen und die Herztätigkeit behorchen und fragen Sie ihn, warum Sie die Füße keine Sekunde ruhig halten können.«
»Ich will den Hofrat nicht, ich...«
»Es kommt nun darauf an, ob Durchlaucht sich fügen wollen, oder ob Durchlaucht mich zwingen, von unserer Begegnung auf der Römerwiese dem Grafen Thorstein Mitteilung zu machen. Ich möchte, wenn irgend möglich, jetzt noch den Fürsten schonen. Auch als Arzt.«
Da bricht sie zusammen. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht und wirft sich auf ihre Chaiselongue. Da geht der Herr Professor hinaus.
Es kommt der Herr Hofrat, und die Herren konsultieren länger. Von der Römerwiese sprechen sie nicht. Es ist aber sonderbar, daß der Herr Hofrat den Professor sofort versteht, als er sagt:
»Es muß absolut verhindert werden, daß die Fürstin herum fährt, geht oder reitet, oder schießt. Diese ihre Besuche schaden der jungen Gräfin.« Aber die Konsultation greift den Herrn Hofrat so an, daß sein Kollege warten muß, bis er sich gefasst hat.
Seltsam, wie schnell, wie rasend schnell alles geht. Um acht Uhr ist der Professor schon wieder zurück, hat sich über der jungen Gräfin Puls gefreut, und er und Harro haben den Fürsten zwischen sich genommen und haben ihn so schonend als möglich davon benachrichtigt, daß die Fürstin krank sei. Der Fürst ist dankbar, und keinem der beiden Herren ist es verborgen, daß er erleichtert ist.
Es wird nach zwei geschulten Pflegerinnen telegraphiert, die abwechseln sollen. Denn die Fürstin soll nie mehr allein gelassen werden. Sie soll oben im Braunecker Schloß die ganze Flucht der großen Gastzimmer bewohnen, die teilweise ineinandergehen und die in ihrem ganzen Zug abschließbar sind, denn es soll ja niemand dort weilen als die Kranke und ihre Pflegerinnen. Dann müssen im Zimmer der Fürstin Glastüren angebracht werden. Alles wird schon besprochen.
In seiner tiefsten Seele denkt der Professor: Es wird vielleicht das alles nicht nötig sein. Sie kann ja so gut mit Schießwaffen umgehen, vielleicht richtet sie sich selbst.
»Schwester Johanna,« sagte er, »bringe ich Ihnen noch vierzehn Tage zum Opfer.«
Harro wundert sich sehr: »Ja, in vierzehn Tagen sollte meine Frau schon wieder keine eigentliche Pflege mehr brauchen?«
»Ich hoffe es. Es kommt natürlich alles auf den weiteren Verlauf an. Ihre Frau ist doch ganz gesund gewesen zweiundzwanzig Jahre lang. Eine Schonzeit braucht sie natürlich. Sagen wir den Sommer über. Im Herbst erwarte ich Sie mit der Frau Gräfin in Würzburg. Dann hoffe ich, daß eine definitive Freisprechung erfolgt.«
Harro atmet tief auf. »Das ist so schön, daß ich's beinahe nicht glauben kann.«
»Ich sehe nicht ein, warum nicht ... Die Fürstin wird länger mit der Sache zu tun haben, viel länger.«
Sie gehen noch durch das Atelier, die beiden Herren ... dann sagt Harro:
»Herr Professor, gibt es gar nichts, womit ich Ihnen eine Freude machen könnte? Es ist mir ein so großes Bedürfnis. Von meinen angefangenen Sachen vielleicht. Die ich vollenden könnte. Eine verhängte Leinwand steht da. Von heute morgen ...«
Etwas zögernd deckt Harro auf. Es ist Rosmaries goldenes Haupt. Weiß und müde liegt sie da, auf ihrer Stirne das geheimnisvolle Licht, die Augen halb offen und darunter hervor den schönsten Liebesblick. Harro hatte sich nichts erspart, nicht die bläulichen Schatten der Schläfe, nicht die eigentümlich weißen Linien um Nase und Mund. Die hoffnungsvollen Worte des Herrn Professors paßten sehr wenig zu der Skizze.
Der Herr Professor schwieg, und Harro schwieg auch, dann deckte er sorgsam wieder zu. Der Professor sagte endlich:
»Warten Sie ein paar Tage, Herr Graf, nur ein paar Tage, und schicken Sie mir dann eine Skizze. Am nächsten Sonntag vielleicht, und sehen Sie, ob das Bild dann nicht neben dieses gehalten Ihnen schon eine Belohnung Ihrer Mühe ist. Und mich werden Sie sehr verpflichten. – Und noch eins! Sie werden Ihre Frau nur in Gegenwart des Herrn Assistenzarztes und der Schwester Johanna sprechen. Ich meine, wenn wir Ihnen so Schönes versprechen, dann können Sie auch noch die paar Tage daran geben.«
Harro brauste auf. »Ich habe immer wohltätig auf sie gewirkt, nie aufregend.«
»Ich muß doch darauf beharren,« sagte der Professor, »es ist Ihr Interesse.«
Gleich darauf surrte das Auto der Fürstin, in dem sie nie mehr fahren würde, mit dem Professor davon.
Harro fand, daß die Instruktionen des Herrn Professors sehr streng waren und daß die beiden Wachthabenden so gänzlich unter dem eisernen Willen ihres Chefs standen, daß er fast kein Wort mit seiner Rosmarie allein wechseln konnte. Sie fragte ihn nach der Fürstin. Als sie hörte, daß sie krank sei und eine Kur machen müsse, sagte sie nur:
»Ich habe es Mama angesehen. Darum sagte ich: Du tust mir leid.«
Der Fürst kam jeden Nachmittag, und mit ihm wurde zu Harros großem Schmerz viel liberaler verfahren. Er durfte eine Viertelstunde lang neben Rosmaries Bett sitzen und sie unterhalten. Harro durfte sich nicht setzen. Er mußte stehen bleiben, den Herrn Assistenzarzt neben sich, die Schwester Johanna an der offenen Tür des Nebenzimmers. Und Rosmaries Augen sahen ihm traurig nach, wenn er gehen mußte. Und so viel hatte er zu bedenken und mit sich auszumachen, wozu er so notwendig Rosmarie hätte haben sollen. Die Lösung der Geheimnisse und Rätsel, die ihn bestürmen, schien sie in ihrer schmalen blassen Hand zu halten. Manchmal wollte ihn die Ungeduld ob den eifrigen Wächtern fast zerreißen.
Der kleine Heinz wurde jeden Tag herrischer und gewalttätiger, man merkte es ihm an, daß er die gute Babette tyrannisieren lernte. Wenn er den Willen nicht gleich bekam, warf er sich auf den Rücken und schrie sich blau. Und das hörte die arme Mutter, denn seine Stimme war kräftig, und es regte sie auf, darum mußte es vermieden werden. Man sah sich zu allen möglichen Konzessionen genötigt.
Neununddreißigstes Kapitel.
Der Märt