Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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hält ihn fest: »Bitte, bleiben Sie!«

      Und die Prinzessin sagt: »Du bist so groß über mir, Harro, – setze dich doch dorthin.«

      Dieser Graf ist der vernünftigste Mensch, den der Doktor je in einem Krankenzimmer gesehen hat. Nun setzt er sich hin, nicht zu nahe, nicht zu ferne von dem Bett und versteht da zu sitzen, daß man ganz beruhigt wird, wenn man ihn nur ansieht. Ruhig und nicht lässig, so wie es die Leute tun sollten und es meistens nicht fertig bringen. Und die Prinzessin sieht mit ihren großen sanften Augen nach ihm, als wärme sie sich an seinem Anblick. Sie schweigen beide. Aber es ist kein bedrücktes Schweigen, kein Schweigen, wobei man das Gefühl hätte, als warte eines auf irgend ein Wort, wie es nun fällt, – ein Schweigen, das gutmütige und nervöse Menschen zu den törichtsten Reden zu verführen pflegt. Nein, es ist ein gesättigtes Schweigen, wenn man so sagen kann. Wozu das Zungenwerk? Wir verstehen uns auch so. –

      Aber dem Doktor gefallen ihre schöne Ruhe und die Stille und ihre sanften Augen, in denen beinahe ein Lächeln liegt, nicht. Nun darf sie sich noch ganz sanft, nur ein wenig, ausstrecken, ihre Hände etwas heraufziehen –.

      Und dieser sichere Mann da wird wohl auch etwas aus seiner beneidenswerten Ruhe kommen. Den Berg hinauf geht es jetzt sehr viel schwerer als hinunter.

      Und der Doktor kommt wieder mit seinem Trank und gibt ihn dem Grafen ... er kann sie wohl am ehesten dazu bewegen.

      Harro steht sofort auf. »Fräulein, helfen Sie, schieben Sie den Arm unter das Kissen. – Seelchen, das sollst du nehmen.«

      »Ach, Harro – nein – du weißt nicht ... ach, könnt Ihr mich nicht lassen? Muß ich denn durch die Glut und die Hitze und die Pfeile nach Jerusalem –«

      »Sie müssen, Prinzessin! Sie werden doch nicht jetzt schon den Kampf aufgeben ...« flüstert der Professor.

      »Muß ich, Harro?«

      »Du wirst wohl müssen ... ich ... nein ... ich zwinge dich nicht. Wenn du nicht willst, so stell ich das Glas fort, und wir lassen dich in Ruhe. Und ich bleibe noch bei dir, wenn du es wünschest. Vielleicht kannst du ein wenig schlafen ...«

      »O wie gerne ... aber ich darf nicht. Sieh ... die Augen –«

      »Es ist niemand da, quäl dich doch jetzt nicht damit.« »Ich muß, ich muß – Harro gib mir das Glas. Ich danke dir, daß du es mir erlassen hättest. So gut wie du ist niemand. Und nun mußt du gehen. Und Herr Geheimrat auch. Bitte. Ich danke sehr, sehr. Lebwohl.«

      Ja, sie müssen gehen. Der Doktor zuckt die Achseln und begleitet sie hinaus. Ja, es kann die Nacht so hingehen.

      »Ich wohne im Hotel Angst, Herr Doktor, und bin dort zu erreichen, wenn man mich in der Nacht noch wünschen sollte.«

      »Wenn ich Leute hätte in diesem verwunschenen Hause,« ruft der Doktor ärgerlich. »Es muß ein Diener da sein, aber er sei auf einem englischen Dienerball.«

      »Beruhigen Sie sich, Herr Doktor, ich werde ihn schon an den Löffeln nehmen, wenn nicht leiblich, so durchs Telephon, in einer halben Stunde haben Sie ihn,« sagt der Thorsteiner.

      Wie sie hinausgehen, sieht Harro neben dem Stuhl der Prinzessin eine zusammengelegte Arbeit liegen. Das ist wohl die Decke. Er öffnet die Rolle ein wenig ... Dann schlägt er sie sorgfältig zusammen und nimmt sie mit.

      Und nun gehen sie zusammen, zuerst in Harros Hotel, denn in seiner Pension wird der Herr Professor nichts mehr zu essen bekommen. Und Harro bittet sehr, der Geheimrat möchte ihm doch die Ehre erweisen, sein Gast zu sein. Dann gehen sie mit einer Zigarre in den Rauchsalon, wo zwischen hohen Palmengruppen bequeme Korbstühle stehen. Nur wenige Menschen sind da. Ein runder Platz am tiefen Fenster, von wo aus man ein ungewisses Blinken vom Meere her sieht, ist noch leer. Harro raucht eigentlich nur zum Schein, auch der Herr Geheimrat hat sich eine sehr blonde Zigarre angesteckt. Die Unruhe bemeistert sich so leichter.

      »Warum die Prinzessin uns plötzlich fort haben wollte?« beginnt der Professor.

      »Das kann ich mir denken, sie leidet. Ich sah es an ihren Händen.« Er seufzt. »So dasitzen – ich wäre lieber geblieben, nun ich doch einmal da war.« »Herr Graf, wie kam es, daß Sie nun so plötzlich dastanden, da man Sie herbeiwünscht? Haben Sie das immer so an sich?«

      »Nein, leider nicht. Und können Sie mir einen Anhalt geben, was ich nun mit dem Fürsten bereden soll?«

      »Die Prinzessin hofft Hilfe bei Ihnen zu finden. Ich kann Ihnen nichts Genaueres sagen. Irgendwelche Umstände müssen zusammen gekommen sein, daß der Fürst seiner Tochter eine schlimme Tat zuschreiben zu müssen glaubt. Sie sagt: Ich habe meine Ehre verloren, ich muß meinem Vater als grausam, feig und heimtückisch gelten.«

      »Unmöglich, ganz unmöglich, das kann der Fürst nicht glauben.«

      »Die Prinzessin sagt, er hat gute Gründe.«

      »Was kann das sein? Was kann es nur sein?«

      »Kann es vielleicht mit dieser Mutter – eine Stiefmutter ist es doch – zusammenhängen ... Wie ist sie denn?«

      »Nun, oberflächlich, ein wenig ungeeignet für die Braunecker Herrschaft. Ich meine, sie hätte ebensowohl eines reichen Schlächtermeisters Sohn heiraten können, so in der zweiten Generation, wo das Geld schon etwas gewaschen ist. Ich habe einmal einen wahren Greuel von Bild von ihr gemalt. Und die Leute machen erst noch eine Menge Aufhebens davon. Ich schämte mich dabei. Der Fürst hat auch den guten Geschmack gehabt, das Bild nicht in seinen Ahnensaal zu hängen, es treibt sich irgendwo herum – auf Ausstellungen. Nein, wie ihr Bild ist sie nicht ... Ihre Stieftochter liebt sie ja nicht gerade innig, was man auch kaum von einer jungen lebenslustigen Dame ihrer heranwachsenden Tochter gegenüber verlangen kann. Auch ist das Seelchen durchaus nicht leicht zu verstehen, und wenn man nicht den Schlüssel zu ihrem Wesen hat, reichlich geheimnisvoll. Versteht sich auch auf den passiven Widerstand bei aller Sanftmut. Sie ist darin wie Wasser, weich und sanft und stark. Das alles empfiehlt sie ja einer Stiefmutter nicht sehr. Von irgend welchen Grausamkeiten, welche die Fürstin an ihr verübt hätte, habe ich nie das mindeste gehört.« »Und der Fürst?«

      »Oh, ein durchaus vornehmer Mensch. Grand Seigneur, sehr sogar. Er kann darin so wenig aus seiner Haut wie wir alle. Seine Tochter hing ihm sehr am Herzen, ohne daß er sie darum besonders gut verstanden hatte. In seiner Ehe hat er eine Reihe Enttäuschungen erlebt. Haus Brauneck wartet immer noch auf einen Erben.

      Die Aufgabe, die mir die Prinzessin zugeteilt, mit ihrem Vater zu reden, ist so ziemlich die peinlichste und schwierigste, die ich mir denken kann. Ich habe den Fürsten seit Jahren nicht mehr gesehen, bin unter Umständen von ihm geschieden, die es mir nahelegten, meine Persönlichkeit für einige Zeit aus seinem Gesichtskreis verschwinden zu lassen. Und tauche nun plötzlich hier auf, wo man mich am allerwenigsten wünscht oder erwartet ...

      Ob der Fürst mich anhören will. Ob er nicht von vornherein sich jede Einmischung in seine innersten Angelegenheiten mit mehr oder weniger Höflichkeit verbittet ...

      Ich sehe mich schon in Situationen!

      Zum erstenmal reut mich bitter, daß ich immer noch weder verheiratet noch verlobt bin. Ich würde mich auf der Stelle verloben, wenn nur irgend ein verlobungsmöglicher Gegenstand in der Nähe wäre. Dem Seelchen muß ich zu Hilfe kommen.«

      Der Herr Geheimrat lächelte ein wenig: »Nun, ein solches Opfer, das immerhin seine Konsequenzen hätte, wird doch nicht nötig sein.«

      »Wenn ich nur dem Fürsten klar machen könnte, daß kein Mensch sich des Abstandes zwischen mir und seiner Tochter so klar bewußt ist wie ich.«

      Harro stand auf. Das ferne Blinken auf dem Meere wurde deutlicher, irgendwo mußte ein Mondschein hinfallen. Ferne Lichter leuchteten auf. Da zog wohl ein stolzer Lloyddampfer vorüber, fern, ganz fern ... Er seufzte auf. »Ich halte Sie auf, Herr Geheimrat, ich hänge meine Unruhe an Sie.«

      »Ich gehöre, wenn ich einmal anfange, zu den Hockern, wie man in Tübingen sagte. Ich möchte solche späte Abendstunden, wo der Mensch sich immer mehr von seinem Alltagsgetriebe entfernt


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