Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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...«

      »Nein, nein, sie nehmen es nicht an. Ein Dieb und Wilderer. Er hatte es auf das Reh abgesehen. Der Mann leugnet übrigens. Natürlich. Er hat siebzehn Einbrüche begangen. Es ist eine allgemeine Erleichterung, daß es ein Fremder ist. Die Bauern wollten ihn totschlagen.«

      Harro verbarg sein Gesicht in dem Kissen. Und dann schwiegen beide. »Bitter, o bitter.«

      Endlich fragte der Fürst: »Hast du Rosmarie gesehen?«

      »Nein.«

      Der Fürst schüttelt den grauen Kopf. »Was kommt nicht alles über mich ... Rosmaries Mutter. Meine Söhne. Und jetzt erschießt mir ein Lump mein einziges Kind.«

      Harro sah auf. Wie egoistisch hatte ihn sein Schmerz gemacht. Der Mann neben ihm hatte noch mehr hergeben müssen als er. Es war ihm, als habe er ihn noch nie so gut begriffen, sei ihm noch nie so nah gewesen.

      Er erhob sich mühsam. Er hatte des kleinen Heinz Stimme gehört. Dann kam er wieder mit dem Kleinen, stellte ihn an der Tür auf den Boden und sagte: »Nun, Heinz!«

      »Opa« rief er freundlich und lief auf den Fürsten zu, dessen Gesicht sich verklärte.

      »Ja, Heinz-Friedrich, du gehst. Ganz allein!« Und nahm ihn auf den Schoß und küßte seine Haartolle. Er zeigte ihm seine Uhr und ließ sie repetieren. Harro sah ihnen zu, und es tat ihm wohl, zu sehen, welch süßer Trost von dem Kinde ausging.

      Und nun klopfte es. Harro ging hinaus. Der Herr Professor stand da und sagte: »Meine Anwesenheit in Würzburg ist heute abend nicht nötig. Ich würde mir sehr gerne einen Ruhetag gestatten. Es ist ja gar nicht ausgeschlossen, daß mich die Frau Gräfin noch einmal braucht. Können Sie mich hier behalten oder ...« »Meinem Schwiegervater, der eben gekommen ist, wird es eine große Erleichterung sein, daß wir Sie noch nicht hergeben müssen.«

      »Also gut. Ich werde mir jetzt den Genuß eines Spaziergangs bereiten. Ich tue das sonst nur im August und September, habe seit vielen Jahren keine blühenden Heckenrosenwege mehr gesehen. Gibt es hier solche?«

      »Gewiß, Herr Professor. Die Füchse stehen Ihnen auch zur Verfügung, meine Frau hat einen sehr hübschen Viktoriawagen. Und Sie können des Fürsten Leibkutscher haben, der Sie fahren wird.«

      »Nun. wenn ich es so bequem haben kann! Aussteigen kann ich ja immer, wo es am schönsten ist. Ich werde dem Kutscher den Weg angeben.«

      Bald fuhr der Wagen vor und der Herr Professor davon. Aber durchaus nicht nach Heckenrosen. Er fragte den Kutscher:

      »Wissen Sie die Stelle, wo das Unglück geschehen ist? So fahren Sie mich dorthin!«

      Und der Herr Professor fuhr nach der Römerwiese.

      »Und die Stelle?«

      Der Mann konnte seine Pferde nicht verlassen, und so beschrieb er dem fremden Herrn genau den Schleichweg, der am Waldesrand von Büschen verdeckt die ganze Wiese umzieht. Und den Schießstand, von dem aus möglicherweise der Schuß gefallen war.

      Der Herr Professor schritt auf den schmalen, tadellos gereinigten Wegchen dahin zwischen Haselnuß- und Ligusterbüschen und Wildrosengeschlinge, den Hochwald über sich. Die Stelle war bald gefunden. Sie war von vielen Füßen zertreten, die ganze Wiese war zertreten, die Blumen lagen geknickt und traurig, und dazu war alles vom Regen verschlammt. Die Wiese sah aus, als traure sie mit.

      Der Herr Professor sah sich mit seinen Falkenaugen so genau um, als ob die Tat ihn selbst angehe. Dort stak eine kleine weiße Stange im Boden. Da war wohl die junge Frau zusammengesunken. Von da ab war die Wiese unberührt. Langsam ging er wieder dem Walde zu und suchte nun die Stelle, wo er den Wagen verlassen hatte. Er ging auf den Schleichweg zu, aber irgendwie mußte er die Richtung verloren haben. Die Wege kreuzten sich, das schmale grüne Sträßchen, das auf den Ort zuführte, wo der Wagen stand, fand er nicht. Immer neue Wege kreuzten sich, und immer wieder glaubte er, da zu sein, und immer wieder fand sich's, daß er einen andern Zipfel dieser verhexten Wiese vor sich hatte.

      Da hörte er Schritte. Auf einem kleinen Wege, der dem seinigen parallel lief, sah er einen Augenblick eine Dame im grünen Kleide auftauchen, einen Jagdgehilfen mit einer Flinte hinter ihr. Nun endlich, die würden ihm sagen können, wohin sein Weg gekommen sei. Er übersprang ein Bächlein und fand sich plötzlich an einem sumpfigen Orte, wo ihm Erlenbüsche ins Gesicht schlugen und er große Mühe hatte, wieder herauszukommen. Nun war die Dame wohl schon weit. Nein, da stand sie. Der junge Mensch reichte ihr die Büchse, einen Augenblick hielt sie die im Anschlag, dann knallte der Schuß. Sie mußte gefehlt haben, denn sie zuckte die Achseln, gab dem Menschen die Büchse wieder zurück und schritt weiter. Der Professor übersprang noch einmal ein Grübchen. Da glänzte wieder die Wiese, und da im hellen Sonnenschein der weiße Stab. Er mußte einen Kreis beschrieben haben. Neben ihm, nur durch ein Gebüsch verdeckt, war ja das grüne Sträßchen. Er schlug sich vor die Stirne: »Verhext, rein verhext!«

      Und da kam die Dame plötzlich an ihm vorüber. Er grüßte, wie man im Wald auf engem Wege eine Dame grüßt. Sie dankte ihm nicht, sie sah ihm starr ins Gesicht, als sehe sie ihn nicht. Sie war jung und schön, in elegant einfachem Jagdhabit, und ihr Gesicht war wie eine Maske, aus der große starre Augen brannten. Der Jägerbursche hinten grüßte höflich, und es fiel ihm auf, daß das junge, sonnenbraune Gesicht fahl war und die Augen ganz verstört blickten. Sie bogen in einen Seitenweg ein und waren fast sofort verschwunden.

      Er eilte nun zu dem Wagen. Der Kutscher schien ihn etwas besorgt zu erwarten. Er fragte:

      »Haben Sie nicht eine Dame vorübergehen sehen? Wer war es wohl?«

      »Es war ihre Durchlaucht, die Frau Fürstin.«

      »Aber das ist doch nicht die Mutter der Gräfin Thorstein?«

      Er hatte den Fürsten für einen Witmann gehalten, denn die Mutter wäre wohl bei ihrem Kinde gewesen. »Die Stiefmutter, Herr Professor.«

      »Ach so.« Er setzte sich in den Wagen, der schnell mit ihm davonrollte. Also die Stiefmutter. Und sie hatte auch den Platz aufgesucht, wo ihre Tochter verunglückt war. Und sie hatte darüber geknallt. Eine seltsame Gedächtnisfeier. Das verstörte Gesicht des Burschen fiel ihm ein.

      Und nun war's, wie wenn sich in seinem Kopfe blitzschnell eine geheimnisvolle Rolle abwickle, in der sein Gedächtnis fast ohne sein Wissen Worte eingegraben ... »Schieß nicht, Mama, schieß um Gottes willen nicht. Sie kommt ja zurück, die Kugel. Auf dich kommt sie zurück ...« Es war ihm, als führe ihm ein eiskalter Hauch über die Stirne ... Unmöglich, die Gräfin konnte unmöglich gesehen haben, wer schoß. Die Schießstände waren ja so kunstvoll verborgen.

      Da fragte er den Kutscher: »War es ein Jagdunfall, bei dem die Gräfin verunglückt ist?«

      Der Kutscher erzählte ihm von dem entsprungenen Zuchthäusler und dem Jagdgewehr. Er fügte aber hinzu: »Der Kerl kann es gewesen sein, er kann es aber auch nicht gewesen sein. Er hätte doch die Herrschaften kommen sehen müssen, da wäre es immer noch Zeit gewesen, den Schuß zurückzuhalten. Aber die Leute seien wie toll auf den Menschen. Die Kerls, die hie und da einmal eine zerlegbare Büchse unter den Rock steckten und sich Ruß übers Gesicht schmierten, die schössen alle mindestens ebensogut wie die Jäger. Vielleicht noch besser. Bei einem Zuchthäusler wäre so ein Schuß ja vielleicht möglich, aber was hätte ihm das Losknallen im Angesicht der Herrschaften nützen können. Den Bock hätte er doch nicht vor ihren leiblichen Augen davontragen können.«

      »Ja, könnte denn die Herrschaft nicht auch Feinde haben?«

      Dem Kutscher verzog es das Gesicht in einem breiten Grinsen. Schimpfen, das täte man wohl. In den Wirtschaften. Besonders die paar Schnapser. Und drei Sozialdemokraten gebe es auch. Einer lese sogar den »Vorwärts«. Aber deshalb hätte Durchlaucht doch bei Tag und Nacht mutterseelenallein durch alle Wälder gehen können. Und nun wurde er wieder ernst. Und nach einer Pause: »Herr Professor, darf ich so frei sein, ich weiß, daß es ungehörig ist, aber darf ich fragen? Ihre Durchlaucht wird doch wieder gesund? Ich bin ein Braunecker, und mein Vater war auch Leibkutscher, und ich habe die Prinzessin gefahren, wie sie noch ganz klein war. Und in Brauneck


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