Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри


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alle Kuchen bekommen. Die Kinderschüler, die mit ihrer freundlichen weißbehaubten Schwester an einem langen Seil durch die Straßen gehen, in festlichen Kleidchen, jedes ein Kuchenkörbchen in der Hand. Die stolzen Lateinbuben, die sonst in wilden Kämpfen mit den Volksschülern leben, stehen einträchtig mit ihnen an der Kirchenstaffel um einen riesigen Kuchenkorb herum, dessen ordnungsmäßige Entleerung der Mesner überwacht. Die Spitalfrauen können mehr oder weniger einträchtig ein Kaffee- und Kuchenfest feiern. Die alten Witwen und bresthaften Jungfrauen, die nach einer Stiftung aus dem siebzehnten Jahrhundert jede Woche im Schloß einen großen Brotlaib, den sogenannten Schloßlaib, abholen, bekommen außer dem Kuchen noch eine Flasche Wein dazu. Es ist kein Kind in Brauneck, das heute leer ausginge.

      Es sind große braune herrliche Kuchen mit Rosinen darin, und sie werden nach altem Rezept gemacht. Eine sehr kinderliebende Gräfin soll sie vor Zeiten an den Festen ausgeteilt haben. Und so wandelt mit dem süßen Duft auch dieser freundliche Geist durch die alten Straßen.

      Was das Leben den Braunecker Kindern später für Leckerbissen bringen wird, es wird doch nicht mehr die Güte von jenen Kuchen erreichen.

      Eine Militärkapelle spielt in der Straße und die Fräulein, Bürger- und Honoratiorentöchter, gehen schön geschmückt paarweise dazu auf und ab. Rosmarie ist die erste von ihren Mitkonfirmandinnen, die Hochzeit hat, und für sie, sofern sie nicht schon in alle Welt zerstreut sind, ist dieser Tag noch ein besonderes Ereignis. Sie haben alle das Gefühl, daß der Reigen nun eröffnet ist. Und wer wohl die nächste sein wird? Das kann jetzt erwogen werden. Sie tragen alle auf Vereinbarung hin den kleinen goldenen Anhänger an seiner Kette mit Rosmaries Namenszug darauf, den sie von ihr zur Erinnerung an die gemeinsame Konfirmation erhalten haben.

      Diesmal kommt der Ruinengraf in einem geschlossenen Coupé angefahren. Die Buben, die unter lauter Hurrarufen jeden Wagen bis zur Schloßbrücke verfolgen, sehen ihn gerade noch, und daß er kaum zu erkennen ist, erzählen sie.

      Die Fürstin in ihrem neuesten Pariser Kunstwerk kommt eben die Treppe herunter, ihre rauschende goldbrokatene Schleppe hinter sich dreinziehend, Rosmaries Diamantentiara auf dem Kopfe und so viel siebenfarbige Strahlen werfend, als nur irgend möglich. Sie ist schön heute und imponierend – sie ist ja kaum dreißig Jahre alt. Der Fürst begegnet ihr oben; man sieht ihm an, daß er recht nervös ist. Seine Frau pflegt ihm bei allen offiziellen Anlässen nie das geringste abzunehmen. Und es liegt ihm doch so viel daran, daß er allem gerecht wird, daß sich alles in dem von altersher festgelegten Rahmen bewegt. Daß mit jedem von den hohen Gästen nach Rang und Würden gehandelt wird, und daß auch all den kleinen Leuten, die zu seiner Schloßgerechtigkeit gehören, ihr schönes Teil wird.

      Die bürgerliche Trauung hat schon gestern stattgefunden, sie wollte sich heute nirgends einfügen lassen. Und nun flüstert er eilig:

      »Eben sind Harros Tanten gekommen: es ist durchaus nötig, daß du sie hier unten schon begrüßt, es sind seine einzigen Verwandten. Komm, bitte, gleich mit herunter.«

      »Gott, was ist heute nicht alles unbedingt nötig,« murmelt die Fürstin, »die alten Damen.«

      Aber der Fürst hat schon ihre Hand auf seinen Arm gelegt, und sie gehen zwischen den Rosengewinden, die die Treppen umschlingen und sich im Baldachin über dem Podest treffen, dahin, den beiden feierlichen schwarzatlassenen Stiftsdamen entgegen, denen die Diener gerade die Hüllen abgenommen haben. Die eine zieht noch in größter Seelenruhe ein Paar schwarzwollene Handschuhe aus, die sie für die Fahrt gut genug erachtet hat, und kalkweiße Glacéhandschuhe an.

      Der Fürstin Geschmack sind ältere Damen ohnedies nicht. Unangenehm ist nur, daß die beiden eisgrauen Thorsteinerinnen mit den blaustählernen Augen und den prachtvollen Zähnen hinter welken Lippen so sehr tief auf sie herunter sehen. Hinaufimponieren ist immer so schwer.

      Der Fürst ist von der herzlichsten Liebenswürdigkeit, sie kommt gar nicht an mit ihrer Kühle. Und offenbar sind die Originale in der Thorsteiner Familie mehrfach vertreten. Denn die eine, die die tiefste Stimme hat, die ein weibliches Wesen überhaupt haben kann, sagt zu dem Fürsten:

      »Daß Harro sich so durchtrotzen würde und nun dafür noch eine schöne Prinzessin bekommen soll, das hätte ich nicht gedacht.«

      Und die andere fügte bei: »Es ist eine heidnische Pracht auf dem Thorstein; und wenn man hereinkommt, weiß man nicht, soll es eine Kirche oder ein Museum werden. Und man sieht sich nach einem Opferbecken oder einem Museumsdiener um. Ich möchte wissen, was sein Vater gesagt hätte. Einen Platz für seine vielen Peitschen und Hunde hätte er vergeblich gesucht. Die Prinzessin kann wohl sehr viel Kunst ertragen.«

      Und der immer liebenswürdige Fürst beeilt sich, zu versichern, daß sie das könne.

      Rosmarie steht ganz allein in ihrem alten runden Turmzimmer, dessen Türe nach dem Lindenstamm weit offen steht. Der goldrote Wald leuchtet herüber, die Linde zerstreut ihre Blätter auf die alten Steinfliesen.

      Sie hat schon ihr bräutliches Gewand an, ihren langen Schleier und den grünen Kranz, dessen dunkelgrüne Blätter und weiße Blüten in ihre alte Spange gewunden sind.

      Keine liebende Mutter hat ihr den Kranz auf die Stirne gedrückt und hat die Arme um sie gelegt, daß sie das Mutterherz hätte schlagen hören.

      Die Lisa hat sie fortgeschickt, daß sie sich ankleide – ihr Vater hat ja viel zu viel zu tun, um nach ihr sehen zu können. Nachher wird er sie abholen.

      Das liebe Zimmer ist ganz unverändert geblieben, wie ihr Schlafzimmer mit dem alten Muschelbett. Es hängen die Bilder und Studien da, die Harro ihr gemalt, da stehen ihre Bücher, in der Ecke ein kleines silbernes Teeservice, das sie einst so beglückt hat. Alles soll ganz so bleiben, wie sie es verläßt, daß sie jederzeit wieder zurückkehren kann in ihr Kinderland. Ihre Augen wandern hin und her in den vertrauten Räumen: die schönsten Stunden, die sie darin verlebt, die gehen ja mit ihr, die verdankt sie ja Harro. Und nun geht sie langsam die Stufen zum Lindenstamm hinunter, ihre weiße Atlasschleppe gleitet über die gelben Blätter, und die goldene Herbstsonne liegt auf ihrem Gewande und dem zarten Märchengebilde ihres Schleiers.

      »Lebe wohl, Herzelinde,« flüstert sie in der Linde trockenes Rauschen hinein, und wie sie ihr schönes Haupt erhebt, trennt sich langsam ein großes goldenes Blatt von seinem Zweige, dreht sich ein paarmal in der Luft herum, wie ein großer Falter und sinkt dann auf ihre ausgestreckte Hand herunter. Ein schönes Blatt wie ein goldenes Herz, mit feinen grünen Adern. Sie schiebt das Blatt in das feine Plätzchen, wo sich köstliches Spitzengeriesel an ihren leuchtend weißen Hals schmiegt. Und nun füllen sich ihre Augen doch mit Tränen.

      »Leb wohl, Linde, leb wohl, du roter Turm, wie hab ich euch lieb. Ach, vergeßt mich nicht. Und ich komme wieder. Hört ihr's, ich komme wieder.

      Leb wohl, Gisela, leb wohl, Schönster. Ihr habt mich ja ganz vergessen, oder denkt ihr, ich brauche euch nicht mehr, weil ich nun ihn habe?«

      »Wo er nur ist?« Sie hat ihn noch gar nicht gesehen. Ihr Vater meint, es bringe Unglück, wenn der Bräutigam die Braut im Schleier zuvor sehe. »Als ob mir Harro je Unglück bringen könnte.«

      »Rosmarie!« Sie wendet sich. Dort im Schatten des Eingangs steht ihr Vater, und seine dunkeln Augen hängen an ihr, den sie nun verlassen wird, der heute das Licht aus seinem Hause hergeben soll, daß es ganz im tiefen Schatten liegt.

      Aber für Gefühle läßt das Zeremoniell keinen Raum. Einen Augenblick kann sie noch ihre Arme um seinen Hals legen und ihre weiße Wange an seinen Kopf schmiegen, »ich danke dir, Vater, ich danke dir von ganzer Seele« flüstern, und dann reicht er ihr den Arm. In seinem Gesicht zuckt es auch, und ein paar schnelle Perlentropfen blitzen neben den vielen Ordenssternen und Kreuzen auf seiner Uniform...

      »Rosmarie, zuerst hast du die Tanten zu begrüßen, und dann folge mir nur, wohin ich dich führe.« »Aber lieber Vater, wo ist denn Harro?«

      »Hast du denn das vergessen? Du triffst ihn erst in der Kirche. Nimm deine Blumen und deine Handschuhe. – Ach, mein schönes, schönes Kind. – Du darfst nur ein paar Worte mit den Tanten reden, dann kommt sofort der Großherzog. Liebe Rosmarie, aus unserm Herzen gehst du ja


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