Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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Wir brauchen nur über die Schienen zu springen und unserer Wege zu gehen. Sie werden nicht sehen, woher der Schuß kam. Warte hier wenigstens bis zur Dämmerung. Welch eine Art Fakir bist Du, zu schaudern bei ein bißchen Wachen?«

      »Oho!« dachte Kim hinter fest geschlossenen Augen. »Wieder gilt es Mahbub. Wirklich, der Stammbaum eines weißen Hengstes ist kein gutes Ding, um damit bei Sahibs hausieren zu gehen. Kann aber sein, Mahbub verkaufte noch andere Neuigkeiten. Was ist zu tun, Kim? Ich weiß nicht, wo Mahbub steckt, und kommt er vor Morgendämmerung hierher, so schießen sie ihn nieder. Das wäre kein Vorteil für Dich, Kim. Es ist auch keine Sache für die Polizei. Das wäre wieder kein Vorteil für Mahbub – und« – er kicherte fast laut – »ich entsinne mich keines Unterrichts in Nucklao, der mir hier helfen könnte. Allah! Hier ist Kim und dort sind die. Zuerst also, Kim muß aufwachen und fortgehen, ohne daß die Argwohn schöpfen. Ein böser Traum weckt einen Menschen auf, – so –«

      Er warf die Decke vom Gesicht und richtete sich ungestüm auf, mit dem fürchterlichen, gurgelnden wahnsinnigen Geheul der Asiaten, wenn ein Alp sie drückt.

      »Urr-urr-urr-urr! Ya-la-la-la! Narain! Die Churel! Die Churel!«

      Die Churel ist ein besonders boshafter Geist einer Frau, die im Kindbett starb. Sie lauert an einsamen Wegen, ihre Füße sind rückwärts gekehrt, und sie stürzt Menschen in Qualen.

      Lauter wurde Kims quäkendes Heulen, bis er zuletzt aufsprang und schlaftrunken fortstolperte, indes die Lagernden ihn verwünschten für die Störung. Zwanzig Schritte entfernt legte er sich wieder nieder, wohl darauf bedacht, daß die Flüsterer sein Stöhnen und Grunzen noch hören konnten, wie er sich langsam wieder beruhigte. Nach einigen Minuten kugelte er auf die Straße und stahl sich hinaus in die Dunkelheit.

      Er trabte rasch vorwärts, bis er an eine Wegüberbrückung kam und duckte sich dahinter, daß sein Kinn in gleicher Höhe mit dem Klappenstein war. Hier konnte er ungesehen den nächtlichen Verkehr beobachten.

      Verschiedene Fuhrwerke rasselten vorüber nach den Vororten; ein hustender Polizist, ein paar eilende Wanderer, die sangen, um böse Geister fern zu halten. Dann der Trapp von beschlagenen Hufen.

      »Ah! Das sieht nach Mahbub aus,« dachte Kim, als das Tier vor dem kleinen Kopf über dem Steinrund scheute.

      »Ohe! Mahbub Ali,« flüsterte er, »sieh Dich vor.«

      Das Roß ward rückwärts, fast auf die Keulen, gezügelt, und auf den Brückenkopf zu getrieben.

      »Nie wieder,« sagte Mahbub laut, »reite ich ein beschlagenes Pferd bei nächtlichen Geschäften. Jedes Knöchelchen und jeden Nagel in der Stadt reißen sie sich in den Fuß.« Er bückte sich und hob den Vorderfuß des Pferdes auf, das brachte seinen Kopf nahe an den Kims. »Nieder – bleib unten,« murmelte er. »Die Nacht ist voller Augen.«

      »Zwei Männer warten auf Dich hinter den Viehwagen. Sie wollen Dich erschießen, wenn Du Dich niedergelegt, denn es ist ein Preis auf Deinen Kopf gesetzt. Ich hörte es, als ich neben den Pferden lag.«

      »Sahest Du sie? … Steh still, Herr aller Teufel!« Dies wütend zu dem Pferde.

      »Nein.«

      »War einer vielleicht wie ein Fakir gekleidet?«

      »Einer sagte zu dem andern: »Was für eine Art Fakir bist Du, daß Du schauderst bei ein wenig Wachen?«

      »Gut. Geh zurück ins Lager und lege Dich nieder. Diese Nacht sterbe ich noch nicht.«

      Mahbub wandte sein Pferd und verschwand. Kim schlich längs des Grabens zurück bis gegenüber seinem zweiten Ruheplatz, schlüpfte dann wie ein Wiesel über den Weg und rollte sich wieder in seiner Decke zusammen.

      »Wenigstens ist Mahbub unterrichtet« dachte er. »Und sicherlich, er sprach, als ob er so etwas erwartet hätte. Ich glaube nicht, daß die beiden Männer von ihrer Nachtwache viel profitieren werden.«

      Eine Stunde ging hin, und beim besten Willen wach zu bleiben, schlief er fest ein. Hin und wieder brauste ein Zug auf den Metallsträngen, zwanzig Fuß von ihm, vorüber, aber er besaß die Abgestumpftheit der Orientalen gegen bloßes Geräusch, und es webte sich nicht einmal ein Traum in seinen Schlummer ein.

      Mahbub schlief aber nicht. Es verdroß ihn mächtig, daß Leute, außerhalb seiner Sippe, und unbeeinträchtigt von seinen gelegentlichen Liebesabenteuern, ihm nach dem Leben trachteten. Sein erster und natürlicher Impuls war, weiter unten das Geleise zu kreuzen, dann zurück zu schleichen, seine guten Freunde von hinten zu packen und summarisch tot zu schlagen. Dann bedachte er mit Kummer, daß ein anderer Zweig der Regierung, gänzlich außer Verbindung mit Oberst Creighton, Erklärungen fordern könnte, die schwer zu geben wären; außerdem noch war ihm bekannt, daß man südlich der Grenze eine lächerliche Wichtigkeit aus einem gefundenen Leichnam macht. Seitdem er Kim mit der Botschaft nach Umballa gesendet, war er nicht mehr belästigt worden, und er wähnte jeden Verdacht endgültig beseitigt. Da kam ihm eine brillante Idee.

      »Die Engländer sagen ewig die Wahrheit, deshalb werden wir Eingeborenen ewig zum Narren gehalten. Bei Allah, ich will Wahrheit sprechen zu einem Englischen. Was nützt die Regierungs-Polizei, wenn einem armen Kabuli die Pferde aus ihren eigenen Wagen gestohlen werden? Das ist so schlimm wie in Peshawur! Ich sollte Beschwerde bei der Station vorbringen – besser noch bei einem jungen Sahib von der Eisenbahn! Die sind eifrig, und wenn sie Diebe fangen, wird es ihnen zur Ehre angerechnet.« Er band sein Roß außen an das Stationsgebäude und betrat den Bahnsteig.

      »Halloh, Mahbub Ali!« rief ein junger Assistent von der Distrikt-Verkehrs-Inspektion, der wartete, um die Linie abzufahren – ein schlanker, flachshaariger Jüngling mit sportsmännischen Manieren, in schmutzig-weißes Leinen gekleidet. »Was macht Ihr hier? Klepper verkaufen – he?«

      »Nein, ich habe keine Sorge um meine Pferde. Ich warte hier auf Lutuf Ullah. Ich habe eine Pferdeladung auf der Bahn. Könnte jemand sie ausladen ohne Wissen der Bahnverwaltung?«

      »Sollte nicht denken, Mahbub. Ihr könnt uns verantwortlich machen, wenn es geschieht.«

      »Ich sah zwei Männer fast die ganze Nacht zwischen den Rädern eines der Wagen hocken. Fakirs stehlen keine Rosse, so beobachtete ich sie nicht weiter. Ich wollte Lutuf Ullah, meinen Teilhaber, erwarten.«

      »Zum Teufel auch! Und Ihr kümmertet Euch nicht weiter darum? Auf mein Wort, gut, daß ich Euch treffe. Wie sahen sie aus, he?«

      »Es waren ja nur Fakire. Sie werden vielleicht ein bißchen Getreide von den Wagen nehmen. Es gibt viele an den Geleisen. Der Staat wird den Anteil nicht vermissen. Ich kam hierher, um Lutuf Ullah zu suchen.«

      »Schon gut mit Eurem Partner. Wo sind Euere Pferdewagen?«

      »Ein wenig nach dieser Seite, weit weg von dem Ort, wo sie das Licht für den Zug bereit halten.«

      »An der Signal-Bude. Ja –.«

      »Und auf dem Schienenstrang nächst dem Weg auf der rechten Seite – wenn man die Bahn so herunter sieht. Aber was Lutuf Ullah betrifft – ein großer Mann mit einer zerbrochenen Nase und einem persischen Jagdhund – Aie!«

      Der Jüngling war fortgeeilt, um einen jungen, feurigen Polizisten zu wecken, denn, wie er sagte, die Verwaltung hatte viel von Diebstahl in den Güterschuppen gelitten. Mahbub Ali kicherte in seinen gefärbten Bart.

      »Sie werden in ihren schweren Stiefeln gehen und Lärm machen und sich dann wundern, keine Fakire zu finden. Es sind geschickte Jungen – Barton Sahib und Young Sahib.«

      Er wartete lässig einige Minuten, erwartend, sie zur Tat gegürtet die Linie entlang eilen zu sehen, als eine Hilfs-Lokomotive, mit dem jungen Barton im Führerstand, durch den Bahnhof glitt.

      »Dem Kinde tat ich Unrecht,« sprach Mahbub, »er ist nicht ganz und gar ein Narr. Einen Feuerwagen zu brauchen, um einen Dieb zu fangen, ist ein neuer Sport.«

      Als Mahbub in der Dämmerung nach seinem Lager kam, erachtete es keiner der Mühe wert, ihn von den Vorfällen der Nacht zu unterrichten, keiner, ausgenommen ein kleiner Pferdejunge,


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