Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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abreißen.«

      »Ich bin kein Barbier, aber ich will Dir helfen. Du bist ein geborener Herzensbrecher. Und diese ganze Verkleidung für einen Abend? Du weißt doch, der Stoff läßt sich nicht wieder abwaschen?« Sie schüttelte sich vor Lachen, daß die Spangen an Arm-und Fußgelenk klirrten. »Aber, wer bezahlt mich für meine Arbeit? Huneefa selbst könnte Dir keinen besseren Stoff geben.«

      »Hoffe auf die Götter, meine Schwester,« sagte Kim, das Gesicht verziehend, als die Farbe anfing zu trocknen. »Außerdem, hast Du jemals einen Sahib so angemalt?«

      »Nein, niemals. Aber ein Spaß ist kein Geld.«

      »Aber viel mehr wert.«

      »Kind, Du bist ohne jeden Zweifel der schamloseste Sohn Shaitans (Teufel), der mir je vorgekommen. Einem armen Mädchen so die Zeit zu rauben und dann zu sprechen: »Ist der Spaß nicht genug!« Du wirst es weit bringen in der Welt.« Sie machte ihm eine spöttische Tanzmädchen-Verbeugung.

      »Ganz einerlei. Beeile Dich und schneide mein Haar.

      Kim wiegte sich von einem Fuß auf den anderen mit vor Freude blitzenden Augen, im Gedanken an die fetten Tage, die nun kommen sollten. Er gab dem Mädchen vier Annas und rannte die Treppe hinab, jeder Zoll ein Hindu-Knabe niederer Kaste. Einer Kochbude galt sein erster Besuch, wo er sich gütlich tat in fetten Schlemmereien.

      Auf dem Bahnhof beobachtete er den jungen de Castro, wie er, ganz mit roten Hitzbläschen bedeckt, in einen Wagen zweiter Klasse stieg. Kim zog die dritte vor und war da die Seele der Gesellschaft. Er erzählte, daß er Gehilfe eines Gauklers sei, der ihn fieberkrank zurücklassen mußte, und daß er seinen Meister jetzt in Umballa aufsuchen wollte. Wechselten die Reisenden, so änderte er sein Thema oder schmückte es mit Phantasieblüten aus, die um so üppiger wucherten, als er so lange der Landessprache entbehrt hatte. In ganz Indien gab es in dieser Nacht keinen vergnügteren Menschen als Kim. In Umballa stieg er aus und steuerte nun ostwärts, über durchweichte Felder patschend, nach dem Dorfe zu, wo der alte Soldat lebte.

      Um dieselbe Zeit ungefähr wurde Oberst Creighton in Simla telegraphisch aus Lucknow benachrichtigt, daß der junge O’Hara verschwunden sei. Mahbub Ali war in der Stadt, um Pferde zu verkaufen; ihm erzählte der Oberst die Geschichte, als er eines Morgens durch die Annandale-Reitbahn ritt.

      »O, das hat nichts zu bedeuten,« meinte der Roßkamm. »Menschen sind wie Pferde. Zu gewissen Zeiten müssen sie Salz haben, und wenn keins in der Krippe ist, lecken sie es von der Erde auf. Er ist wieder ein bißchen Landstreicher geworden. Die Madrissah (Schule) langweilte ihn. Ich sah das kommen. Das nächste Mal will ich ihn selbst mit auf die Landstraße nehmen. Beunruhigt Euch nicht, Creighton Sahib. Es ist, als ob ein Polo-Pony sich losreißt und fortrennt, um das Spiel allein zu lernen.«

      »Du meinst also nicht, daß er tot ist?«

      »Fieber könnte ihn töten. Sonst fürchte ich nichts für den Jungen. Ein Affe fällt nicht von den Bäumen.«

      An derselben Stelle, am nächsten Morgen, trieb Mahbub seinen Hengst an des Obersten Seite. »Es ist, wie ich dachte,« sagte er. »Durch Umballa ist er wenigstens gekommen, und da er im Bazar erfuhr, daß ich hier bin, hat er mir einen Brief geschrieben.«

      »Lies,« sprach der Oberst mit einem Seufzer der Erleichterung. Es war lächerlich, daß ein Mann von seiner Stellung Interesse nahm an einem kleinen, landgeborenen Vagabunden. Aber er gedachte der Unterredungen im Eisenbahnzug, und oft während der letzten Monate war ihm die Erinnerung an den sonderbaren, schweigsamen, sich selbst beherrschenden Knaben gekommen. Seine Flucht war der Gipfel der Unverschämtheit freilich, aber sie zeigte Mut und Findigkeit.

      Mahbubs Augen zwinkerten, wie er in die Mitte des Platzes lenkte, wo niemand ungesehen sich nahen konnte.

      »Der Freund der Sterne, der der Freund ist aller Welt –«

      »Was soll das heißen?«

      »Ein Name, den wir ihm in Lahore gaben. – ‹Der Freund aller Welt nimmt sich die Erlaubnis, seine eigenen Wege zu gehen. Er wird an dem bestimmten Tag zurückkehren. Laß den Koffer und das Bettzeug holen, und wenn Anlaß zu Tadel ist, lasse die Hand der Freundschaft die Geißel des Unheils abwenden.‹ Es steht noch etwas mehr da, aber –«

      »Nur zu, lies.«

      »‹Gewisse Dinge kennen die Leute nicht, die mit Gabeln essen. Es ist besser, ein Weilchen mit beiden Händen zu essen. Sprich süße Worte zu denen, die dies nicht verstehen, damit die Rückkunft günstig sei.‹ Nun, die Art, wie das ausgedrückt ist, ist natürlich das Werk des Briefschreibers, aber seht, wie klug der Knabe es gedreht hat, so daß keiner, der nicht Bescheid weiß, etwas verstehen kann.«

      »Ist das die Hand der Freundschaft, die die Geißel des Unheils abwenden soll?« lachte der Oberst.

      »Seht, wie gescheit der Junge ist. Daß er wieder auf die Landstraße gehen würde, sagte ich. Da er Euere Absichten noch nicht kannte –«

      »Ich bin dessen nicht ganz sicher,« murmelte der Oberst.

      »So hält er sich an mich, den Frieden mit Euch zu vermitteln. Ist er nicht klug? Er sagt, er wird wiederkommen. Er vervollständigt nur sein Wissen. Denkt, Sahib, er war drei Monate in der Schule. Dies Gebiß ist ihm noch empfindlich im Maule. Ich erfreue mich daran, daß das Pony das Spiel lernt.«

      »Aber ein ander Mal darf er nicht allein gehen.«

      »Warum nicht? Er ging allein, bevor er unter Oberst Creightons Protektion kam. Wenn er in das große Spiel eintritt, muß er allein gehen – allein und seinen Kopf riskieren. Wenn er dann anders spuckt oder niest oder niedersitzt, als das Volk, das er beobachten soll, kann er totgeschlagen werden. Weshalb ihn jetzt zurückhalten? Denkt was die Perser sagen: Der Schakal, der in den Wildnissen von Mazanderan lebt, kann nur von Hunden aus Mazanderan gepackt werden.«

      »Wahr! Wahr, Mahbub Ali. Und, wenn er nicht zu Schaden kommt, ist’s gut. Aber eine große Unverschämtheit bleibt es.«

      »Nicht einmal mir sagt er, wohin er geht. Er ist kein Narr. Wenn seine Zeit um ist, wird er zu mir kommen. Er reift schneller, als Sahibs rechnen.«

      Einen Monat später erfüllte Mahbubs Prophezeiung sich buchstäblich. Er war in Umballa, um einen Pferde-Transport abzuholen, und ritt in der Dämmerung allein auf der Kalka-Straße, als Kim ihn traf, um ein Almosen bettelte, eine Verwünschung erhielt und auf Englisch antwortete. Mahbub schnappte vor Erstaunen.

      »Oho! Und wo bist Du gewesen?«

      »Auf und ab – abwärts und aufwärts.«

      »Komm unter jenen Baum, aus der Nässe heraus, und erzähle.«

      »Eine Weile blieb ich bei einem alten Mann, nahe Umballa, dann im Hause einer Bekanntschaft in Umballa. Mit einem von ihnen wanderte ich südwärts bis Delhi. Das ist eine wunderbare Stadt. Darauf trieb ich einen Ochsenwagen für einen Teli (Ölhändler) nach Norden, hörte aber bald von einem großen Fest in Puttiala und eilte dorthin in Gesellschaft eines Feuerwerkers. Es war ein großartiges Fest.« Kim rieb sich den Magen. »Ich sah Rajahs und Elefanten mit goldenem und silbernem Sattelschmuck; und sie brannten alles Feuerwerk auf einmal ab; dabei wurden elf Menschen getötet, mein Feuerwerker darunter, und ich wurde durch ein Zelt geblasen, tat mir aber nichts. Dann kam ich auf die Landstraße zurück mit einem Reiter, einem Sikh, dem ich als Groom diente für mein Brod, und hier bin ich.«

      »Shabash (Spitzbube)!« rief Mahbub Ali.

      »Und was sagt der Oberst Sahib? Ich möchte nicht geprügelt werden.«

      »Die Hand der Freundschaft hat die Geißel des Unheils abgewendet. Ein ander Mal aber, wenn Du umherschweifen willst, muß es mit mir sein. Dies ist noch zu früh.«

      »Spät genug für mich. Ich habe ein wenig Englisch lesen und schreiben gelernt in der Madrissah. Ich werde bald ganz und gar ein Sahib sein.

      »Hört ihn!« lachte Mahbub Ali, sich die kleine durchnäßte Gestalt ansehend, die da vor ihm im Schlamm herumtanzte. »Salaam – Sahib,« und er verbeugte sich ironisch. »Bist der Landstraße müde,


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