Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
sie nun in der Villa Riposa zwischen den vielen goldenen Spiegeln, dunkel, streng und einfach, denn Rosmarie hat nur Lichter aufgesteckt. Alle möglichen schönen und kostbaren Dinge hat Lisa der Kiste entnommen und auf dem Tisch ausgebreitet, und Miß Granger hat mit etwas zitternden Händen – in der letzten Zeit ist sie recht zitterig geworden – daran herumgezupft. Es kamen auch die köstlichen Braunecker Lebkuchen, die nach uraltem Rezept in der Schloßküche bereitet werden und einen so heimatlichen Duft verbreiten.
Die Post hat noch eine Kiste gebracht an Ihre Durchlaucht aus Rom. Soll man das auch öffnen?
Lisa macht alle möglichen wilden Zeichen mit einem Stemmeisen in der Luft und schreit: »Open, open!« Miß Granger ist erst fünfzehn Jahre in Deutschland, und man kann es ihr daher nicht zumuten, daß sie die schwere Sprache beherrscht, und namentlich, wenn sie, wie bei der guten Lisa, etwas dialektgefärbt ist. Miß Granger erschrickt, »no, no« und setzt sich konfus und jämmerlich auf einen hellen Morgenrock der Prinzessin.
»Die wird immer einfältiger,« denkt Lisa ärgerlich.
Und Rosmarie kommt zu ihrer Bescherung herein, langsam und mühselig, und die Lisa erschrickt heftig. Sie sieht ja ihre Herrin jeden Tag, und darum bemerkt sie es nicht so sehr. Aber nun ist's, als sähe sie zum erstenmal genau, wie sie aussieht. Kaum daß sie noch auf den Lippen einen blassen rosa Schein hat, und sie hängt ganz vorne herein. Und die Hände! Wie hat Lisa das übersehen können? – ganz kraftlos und weiß hängen sie herunter mit dicken blauen Adern wie Schnüre darauf.
O wenn wir zu Hause und in Brauneck wären! Und da fällt auf die arme Lisa eine schreckliche Last herein. Sie sieht nach der zittrigen schnüffelnden Miß Granger, den braunen Knopfaugen der kleinen Angelina. Der verliebte Adolf ist schon wieder außer Sehweite. –
Was werden sie in Brauneck sagen! Lisa ist dafür angestellt, daß sie Kleider instand halten, frisieren, bei der Toilette helfen soll, und, wie ihre gute Mutter ihr noch aufgegeben hat, nicht, was unter den Nagel geht, von fremdem Gut sich aneignen und den Mund halten. Kein Mensch hat der Lisa Lader, Schlosserstochter von Brauneck, die Prinzessin Rosmarie von Brauneck anvertraut. Und doch, die Lisa ist kaum imstande, all die guten und schönen Dinge anzusehen, die sie bekommen hat. Sie muß so viel Gedanken in ihrem Kopfe wälzen, wie im Leben noch nicht. Die Prinzessin hat im Augenblick niemand, der sich um sie kümmert, außer ihr, der Lisa. Und der Fürst, der Herr Domänenrat, sogar der Herr Stiftsprediger tauchen vor ihr, der einen Lisa Lader, auf und sagen: »Ja, hat denn kein Mensch es gesehen und niemand geschrieben und es wissen lassen und beizeiten einen Doktor geholt?«
Es muß ja auch in diesem Lande einen deutschen Doktor geben, es gibt ja hier alles, auch eine deutsche Kirche, in der sich Lisa freilich nie recht heimisch fühlt. Die Prinzessin liegt schon wieder in ihrem Korbstuhl, gottlob; an ihrer schrecklichen Decke, die Lisa haßt, stickt sie nicht. Sie sieht an ihrem Christbaum hinauf. Ihre schönen Geschenke hat sie kaum angesehen. Miß Granger, noch zittriger als sonst, bedankt sich mit einem angreifenden Geschnüffel und geht zu ihrer geheimnisvollen abendlichen Unterhaltung. Die Köchin und die Angelina ziehen mit ihrer Beute ab, und Lisa hat keine Veranlassung mehr dazubleiben.
Und doch ist der Kopf ihr so voll und das Herz so schwer. Sie bleibt noch stehen und schaut verlangend und wie hilfesuchend nach ihrer jungen Herrin.
Die greift nach ihrem Baume hinauf und läßt die Zweige durch ihre dünnen Hände gleiten.
»Lisa, ist das nicht schön, daß der Fürst uns den Braunecker Baum geschickt hat, daß wir hier nicht allein sind? Du hast wohl auch Heimweh, Lisa?«
Die Lisa seufzt aus voller Brust: oh, daran darf man nicht denken! Daß man jetzt in Brauneck wäre, und die andern sagten zu einem: »Dumme Lisa, mußt du Prinzessinnen hüten und versorgen?«
»Durchlaucht, es ist noch ein Paket angekommen, soll ich's aufmachen?«
Sie fühlt, wenn die Prinzessin jetzt noch ein Wort sagt, muß sie weinen.
»Von wem ist es denn?«
Und plötzlich wird die Prinzessin dunkelrot, sie hat die Aufschrift gelesen: »Roma.« Lisa öffnet mit Mühe, und Rosmarie nimmt mit zitternden Händen einen Brief, der oben auf liegt. Es sind nur wenige Zeilen, sie hat ihn gleich überflogen. Und nun schält sich aus vielen Hüllen ein schwerer Gegenstand. Eine holzgeschnitzte Gruppe, etwa drei Hände groß. Eine lange schlanke Mädchengestalt. – Lisa denkt, man könnte meinen, sie sähe der Prinzessin ähnlich. Mit ausgestrecktem Arm hält sie eine lange Flechte von sich, an der sie mit feinen Fingern flicht, die andere Hälfte des Haares fällt auf die Schultern und um die schwanke Gestalt, die barfuß nur mit einem Hemde und dünnem Röckchen bekleidet ist. An das Mädchen schmiegt sich eine köstliche Gans mit ausgebreiteten Flügeln, die sie zu verteidigen scheint. Eine zweite Gans streckt zischend den Hals gegen einen Buben, der mit gelüstigem Gesicht mit einer Hand nach den Flechten tastet. Die schönste Gans ist die vorderste, die mit unglaublich drolliger Würde, wie die Gänse sie zuweilen haben, der ganzen Gruppe vorangeht.
Der Prinzessin große Augen strahlen: »Kennst du das, Lisa? Die Prinzessin, die die Gänse hüten mußte, im fremden Lande, und schweigen und erleiden, wie man ihr alles nahm, ihren Namen, ihre Liebe.«
Nein, die Lisa kennt es nicht. Und darum erzählt es ihr die Prinzessin. Es ist eine wunderschöne Geschichte, aber beinahe zum Weinen. Denn die Prinzessin sagt:
»O Falada, da du hangest,
O Jungfer Königin, da du gangest,
Wenn das deine Frau Mutter wüßte!«
Und zum großen Glück kommt alles zu einem guten Ende. Die Lisa heitert sichtlich dabei auf. Und als sie geht, küßt sie der Prinzessin die dünne Hand. Die anderen Kammerfrauen, die ausländischen, die richtige Kammerfrauen sind und nicht nur Garderobemädchen wie die Lisa, tun das immer. Aber die Lisa ist ein Braunecker Kind, wo man keine Handküsse gibt und die Leute, die das tun, lächerlich und etwas verächtlich findet. Und die Prinzessin läßt's geschehen und sagt nur:
»Du liebe Lisa, wie bin ich froh, daß ich dich habe, und nun haben wir etwas so Wunderschönes zu Weihnachten bekommen.«
Und Lisa geht hinaus und beschließt: »Also morgen lasse ich der jämmerlichen Miß keine Ruhe, bis sie nach einem Doktor schickt, und wenn sie's nicht tut – dann –, dann schreibe ich dem Herrn Stiftsprediger!« Und der Lisa wird ganz leicht zumute, wie sie ihren duftenden Braunecker Lebkuchen ißt. –
Rosmarie liegt unter ihrem Tannenbaume und sieht nach ihrem schönen kleinen Kunstwerk, und ihre Augen liebkosen jede Linie!
»O du Kluge, du Graue! Die Leute heißen dich dumm, die dich noch nie hinter einem Hund drein lachen und schwatzen haben hören und dir nicht auf deinen nachdenklichen Schnabel gesehen haben! O Harro, und diesmal habe ich dir nichts, und nur so arme, leere Worte hast du mir zu schreiben getraut. Aber ich verstehe ja deine Linien und daß du mich nicht vergessen hast. Und daß du mir dieses schickst! Weißt du denn, daß ich in der Verbannung bin und alles verloren habe ... Meine Liebe, meine Heimat, meine Ehre ...«
Neunzehntes Kapitel.
Das alte Lied
Lisa dringt am Morgen unter Schwierigkeiten zu Miß Granger vor. Sie läßt ja niemand außer der kleinen Angelina – wie kann eine solche Schlange Angelina heißen! – in ihre Gemächer. Und Lisa verlangt unter vielen Gesten und eingestreuten englischen Worten, daß man den Adolf nach einem Doktor schicke. Miß Granger ist zittriger als je und härter von Verständnis, aber sie sagt endlich: Yes, yes, und geht zu der Prinzessin hinunter. Dort gibt es eine Szene, Lisa hört es durch die Türe. Die Miß ächzt und stöhnt und wimmert, und die Prinzessin muß trösten. Was geschieht denn ums Himmels willen der Miß, wenn zu einem Doktor geschickt wird! Sie hört, wie die Prinzessin aufsteht und sich mit ihren Sachen zu schaffen macht. Miß Granger kommt heraus, eine goldene Kette mit einem Riechflakon, schön mit Edelsteinen besetzt, in der Hand.
»Doktor?«