Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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geben einen famosen dünnen Sankt Jürg nach Tilman Riemenschneider, fahren Sie nach Rothenburg und sehen Sie sich den Patron an.«

      »Ein Heiliger, Herr Vetter, ich bin entzückt. – Ist der Heinz übrigens immer ein solcher Musterknabe?«

      »Haben Sie nicht bemerkt, daß er eine Schnecke gefunden hat? Das ist sein höchstes Entzücken. Alles andere Getier verschwindet zu schnell aus seinem Gesichtskreis. Die Rehe wollen nicht mit ihm spielen, die Hasen laufen davon, die Vögel gehen wieder in die Luft, die Pferde sind zu groß. Aber der liebe, gute Schneck!«

      »Neck,« ruft der Kleine entzückt. Er hatte die Zeit auf dem Bauche gelegen und einer großen gelben Weinbergschnecke zugesehen. Zuweilen tippte er mit seinem Fingerchen auf das Haus, dann verschwand der gelbe Kopf und quoll dann langsam wieder heraus. Und darüber mußte er hell auflachen und ein leiser Respekt vor den Hörnern war doch unverkennbar. Harro ergriff sein Skizzenbuch und strichelte emsig, aber wie wenn er es bemerkt hätte, so erhob der Kleine den Kopf und tat einen Riß an der Mutter Kleid.

      »Mama. Neck wesen.«

      »Sehen Sie, nun will er den Schneck in dichterischer Verklärung genießen. Erzähle. Rose!«

      Das Bübchen stand vor ihr, beide Ellbogen auf ihr Knie gestützt und die Augen mit intensivem Entzücken auf der Mutter Lippen geheftet.

      »Es ist einmal ein Schneck gewesen.« »Neck wesen.« echote er. »Der ging einen hohen Berg hinauf. Plumps fiel der Schneck herunter und brach sein Horn ab. Ging der Schneck in sein Haus und weint. Kein Horn mehr!« Heinz seufzt. »Horn mehr!«

      »Kommt ein Regen plitsch platsch. Hat die Schnecke wieder ihr Horn.«

      Heinz tut einen Jubelschrei und schwingt sich bäuchlings aus der Mutter Knie und schmeichelt. »Noch ein Neck.«

      »Hören Sie, Alfred, da capo. Wir sind sehr stolz auf unser Werk. Vor der fünften Wiederholung beruhigt er sich nicht. Und die Geschichte tut ihren Dienst schon drei Wochen lang. Was Rosmarie, die eine prima Märchenmutter gibt, ihm auch anbietet, nichts verfängt, er will seinen Schneck. Und jedesmal genießt er gleich intensiv mit. Die Geschichte ist vollkommen. Sie ist spannend, sie bringt stets Neues, sie endet gut. Sie kann immer wieder genossen werden wie eine Kellersche Legende. Sie verfolgt ihn im Traum. Im Schlaf murmelt er ein zärtliches, ein teilnehmendes, ein beglücktes: Neck.«

      Rosmarie hat ihre Arme um das Kind gelegt und erzählt ihm flüsternd den vierten Neck. Aug in Aug sehen sich Mutter und Kind, und durch das Blätterdach der Kastanie fällt ein Sonnenpfeil auf Rosmaries Haar, daß es aufleuchtet. Wie das grüne Licht auf ihrem weißen Kleide liegt! Die letzten Blüten rieseln herab, und von der Sommerwiese ertönt ein tausendfältiges Zirpen und fernes Klingen der unzähligen kleinen Lebewesen, die sich draußen ihres kurzen Lebenstages freuen. »Heute ist der letzte Mai,« sagt Rosmarie, »heute haben die Rehe ihren letzten guten Tag. Vater wird schon heute abend auf den Anstand gehen.«

      »Cousine, Sie werden mich wohl für einen sehr rohen Menschen halten, wenn ich auch eine Büchse in die Hand nehme?«

      »Ihnen wird es nachgesehen werden, ich dürfte es nicht wagen,« meinte Harro.

      »Ach, die feinen, liebsten Tiere. Laß sie von andern töten, wenn es sein muß, Harro. Aber du nicht! O wie schön, daß sie es nicht wissen. Sieh, dort geht eins ... Ich freue mich so sehr, auf unserem Zipfel der Römerwiese darf nicht geschossen werden, Heinz könnte über dem Knall erschrecken, und nun werden wir in diesem Sommer viele hier haben. Die Rehe merken es bald, wo sie Ruhe haben.«

      Es wird heiß, fast drückend unter den Kastanien, und das Kind wird müde. Sie gehen ins Haus hinein, im Sälchen ist's köstlich kühl und frisch.

      Der Mittagswagen ist gekommen. Wie ist das Mahl so köstlich in dem Sälchen, dessen sieben Fenster offen stehen und das ganz durchhaucht ist von dem Atem des Waldes.

      Der Hausherr in seinem Leinenkittel präsidiert in strahlendster Laune, die Hausfrau in ihrem weißen Gewande lächelt auf ihre eigene, verträumt selige Weise vor sich hin, und der Herr Leutnant a. D. denkt mit einem Seufzer an die Diners in Brauneck, die servierenden Lakaien, den dumpfen Druck auf den paar Menschen, der keine irgendwie frohe Stimmung aufkommen läßt.

      »Harro,« beginnt er, »können Sie keinen Farbenreiber brauchen? Ich habe meine sämtlichen Fähigkeiten durchgemustert und finde, Sie haben recht, die Landwirtschaft würde mir nicht liegen. Ich habe gelesen, daß die alten Meister stets Farbenreiber hatten und daß daher die Leuchtkraft ihrer Farben kam, daß sie stets frisch angerührte Farben benützten.«

      »Wie gelehrt,« neckt Harro.

      »Und bis zu Hintergründen könnte ich mich vielleicht versteigen, ich hatte in der Penne eine Zwei im Zeichnen.«

      »Gut,« sagte Harro, »es gelüstet mich schon lange nach einem solchen Experiment. Holzplatten und Kirschharz! Alfred, Sie schleifen Tafeln ab und bereiten den Kreidegrund. Schlagen Sie es doch einmal Ihrer Schwester vor. Die Sache muß aber bei gutem Wetter im Freien gemacht werden im Schloßhof. Zehnstündige Arbeitszeit, Tagelohn und das Warme. Auch Unterkunft im Hause. Sonntags Ausgangsfreiheit von drei bis sieben.«

      Aber Alfred läßt sich nicht abschrecken, und der Plan wird zu Rosmaries Entsetzen weiter erörtert. Harro lächelt schlimmvergnügt, und Alfred bekommt einen roten Kopf vor Eifer.

      Zum Nachtisch gibt's die ersten Kirschen. Der Fürst hat sie geschickt. Harro lobt über alles den Farbenakkord der roten Früchte in der silbernen Schale in dem weißgrünen Sälchen.

      Ein Fink fliegt zum offenen Fenster herein, flattert an der Decke hin und setzt sich auf einen Fensterflügel. Er fürchtet sich nicht und schaut mit seinen blanken Äuglein um sich. Nur gar zu viel Ansehen erträgt er nicht. Da streicht er mit einem hellen Pfiff davon.

      Gegen Abend, als das Kind zur Ruhe gebracht ist und Lisa neben ihm sitzt, daß es doch nicht ganz allein ist im Walde, gehen sie fort, Rosmaries Strauß zu holen. Rosmarie hat einen zarten Gazeschleier um ihr Haar gewunden, mit dem der leichte Abendwind spielt und der ihr in zarten Wolken nachfliegt. Alfred springt nach den Blumen, verdirbt sich seine tadellosen Beinkleider an feuchten Rainen, wo die Vergißmeinnicht wachsen, brennt sich an Brennesseln und ist vergnügt wie der Bruder Leichtfuß im Märchen. Harro schlendert vor sich hin und gibt seinen Augen ein Fest, Rosmarie trägt ihren Strauß, der immer größer und größer wird, und schweigt und lächelt vor sich hin. Und Harro geht immer hinter ihr, damit er genießen kann, wie sie geht, – wie Königinnen schreiten. Wie Musik ist ihr Gang.

      Eine Drossel singt, als müßte es ihr das kleine Herz zersprengen. Und der Himmel, an dem drohende weiße Wolkenberge waren, die sich nun in Lämmerwölkchen zerteilt haben, wird immer goldener, und nun erglüht er in köstlichem Purpur.

      Aus den Waldzungen, die in die Blumenpracht der Römerwiese hineinragen, steigen schon die blauen Schatten, und dort im Erlengrunde webt sich der feinste, weiße Nebelschleier.

      »Liebster, sieh dort die himmlischen Rosenfelder!« sagt Rosmarie, und sie hebt ihren Strauß, den sie schon mit beiden Händen halten muß, in die Höhe. »Und der Schein, der über die Wipfel fliegt, und wie geheimnisvoll nun der Wald geworden ist.« Es springt ein Rehbock vorüber in wilden Sätzen. Er muß erschreckt worden sein. Zugleich ein Knall, der die stille Luft durchreißt.

      »Ach, können sie's nicht lassen!« ruft Harro ärgerlich. Rosmarie wendet ihr schönes Antlitz nach ihm, ihr Blumenstrauß kommt ins Wanken. Sie geht noch ein paar Schritte, dann sinkt sie auf ihr Knie und dann sanft vornüber und bettet ihren Kopf auf den Blumen.

      »Rosmarie, hast du dich so erschreckt oder bist du gestolpert?« Er legt seine Arme um sie und will sie sanft in die Höhe ziehen. Alfred ist kreideweiß geworden und murmelt: »O Gott, o Gott!«

      »Alfred,« herrscht er ihn an, »seien Sie kein solches Nervenbündel, sie ist vielleicht ohnmächtig geworden, können Sie nicht Wasser holen?«

      Aber Alfred rührt sich nicht, er wirft sich nur auf den Boden neben sie. »O Gott, o Gott ...«

      Harro


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