Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
Und sie müssen dem Gatten das Furchtbare klar machen. Der Herr Professor versucht nicht zu überreden. Er kann ja nur schwache Hoffnung machen. Freilich, auf der andern Seite ist schwarze Nacht. Und doch, sie sterben lassen unter dem Messer der fremden Männer... Eine Höllenqual reißt an ihm.
»Vater, entscheide du!«
Der Fürst sagt einfach: »Wir wenden uns dahin, wo noch eine Hoffnung ist.«
Und dann ist ein wildes Leben im Hause. Dein Festsaal, armer Harro! Dein schöner Festsaal mit den vielen Fenstern ins grüne Land. Wie alles eilt und fliegt. Und die Minuten fliegen. Die wenigen Minuten, die er noch an dem Bette sitzen kann, die blasse Hand in der seinigen. »Rosmarie.« Er flüstert es nur. Sie hat den Laut gehört, und ihre Seele kehrt mit bebenden Schwingen zurück. Er liegt auf seinen Knien vor ihrem Bett, und ihre Augen ruhen ineinander. »Geh nicht von mir, Seele, meine Seele, mein blauer Himmel.«
Dann berührte eine Hand seine Schulter. Der Herr Hofrat, sehr ernst und blaß:
»Gehen Sie jetzt hinaus, Herr Graf!«
Eine wilde Verzweiflung packt ihn. »Was werden sie mit ihr tun... Ich kann nicht, ich kann nicht.«
»Herr Graf, es eilt.«
Da fühlt er das rollende Rad über seinem Herzen. Mit schwerem dumpfen Poltern geht es hinüber.
Er geht mit dem Fürsten ins Atelier. Er sieht die Bahre nicht, die Märt und der Assistent hinauftragen in den Festsaal. Der Fürst steht neben ihm. »Kannst du beten, Harro?«
Beten, jetzt beten... während der blinde Karren poltert und sie sein schönes Glück hinauftragen! Er schüttelt den Kopf. Ist ein Plätzchen in seinem Herzen, über das der Karren noch nicht gerumpelt wäre?
»Dann will ich es auch für dich tun, Harro. Ich habe die ganze Nacht nichts anderes getan. Gott wird uns hören. Er wird das Kind nicht verlassen!«
Harro starrt mit schweren Augen vor sich hin. »Einen Schritt vor, Vater, einen Schritt nur...«
»Zerquäle dich jetzt nicht damit, Harro... Sieh auf deinen Ring da – es steht darin.«
»Meinen Ring?«
»Gottes Will hat kein Warum. Die ganze Nacht steht er vor mir, der Spruch. Ich könnte sonst nicht so ruhig sein. Und daß ich vorher wußte – es kommt etwas...«
Dann setzt sich der Fürst in Rosmaries Stuhl und bedeckt sein Gesicht – Und Harro horcht. Seine ganze Seele muß horchen. Da und dort gehen Türen, und nun ist's still, und wieder Schritte. Dann steht er langsam auf. Nein, hier kann er nicht bleiben. In keinem der Zimmer, wo er noch den Hauch ihrer Gegenwart fühlt. Vergebens versucht der Fürst ihn zurückzuhalten. Er geht hinaus. Märt begegnet ihm, wie er schwerfällig von oben kommt.
»Märt, o Märt!«
Märt stößt einen gurgelnden Laut aus und steckt seine Faust ins Gesicht.
»Märt, hier kann ich nicht bleiben, – ich seh ja die Fenster... dort kann ich auch nicht sein. Ich muß allein sein.«
Märt zieht die Faust vom Gesicht –. »Mein Turm, Herr Graf.«
Und Harro steigt die steile Treppe hinauf in das weiße runde Zimmer, wo es so reinlich und ordentlich ist. Märt deckt ein frisches Laken über das Bett. Er schließt das Fenster nach dem Hause zu. Oben im Schlag duckt's und gurrt's von jungen Tauben.
»Märt, wenn sie tot ist. so sollst du es mir sagen. Und laß niemand herein! Nur du.«
Märt schüttelt den ungefügen Kopf. »Nein. Herr Graf.« Er deutet zum Fenster hinaus, wo durch die grauen Wolkenberge ein dünner Faden Sonne schießt und ein Stück Regenbogen aufglänzt. Sein Gesicht verklärt sich. Dann geht er hinaus. Und Harro wirft sich auf das Knechtsbett. Die Sonne verschwindet wieder, und der Regen strömt, der im Walde alle Spuren verwischt. Die Schritte derer, die heut über die Römerwiese gegangen sind. Harro streckt sich aus. Eine Wohltat, das Liegen allein.
Dort steht Märts Wasserkrug. Er setzt ihn an seine verbrannten Lippen. Und das Stückchen Brot dort gegen die elende Schwäche. Fast nicht mehr denken kann er. Mühsam ißt er ein Stück von dem schwarzen Brot, das erste, was er seit den Kirschen im Sälchen über die Lippen gebracht. Dann streckt er sich wieder aus. Da zerreißt ihn wie ein Blitz die Qual wieder. Jetzt... da drüben in seinem Festsaal... Das Blut hämmert ihm zum Herzen. Nicht denken, nicht denken, – wie vorhin, essen und sich ausstrecken, – aber schon wieder ist das wilde Gedankenheer auf ihn losgelassen. Seine bildnerische Phantasie, die sonst sein Leben verschönt, hier wird sie zur Furie, die ihm hundert Bilder vorhält, eins entsetzlicher als das andere. Der Festsaal, die weiße Gestalt und ein schmaler Blutstreifen, der herabrieselt von der weißen Brust. Nein, da hinter den Bildern grinst der Wahnsinn.
Irgendwohin muß die Seele flüchten können... irgendwohin. Er wandert in dem engen Zimmer auf und ab, dann flüchtet er in den tiefsten Winkel. Vor den Dingen da draußen, den Wolken, den Wäldern, – und vergräbt sein Gesicht in seine Hände. Da – berührt ihn nicht etwas, – ganz leicht, wie mit den zartesten Händen, und zugleich rieselt es wie eine goldene Quelle über sein armes Herz! Er sieht auf. die Stube ist leer. Draußen strömt der Regen eintönig herunter. Und doch war etwas da. Hat ihn ein seliger Geist berührt, ehe er entschwebte? Er horcht auf, aber niemand kommt.
Und schon brandet die Qual wieder heran... Über ihm rucksen, gurren die Tauben und schlagen mit den Flügeln. Dann wirft die Angst wieder ihre schwarzen Riesenschwingen um ihn. So lange währt das. Und er wirft sich auf den Boden auf sein Gesicht. Und noch einmal das goldene Rieseln... Die Berührung von etwas, was nicht zu sehen ist.
Da bricht sein wildes trotziges Herz. Auf den Knien liegt er, die Arme reckt er aus. Festgeschlossen sind seine Augen, damit die Seele sich sammle in ihrer Behausung.
»Du, du, – wenn du mich hörst... Erbarme dich, erbarme dich! Nimm sie nicht von mir. So nicht... Vater im Himmel – Vater...« Ein Strom von Gold quillt über seine Seele. »Vater... ich will dir dienen. Mit allem, was ich habe,« stammelt er. »Mit allem...« Oh, wie er weint, wie seine Schultern zucken und sein Leib erbebt. Und die Tränen schwemmen die Höllenqual hinweg. Dann kommt ein Schritt die Treppe herauf. Märt. So weiß wie eine Wand.
»Sie lebt, Herr Graf.«
Harro erhebt sich. Der Knecht muß ihn stützen.
»Märt, mein treuer Märt!« Ganz still hält der Knecht. Dann führt er seinen Herrn vorsichtig die steilen Stufen hernieder. Ein junger fremder Mann steht neben dem Fürsten.
»Nein, man kann jetzt die Patientin nicht sehen. Von jeder Veränderung werden wir Nachricht geben.« Und dann Kommt ein Wagen angerollt, auf dem ein Landjäger sitzt. Und plötzlich fallen ihnen Rosmaries Worte wieder ein. Es sind die Herren vom Gericht. Man führt sie ins Atelier, und der blasse, fieberzitternde Alfred wird auch herbeigeholt. Aber die beiden Herren wissen nichts zu sagen. Der Fürst meint: »Es ist in der letzten Zeit viel gewildert worden. Von meinen Leuten kann niemand den Schuß abgegeben haben. Es war ja gar nicht so dunkel, daß man meine große Tochter in ihrem weißen Kleid für ein Reh hätte ansehen können.«
»Ein Rehbock sprang vorüber,« sagte Harro, »und gleich darauf der Knall. Ein unreifer Bursche, der mit der Waffe nicht umgehen kann, vielleicht!« Sonst wissen die Herren nichts. Auch Alfred, der in dem Schießstand war, aus dem wohl der Schuß kam, konnte nichts mehr entdecken. Und der furchtbare Regensturm hat alle Spuren verwischt.
»Und Ihre Durchlaucht?«
Aber sie ist nicht vernehmungsfähig. Der Fürst ruft hitzig: »Von meinen Leuten kann es niemand gewesen sein... Ich bitte die Herren, die Leute nicht zu verstören.«
Der Herr Amtsrichter ist etwas geärgert. Er sagt: »Wir wissen noch nicht, wohin unsere Untersuchung führt.« Dann verabschieden sich die Herren.
»Wir werden wiederkommen.«
Dann fallen Harros Augen auf den zitternden, aschenbleichen Alfred.
»Wie