Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
»Wenn ich in die Madrissah zurückgehe, muß ich sie Dir wiedergeben. Sie gestatten keine Waffe. Du wirst sie mir aufbewahren?«
»Sohn, ich bin der Madrissah müde, wo sie einem Manne die besten Jahre nehmen, um ihn zu lehren, was er nur auf der Heerstraße lernen kann. Die Torheit der Sahibs hat weder Kopf noch Fuß. Schadet nichts. Kann sein, dieser geschriebene Bericht erspart die fernere Sklaverei; und Gott weiß, wir brauchen Männer, mehr und mehr, für das Spiel.«
Mit verbundenem Mund, um sich vor dem wehenden Sand zu schützen, wanderten sie durch die Salzwüste nach Jodhpore, wo Mahbub und sein schöner Neffe Habib-Ullah viel Geschäfte machten, und dann – traurig, in europäischen Kleidern, aus denen er fast herausgewachsen war – fuhr Kim in zweiter Klasse nach St. Xavier zurück. Drei Wochen später traf Oberst Creighton, der in Lurgans Laden nach dem Preise von Thibetanischen Geisterdolchen fragte, Mahbub Ali als offenbaren Meuterer an. Lurgan Sahib operierte als Reserve.
»Das Pony ist fertig – vollendet – mit Maul und Schritt – Sahib. Von nun an, wenn es zum Spaß festgehalten wird, wird es von Tag zu Tag seine guten Manieren verlieren. Nehmt ihm den Zügel vom Nacken und laßt ihn los,« sprach der Pferdehändler. »Wir haben ihn nötig.«
»Aber er ist noch so jung, Mahbub – kaum sechzehn – nicht so?«
»Als ich fünfzehn alt war, Sahib, hatte ich meinen Mann geschossen und meinen Mann gezeugt.«
»Du verstockter, alter Heide.« Creighton wandte sich zu Lurgan. Der schwarze Bart nickte dem scharlachgefärbten des Afghanen Beifall zu.
»Ich würde ihn längst verwandt haben,« sagte Lurgan. »Je jünger je besser. Deshalb lasse ich meine Kostbaren Juwelen von einem Kinde hüten. Ihr habt ihn mir gesendet, ihn auf die Probe zu stellen. Ich prüfte ihn in jeder Weise: er ist der einzige Knabe, den ich nicht dahin bringen Konnte, Dinge zu sehen –«
»Im Krystall – im Tintentopf?« fragte Mahbub.
»Nein. Unter meiner Hand. Das ist mir noch nicht vorgekommen. Das zeigt, daß er stark genug ist – aber Ihr meint, Oberst Creighton, das ist nicht so leicht, wie es aussieht – jeden nach seinem Willen tun zu lassen? Und das war vor drei Jahren. Seit der Zeit habe ich ihn vieles gelehrt, Oberst Creighton. Ich glaube, Ihr verwertet ihn jetzt nicht richtig.«
»Hm! Kann sein, Ihr habt Recht. Aber, wie Ihr wißt, ist augenblicklich keine offizielle Arbeit für ihn da.«
»Laßt ihn aus – laßt ihn rennen,« unterbrach Mahbub. »Wer erwartet von einem Füllen, daß es gleich schwere Lasten trägt? Laßt ihn auf gut Glück mit den Karawanen laufen wie unsere weißen Kamel-Füllen. Ich würde ihn zu mir nehmen, aber –«
»Da ist im Süden eine Kleinigkeit zu tun, wobei er sehr nützlich sein könnte,« meinte Lurgan, mit besonders sanftem Ton, seine schweren, blau getuschten Augenlider senkend.
»E. 23. hat das in Händen,« sagte Creighton, rasch einfallend.
»Er darf nicht dorthin. Außerdem versteht er nicht Türkisch.«
»Beschreibt ihm nur das Format und den Geruch der Briefe, die wir brauchen,« beharrte Lurgan, »und er wird sie uns bringen.«
»Nein. Das ist Arbeit für einen Mann,« sagte Creighton. Es betraf eine halsbrecherische Angelegenheit, eine ungehörige, aufwieglerische Korrespondenz zwischen einer Person, die sich als allein maßgebende Autorität in allen Dingen der mohammedanischen Religion durch alle Welt betrachtete, und einem jüngeren Mitglied eines königlichen Hauses, das wegen Frauenraubes auf britischem Territorium in den Geheimakten geführt wurde. Der muselmännische Erzbischof war emphatisch und überarrogant, der junge Prinz nur aufgebracht wegen sogenannter Verkürzung seiner Privilegien gewesen; aber er mußte verhindert werden, eine Korrespondenz weiter zu führen, die ihn schließlich kompromittieren konnte. Einer der Briefe war schon abgefaßt, aber der Finder wurde später, als arabischer Handelsmann gekleidet, tot am Wege gefunden; dies berichtete E. 23. (der die Arbeit übernommen) pflichtgemäß.
Diese Fakten und einige andere, nicht zu veröffentlichende, ließen Mahbub und Lurgan die Köpfe schütteln.
»Laßt ihn denn mit dem Roten Lama gehen,« sagte, mit sichtlicher Überwindung, der Roßkamm. »Er hat den alten Mann lieb. Er kann wenigstens bei dem Rosenkranz seine Schritte abzählen lernen.«
»Ich hatte mich ein paarmal mit dem alten Mann zu beschäftigen – brieflich,« sprach Creighton lächelnd. »Wohin geht er?«
»Er ist diese drei Jahre auf-und abgewandert im Lande. Er sucht einen Strom des Heils. Gottes Fluch über alle –« Mahbub verstummte plötzlich. »Er hat Quartier im Tempel der Tirthankeers oder zu Buddh Gaya, wenn er von der Wanderschaft kommt. Alsdann geht er nach der Madrissah, um den Knaben zu sehen: wir wissen es, denn der Knabe wurde zwei-oder dreimal deswegen bestraft. Er ist ganz verrückt, aber ein friedlicher Mann. Ich habe ihn getroffen. Auch der Babu hat mit ihm zu tun gehabt. Wir beobachteten ihn diese drei Jahre. Rote Lamas sind nicht so häufig in Indien, daß man die Spur verlieren könnte.«
»Babus sind zuweilen sonderbar,« sprach Lurgan nachdenklich. »Wißt Ihr, was Hurree Babu wirklich will? Er will Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften werden durch seine ethnologischen Berichte. Ich teilte ihm alles mit, was Mahbub und der Knabe mir über den Lama gesagt. Hurree Babu geht nach Benares – auf seine eigenen Kosten, denke ich.«
»Ich nicht,« sagte Creighton kurz. Er hatte, aus lebhafter Neugier zu erfahren, was der Lama eigentlich war, Hurrees Reisekosten bezahlt.
»Und er wandte sich an den Lama, wegen Unterweisung über Lamaismus und Teufelstänze und Zauberformeln, verschiedene Male in diesen drei Jahren. Heilige Jungfrau! All das hätte er von mir schon vor Jahren erfahren können. Ich glaube, Hurree Babu wird zu alt für das Umherstreifen. Er sammelt lieber Erfahrungen über Sitten und Lebensweise. Ja, er strebt danach, ein F. R. S. zu werden.« (Fellow of the Royal Society, Mitglied der Akademie der Wissenschaften.)
»Hurree denkt gut von dem Knaben, wie?«
»Oh, sehr! Wir hatten einige heitere Abende zusammen hier in meiner kleinen Behausung. Aber es wäre schade, den Knaben mit Hurree in den ethnologischen Dienst übergehen zu lassen.«
»Nicht für einen ersten Versuch. Was sagt Ihr, Mahbub? Lassen wir den Jungen sechs Monate mit dem Lama gehen! Später wollen wir sehen. Er kann wenigstens Erfahrungen sammeln.«
»Die hat er schon, Sahib – er kennt seinen Weg wie ein Fisch das Wasser, in dem er schwimmt. Aber jedenfalls wäre es richtig, ihn aus der Schule zu nehmen.«
»Gut also,« sprach Creighton halb zu sich selbst. »Er soll mit dem Lama gehen, und will Hurree Babu ein Auge auf sie haben, um so besser. Der Lama wird den Knaben nicht in Verlegenheit bringen, wie Mahbub. Sonderbar – dieser Wunsch ein F. R. S. zu werden! Und doch wie menschlich! Er paßt auch am besten für Ethnologie, Hurree –«
Weder Geld noch Bevorzugung würde Creighton bewogen haben, den Indischen Geheim-Dienst zu verlassen, aber tief in der Seele trug er den Ehrgeiz, F. R. S. hinter seinen Namen zu setzen. Gewisse Ehren waren durch Findigkeit und Hilfe von Freunden zu erzielen; aber, nach seinem besten Ermessen, konnte nur ein Leben voll wertvoller Arbeit einen Mann in die Gesellschaft erheben, die er seit Jahren mit Berichten über fremde asiatische Kulturen und unbekannte Sitten bombardierte. Neun von zehn Männern würden die Langeweile eines Abends in der Akademie fliehen, Creighton aber würde dieser Zehnte sein. Zuweilen sehnte er sich lebhaft nach dem behaglichen London, in die überfüllten Räume, wo silberhaarige und kahlköpfige Herren, die nichts von militärischen Angelegenheiten verstehen, spektroskopische Untersuchungen niedriger Pflanzenarten der eisigen Tundras oder elektrische Flugmaschinen vornehmen oder Apparate handhaben, um das linke Auge eines weiblichen Moskitos in millimetrische Teile zu schneiden. Nach Recht und Billigkeit hätte die Geographische Gesellschaft ihn berufen sollen; aber Männer sind so launisch wie Kinder bei der Wahl ihres Spielzeugs. – Creighton lächelte und dachte um so besser über Hurree Babu, da er mit ihm gleichen Ehrgeiz teilte.
Er legte den Geisterdolch aus der Hand und blickte