Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
Er malt sie mit dem Brief,
Er malt sie, wenn sie wachte,
Und er malt sie, wenn sie schlief.
Freilich, Sie können Ihr Brot finden, wenn Sie daran kleben und die Galerien mit Ihrer blonden Schönheit bevölkern. Aber für Sie ist's schade. Sie sind ein ganz anderer Kerl, ein großartiger Kerl, und das wollte ich Ihnen wieder sagen, wie ich eben zum dritten Male gehe und mir Ihre Lindenprinzessin ansehe. Von einem Kollegen alles Mögliche. Und lernen Sie bitte den Vers auswendig.
Ihr...
Harro legte mit lautem Lachen den Brief zu den übrigen. Anfragen um Erlaubnis zur Vervielfältigung und so weiter, die er alle ablehnte. »Du kommst nicht in den Kunsthandel, Rosmarie, daß dich jeder jugendliche Handelsbeflissene an seine Wand nageln kann, neben einer Varitéschönheit.«
Der Fürst war ungeduldig, das Bild wieder zu bekommen, und freute sich doch, wenn Rosmarie ihm einen Zeitungsausschnitt zeigte, die Hans Friedrich zu sammeln und zu schicken pflegte. Und eines Tages erfuhr die Fürstin, daß das Bild für den großen Saal bestimmt sei. Ihr eigenes Bild, mit dem sie immer noch sehr zufrieden war, hing ja im blauen Zimmer. Aber Rosmaries Bild hatte doch im großen Saal nicht seinen Platz. Sie fiel sogar Harro damit an: obgleich Harro sonst sehr gut verstand, mit ihr umzugehen, so schien er sich diesmal durchaus keine Mühe zu geben. Er war höchst eigensinnig, und der Fürst führte ihn mit Wonne ins Vordertreffen. Das Bild sei für den Saal gemalt und abgestimmt und passe nur dorthin, und man habe ihm den Platz versprochen und er verlange es nun auch. Er setzte es, im Plane wenigstens, durch, aber Rosmaries Schuldkonto bekam eine neue Kerbe. Und dazu kam die Tatsache, daß der Fürstin der Verkauf von Palais Brauneck mitgeteilt worden war und sie immer deutlicher fühlte, daß das gefährliche, schöne Spiel auf dem Florentiner Blumenboot ein Ende habe. Die Masten verschwanden immer endgültiger in den fernen Brandungen.
Und an einem schönen Novembertags kommen die Möbelwagen mit der Berliner Einrichtung an. Das Braunecker Schloß, das schon von unten bis oben voll ist, bemüht sich lange vergeblich, auch diese Happen noch zu schlucken. Wie die großen grauen Wagen sich im Schloßhof entleerten, alle Galerien voll Bilder und Spiegel standen, heimatlose Diwans ein verzweifeltes Unterkommen in der Schloßkapelle suchten, Kronleuchter in grauen Säcken unter den großen Bogen im Hofe lehnten, wurde der Fürstin erst die ganze Unwiderruflichkeit der Sache klar. Sie empfand, was eine junge stolze Bäurin empfindet, die sich plötzlich ins Altenteil versetzt sieht.
Brauneck ist ein Altenteil. Sie wird jetzt das Leben einer Matrone führen, immer im gleichen Kreislauf. Einige Besuche bei den Jagden, Empfänge, Wohltätigkeit. Keine amüsante Wohltätigkeit wie in Berlin, sondern von der tristen, ländlichen Sorte. Wo man gute Goldstücke hergibt, Krankenschwestern empfängt, Kinderschulen mit wimmelnden Kinderscharen in geschmacklosen Röckchen besichtigt. Die Möbelwagen, die sich da entleeren und immer neue verhüllte Gegenstände auswerfen, kommen ihr wie große graue Särge vor. Wenn sie abziehen, nehmen sie ihre Jugend mit.
Die Fürstin sieht auf den Schloßhof herab, wo sich die Ratlosigkeit allmählich aller, sogar der weiblichen Oberleitung, der trefflichen Fräulein Berger, bemächtigt hat. Eben fährt ein Wagen vor. Die Fürstin kennt den Ton, es sind die Thorsteiner Goldfüchse. Da kommt schon Rosmarie in den Schloßhof und bleibt verwundert stehen. Sie ist nicht allein, sie wendet sich, spricht über ihre Schulter, es ist wohl ihr Mann dabei. Nun lacht sie hell auf. Sie hat immer noch ihr helles Kinderlachen. Und sie geht um die verschiedenen Sachen herum, hebt leinene Überzüge auf, und die verärgerten Gesichter klären sich auf. Die Prinzessin, wie sie unter den Leuten immer noch genannt wird, liebt jeder. Und nun gibt sie wohl Befehle. »Sie regiert da unten, wie wenn sie in ihrem Eigentum wäre,« denkt die Fürstin. Sie selbst hat zwar dem Chaos zugesehen, ohne daß etwas anderes in ihr aufgestiegen wäre als ein hilfloser Zorn.
»Aber diese Rosmarie soll sich doch nicht einbilden, daß ihr hier alles zustehe.«
Rosmarie kann die Fürstin nicht sehen, es steht ein hoher Spiegel neben ihr, der blendet. Sie denkt auch gar nicht daran, sie ist so unbekümmert fröhlich in der Kinderheimat, umgeben von den Menschen, von denen sie die meisten kennt, so lange sie denken kann.
Der Fürstin Augen werden ganz starr vom Hinuntersehen, Das Rad hat sich immer noch nicht herumgedreht. Nein, es geht seinen schweren polternden Gang über ihr eigenes Herz weiter. Sie empfindet dunkel, daß auch mit dem Verkauf von Palais Brauneck Rosmarie irgendwie zusammenhängt. Dem Fürsten kann es unmöglich so sehr um das Geldgeschäft zu tun gewesen sein. Es muß noch irgendein anderes Motiv haben! Und bei der Frau da unten in dem grauen Samtkleid wird es zu suchen sein. Sie könnte ihr jetzt entgegentreten und ihr zurufen: »Du weißt, warum das sein mußte,« und würde die Antwort in den grauen Augen lesen.
Es kommt der Fürst herunter und küßt seiner Tochter die Hand, und sie beraten zusammen. Wie wenn sie selbst schon gar nicht mehr vorhanden wäre. Und Rosmarie lacht. Was sie spricht, kann sie nicht verstehen, doch sie sprechen von ihr, sie meint ihren Namen zu hören, sie lachen beide.
Es ist solch eine ganz kleine Ursache, ein kleines Unrecht, das sie da unten tun oder nicht tun. Aber die Fürstin hat eine frische Wunde empfangen, nur ein Stäubchen da hinein, – man weiß ja, wie leicht Wunden sich vergiften.
Rosmarie und ihr Vater sind längst verschwunden, die Fürstin steht noch immer da, der Sonnenglanz weicht vom Hofe, und ein grauer Schatten fällt herein. Sie schaudert zusammen und geht langsam in ihr Zimmer. Und schließt sich ein. Sie hat einen Gedanken aufgelesen da draußen, mit dem sie spielt. Aber schon das Spiel macht warm. Es könnte sich einmal umdrehen, das Rad. Mit seinen eigenen Händen könnte man in die Speichen fallen und umdrehen, daß sein polternder Gang über andere Herzen ginge.
Es ist, wie wenn man in einer Eishöhle ein ganz kleines Feuer anzündet. Es ist keine Gefahr, daß die Eishöhle davon schmelze –, aber es ist doch ein roter Punkt da, auf den man sehen und sich heimlich das erstarrte Herz wärmen kann. Und sie starrt auf das kleine Feuer. Es blendet sie fast. So viel Wärme ist in dem kleinen Punkt. Und dann fängt sie an zu zählen. Das Schuldkonto. Tief versteckt liegt Rosmaries größtes Verbrechen – dieser verbauerte Thorsteiner! Und doch, ohne Herzklopfen kann sie seinen stolzen Kopf nicht auftauchen sehen. Und wenn er auf seinem großen Rappen ihr schon zuweilen am Morgen begegnet ist im Walde, sein altes Filzhütchen auf dem Kopfe, in den ehrwürdigsten, vom Vater geerbten ledernen Reithosen, so war immer ein stürmisches Entzücken über sie gekommen. Sie war für jeden etwas freundlichen Gruß dankbar gewesen, für jeden Blick der sonnenhaften Augen... Tief unten muß das liegen bleiben, und es ist besser, die Liste zu vollenden. Nun kommt Rosmarie und nimmt auch von Brauneck Besitz. Den Ring trägt sie schon, sie hat auch keine Zeit gefunden, ihn lösen zu lassen. Ihr Bild wird im Saal hängen. Warum ist das Berliner Haus verkauft worden? Nun verteilt sie den Raub und lacht. Ja, sie lacht, über ihrer Mutter ohnmächtigen Schmerz und Zorn. Die Fürstin hat einen kleinen goldenen Bleistift von ihrer Uhr genommen und macht Striche auf einen weißen Marmorblock. Immer neue Striche. Und dann starrt sie wieder auf das kleine Feuer in der Eishöhle und wärmt sich daran und an den Bildern, die darauf aufsteigen.
Es ist ja nur ein Spiel, daß sie nicht ganz einfriert in ihrem Altenteil.
Der kleine Heinz ist längst aus seinem Korb und in die bunte Welt hinausgekrabbelt. Er macht Versuche, auf wackelnden Beinen zu stehen, was ihm einen warnenden väterlichen Pfiff einträgt. Er hat hellblaue Augen und einen entschiedenen Sinn für Humor. Der äußert sich noch etwas unbeholfen und gröblich, aber er wird sich schon verfeinern, hofft sein Vater.
Er ist beinahe mehr ein Vater- als ein Mutterkind. Als der große Kampf mit ihm begonnen und ihm sein köstlicher Labetrunk entzogen wurde und er selbst mit kläglichem Geschrei und energischem Fortstoßen der Flasche seinen Willen nicht hatte durchsetzen können, und als ihm einmal die Wohltat einiger energischer Klapse auf seine wohlgepolsterte Hinterseite wurde, da neigte sich die Wagschale auf Vaters Seite. Er lachte, wenn seine Mutter sich über ihn beugte, er kreischte und stengelte mit Armen und Füßen, wenn sein Vater kam. Das erste Wort, das er sagte, das sich durch seinen bewußten Klang von seinen andern Sprachübungen unterschied, war: Alo. Bald war es ganz deutlich, wen er damit meinte. Rosmarie trug ihn einmal auf den Armen und ließ ihn zum Fenster hinaussehen. Da kam