Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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in kurzen Windstößen wirbelten die Rosenblätter. Hochsommer, und doch lag eine drückende Müdigkeit auf dem Land, über das die zerfaserten dichten grauen Schleier hinjagten.

      Harro dünkte es, er habe Jahre an dem Fenster da verwartet, wie oft hatte er in letzter Zeit dagestanden, ruhig und traurig, seine sonst so unermüdlichen Hände auf dem Rücken und dem schweren Schlagen des Reiherfluges nachsehend.

      Aus dem Atelier vertrieb ihn die Unrast. Die Bilder, die er in so ganz anderer Stimmung begonnen hatte, fremdeten ihn an, er versuchte vergeblich, sich wieder auf die gleichen Gefühle zurückzuschrauben. Diese fliegenden Reiher, diese grau zerfaserten Wolkenschleiergewebe, diese düstern, glanzlosen Wipfel da unten, das wäre ein Bild. Das gäbe einen Ausdruck für seine Stimmung: seine unruhige Sehnsucht, die metallisch dunkeln Flügel würden sie dahintragen unter diesem verschleierten Himmel. Er sah es greifbar vor sich, das Bild, in düsterer Schönheit, aber seine auf den Rücken gelegten Hände zuckten nur, er blieb stehen und ließ die Stunde zerrinnen, bis ihn der Gong zum Essen rief. Ein einsames Mahl mit Tante Uli. Alfred fehlte.

      Weder der Hausherr noch die Stiftsdame sprachen ein Wort. Tante Ulrike war nicht für unnötiges Reden, wenn sie sah, wie wenig es doch verschlug. Tante Ulrike hatte reichlich Eisen im Blut ... weich war sie eigentlich nur gegen das Kind, das ihr verspätete Mutterfreuden und -schmerzen zu genießen gab. Darum fing sie erst, als Harro seine Nachtisch-Johannisbeeren verzehrte, an zu sprechen.

      »Harro, du mußt mir Geld geben.«

      Sie führte die Rechnung, den einzigen Teil ihrer Pflichten, den Rosmarie ungemein gern und freudig abgegeben hatte.

      »Habe nichts mehr ... du mußt Rosmaries braunes Buch nehmen und sie soll ihre Unterschrift geben. Dann kann Märt nach Brauneck hinüber. Die Füchse stehen sich ja die Beine ab.«

      »Ha,« sagte Tante Uli. »steht es so? – – – Wir leben jetzt ganz von Braunecks Gnaden ...«

      »Was willst du,« knurrte Harro, »ich habe zu früh mein Haus frei haben wollen. Ich hätte auch damit warten können. Und dann steht noch einiges aus, was ich bekommen muß.«

      »Aber es liegen doch alle Morgen Stöße von Briefen da, die du nicht aufmachst, Harro. Wer weiß, was da alles darin steckt.«

      »Schon möglich.«

      Harro schob seinen Teller hinweg und zündete sich eine Zigarre an.

      »Harro, wenn man so am Rande ist wie du, dann würde ich wenigstens nicht so mit gekreuzten Beinen dasitzen und nicht einmal Briefe aufmachen.«

      »Bin noch lange nicht am Rande. Rosmaries Goldhaufen muß auch bewacht werden.«

      »Harro, du wirst frivol .... Laß mich deine Briefe aufmachen, wenn es dich zu viel Anstrengung kostet bei deinem so außerordentlich nützlich verbrachten Leben.«

      »Verlangst du, daß man bei dem Wetter arbeitet?« sagte Harro matt. »Such die Briefe ab, ob du etwas Aufregendes darunter findest, dann kannst du es mir sagen.«

      Tante Ulrike griff mit dem langen Arm nach dem obersten Haufen und fing an, die Briefe zu öffnen.

      »Du starrst auch in den blendendsten Sonnenschein, Harro. Das Wetter ist eine Ausrede .... Hier. Von einer Dame: Mein teuerster Harro! Eine Handschrift wie gestochen ... soll ich weiter lesen?«

      »Sieh doch nach dem Namen unten,« rief Harro, der schon wieder am Fenster stand.

      Sie waren in Rosmaries Zimmer gegangen .... »Dein Hans Friedrich.«

      »Gib!« Harro war rot geworden.

      Sie gab ihm den Brief und sah, daß er ihn ungelesen in die Tasche steckte. Sie öffnete weiter. Plötzlich schrie sie auf: »Harro! Nein, du bist nicht am Rande. Sieh da, lies! Was dir einer für die Kopie von deiner Lindenprinzessin anbietet.«

      Harro drehte sich nicht einmal um. »Kann er lang anbieten.«

      »Harro! da sieh dir die Summe an. Davon könnt ihr Jahre leben ... Harro! So ... Harro, du erschöpfst mich .... Ja gedenkst du denn als fürstlich Brauneckscher Pensionär zu vegetieren?« Tante Ulrike hatte ihren höchsten Trumpf ausgespielt. Aber an diesem wie aus Holz geschnitzten Rücken verfing nichts. Ein leichtes Zucken der Achseln. Tante Ulrike hatte für heute ihr Pulver verschossen und ging hinüber zu dem »Kind«.

      In dem großen Schlafzimmer standen die Fenster weit offen, und von Zeit zu Zeit, wie der stoßweise Wind hineinfuhr, flatterten die hellen Vorhänge auf und dann war's wieder schwül wie zuvor. Rosmarie lag auf ihrer Chaiselongue, die am Fußende des Bettes aufgestellt war, neben sich ein niedriges Tischchen mit allerhand Dingen beladen. Ein wundervoller großer Kornblumenstrauß stand in einer altsilbernen Vase. »Nun, Kind?« Aber das Kind hob kaum die großen müden Augen. Ihre schmalen Hände hatte sie unter ihr Haar vergraben, und das weiße zarte Spitzengewebe auf ihrer Brust war in leiser, zitternder Bewegung.

      »Was macht Harro?«

      »Er ist nicht in der glänzendsten Laune. Und er läßt dich um eine Unterschrift bitten. Hier. Die Thorsteiner sind wieder einmal arm wie Kirchenmäuse, das scheint ihnen von Zeit zu Zeit passieren zu müssen. Macht's dich nicht zu müde?«

      Sie schob ihr Tinte und Feder hin.

      Rosmarie hob ängstliche Augen: »Muh ich wirklich rechnen, Tante Uli? Heut bin ich zu müde.«

      »Nein, Schäfchen, nein, wenn du es nicht selbst willst. Ich will es gewiß nicht. Nur deinen Namen, daß das Thorsteiner Schiff wieder flott wird. Es ist zu stark geladen und liegt auf einem Riff.«

      Rosmarie sah sie verwundert an. Und nahm die Feder ... Tante Ulrike war rot bis in die Schläfen, als sie die Augen darauf fallen ließ. »Dieser faule Harro! Hier, ja hier.« Rosmarie schrieb ihren Namen, es war schon eine Arbeit für sie, obgleich die Tante ihr die Unterlage hielt.

      »Ist es nun recht?«

      »Gewiß, Schäfchen ... so schön hast du geschrieben. Nun ja, jetzt kann es wieder gehen. Ob es so gut für Harro ist, weiß ich freilich nicht.«

      »Was ist nicht gut für Harro?« fragte sie ängstlich. »Was meinst du mit dem Schiff?«

      »Ach, Herzchen, daß er sich so gar nicht zu rühren braucht und seine Tage so verdämmert und du ihm mit einem Federstrich verschaffst, was er sich eigentlich erringen müßte. Ob das so gut ist ...?«

      Rosmarie errötete ein wenig, sie hatte jetzt erst begriffen. »Es war sehr unnötig, daß Harro es beim Vater durchgesetzt hat, daß alles auf meine Unterschrift geht. Es ist doch seine Sache. So gut ich ihm gehöre, so doch alles, was ich habe oder hatte.«

      »Die Thorsteiner sind sonst nicht so gerne aus fremden Schüsseln satt geworden, und es wundert mich, daß sich Harro so schnell daran gewöhnt.«

      Rosmaries große graue Augen wurden naß. »Es sind doch keine fremden Schüsseln, und ich möchte Harro jetzt sehen. Vielleicht ist er traurig ...«

      »Aber Herzblatt, so mußt du es nicht nehmen ... Nein, es ist alles recht ... natürlich keine fremden Schüsseln, ein ganz dummes, altmodisches Wort von deiner altmodischen Tante, ich dachte nur, wie gut es wäre, wenn Harro wieder etwas täte. Seine Briefe liest er nicht einmal.«

      »Dann ist er sehr, sehr traurig, Tante. Ach, man läßt ihn gar nicht zu mir.«

      Die alte Dame nahm die ach so durchsichtig feine Hand in die ihre, auf der die bläulichen Schatten liefen, und sagte: »Kind, wenn das Schlänglein da an deinem Halse nicht wäre, das blaue Schlänglein, das so klopft ... Kind, sag doch selbst! Wenn du diesen langen Menschen jetzt bei dir hast, er ist wie lauter zähe, alte Buchenknorzen heute; so wirst du so schlimme Dinge anstellen ... du fühlst das Gewitter. Heinz schreit den ganzen Morgen. Das Kind spürt es auch, er weiß nicht, was er will. Unerträglich schwül ist's, Kind. Du mußt jetzt versuchen, ein wenig zu ruhen ... Du siehst selbst ein, daß du dich jetzt nicht mit widerhaarigen, schlechtgelaunten Männern abgeben kannst. Eine kurze Zeit Geduld noch, Kind!«

      Sie nickte ihr zu und ging mit ihrem braunen Buch hinaus.


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