Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Kim konnte nicht sehen, was die Frau tat, er hörte nur einige Minuten das Klick-Klack ihrer Schmucksachen. Ein Zündholz leuchtete in der Dunkelheit auf, er hörte das wohlbekannte knisternde Geräusch von angezündeten Weihrauchkörnern. Der Raum füllte sich mit Rauch, schwer, aromatisch, betäubend. In wachsender Bewußtlosigkeit vernahm er die Namen von Teufeln – von Zulbazan, dem Sohn des Ebis, der in Bazaren und Paraos sein Wesen treibt und gottlose Bosheiten auf den Halteplätzen an der Wegseite verübt – von Dulhan, der unsichtbar über Moscheen schwebt, sich in die Pantoffeln der Gläubigen schleicht und sie am Beten hindert – von Musboot, dem Dämon der Lüge und der Panik. Bald flüsterte Huneefa ihm ins Ohr, bald hörte er sie wie aus weiter Entfernung reden. Sie berührte ihn mit schauderhaft weichen Fingern, und Mahbubs Griff lastete auf seinem Nacken,– bis der Knabe, endlich losgelassen, völlig bewußtlos lag.
»Allah! Wie er kämpfte! Es wäre uns nie gelungen, ohne daß wir ihn betäubten. Das macht, nehme ich an, sein weißes Blut,« erklärte Mahbub. »Fahre fort mit Dawut (Beschwörung). Gib ihm vollen Schutz.«
»Oh, Hörer! Du, der hört mit Ohren, sei gegenwärtig! Höre, o Hörer!« Huneefa wehklagte, ihre toten Augen wandten sich nach Westen. Der dunkle Raum war voller Wehklagen und Schnaufen.
Auf dem äußeren Balkon richtete eine plumpe Gestalt ihren runden Kugelkopf empor und hustete nervös.
»Unterbrich nicht diese bauchrednerische Zauberei, meine Freundin,« sprach sie auf Englisch, »ich bin der Meinung, daß es Dich wohl verdrießen mag, aber ein erleuchteter Beobachter ist nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.«
»Ich will auf ihr Verderben sinnen! Oh, Prophet, habe Nachsicht mit den Ungläubigen! Laß sie eine Weile in Frieden!« Huneefas Antlitz, nun nordwärts gedreht, verzerrte sich schrecklich, und es war, als ob Stimmen von der Decke herab ihr antworteten.
Hurree Babu nahm sein Notizbuch wieder vor und bewegte sich auf der Schwelle des Balkons hin und her, aber seine Hände zitterten. Huneefa, in einer Art trunkener Extase, wiegte sich, mit gekreuzten Beinen neben Kims stillem Haupte sitzend, hin und her, und rief in der alten Ordnung des Rituals Teufel nach Teufel an und befahl ihnen, dem Knaben fern zu bleiben, möge er unternehmen, was es auch sei.
»Mit ihm sind die Schlüssel der geheimen Dinge. Keiner kennt sie neben ihm. Er weiß, was auf dem trockenen Lande ist, und er weiß, was in dem Meere ist!« Wieder brachen die unheimlichen, wispernden Antworten hervor.
»Ich – ich nehme an, daß nichts Verderbliches bei dieser Operation ist,« sagte der Babu, die bebenden und zuckenden Halsmuskeln Huneefas, die jetzt mit Zungen sprach, anstarrend. »Es – es ist doch wohl nicht wahrscheinlich, daß sie den Knaben umgebracht hat? Wenn ja – verweigere ich mein Zeugnis beim Verhör … Welchen hypothetischen Teufel nannte sie zuletzt?«
»Babuchen,« sagte Mahbub im Dialekt, »ich habe keinen Respekt vor den Teufeln von Hind, aber mit den Söhnen von Eblis ist das eine andere Sache; und ob sie nun jumalee (wohlwollend) oder jullalee (bösartig) sind, jedenfalls lieben sie die Kafirs (Ungläubigen) nicht.«
»Dann, meinst Du, wäre es besser, ich ginge?« sagte Hurree Babu, sich halb erhebend. »Sie sind natürlich entkörperte Phänomene. Spencer sagt –«
Huneefa’s Krisis endete wie gewöhnlich nach solchem Vorgang in einem Paroxismus von Heulen. Schaum auf den Lippen, lag sie erschöpft und bewegungslos neben Kim, und die wahnsinnigen Stimmen schwiegen.
»Uah! Das Werk wäre vollbracht. Dem Knaben wird wohl sein, und Huneefa ist sicherlich Meisterin in Zauberkünsten. Hilf sie bei Seite schleppen, Babu. Fürchte Dich nicht.«
»Wie könnte ich fürchten, was nicht existiert?« sagte Hurree Babu, Englisch sprechend, um sich zu beruhigen. – »Es ist ein eigen Ding, die Magie zu scheuen und zu verachten – und ihr doch heimlich nachzuspüren; Folklore-Berichte für die Akademie zu sammeln und an alle Mächte der Finsternis zu glauben.«
Mahbub schüttelte sich vor Lachen. Er kannte Hurree von der Wanderschaft her. »Laß uns die Malerei fertig machen,« sprach er. »Der Knabe ist gut beschützt, wenn – wenn die Herren der Lüfte Ohren haben zu hören. Ich bin ein Sufi (Freidenker); aber wenn man einer Frau, einem Hengst oder einem Teufel die schwache Seite abgewinnen kann, warum denn auf eine andere Seite gehen und sich einen Tritt holen? Bringe Du den Knaben auf den Weg, Babu, und paß auf, daß der alte Rot-Hut den nicht aus unserem Bereich leitet. Ich muß zu meinen Pferden zurück.«
»Sehr wohl,« sagte Hurree Babu. »Für den Augenblick sieht der Knabe sonderbar aus.«
Um den dritten Hahnenschrei erwachte Kim, mit dem Gefühl, als habe er tausend Jahre geschlafen. Huneefa, in ihrer Ecke, schnarchte laut. Mahbub war fort.
»Ich hoffe, man hat Euch nicht erschreckt,« sprach eine fettige Stimme an seiner Seite. »Ich überwachte die ganze Operation, welche sehr interessant, vom ethnologischen Standpunkt aus, war. Es war höchstklassige Dawut.«
»Huh!« machte Kim, Hurree Babu erkennend, der verbindlich lächelte.
»Ich hatte auch die Ehre, Euer gegenwärtiges Kostüm von Lurgan Sahib zu überbringen. Es ist nicht meine offizielle Obliegenheit, solchen Flittertand an Untergebene abzuliefern, aber« – er kicherte – »Euer Fall ist als eine Ausnahme in den Büchern vermerkt. Ich hoffe, Mr. Lurgan wird meine Tat notieren.«
Kim gähnte und reckte sich. Es war angenehm, sich wieder in losen Kleidern zu bewegen. »Was ist dies?« Er betrachtete neugierig den schweren, von nordischen Gerüchen durchzogenen Düffelstoff.
»Oho! Das ist das unverdächtige Kleid eines Chela, der dem Dienst eines lamaistischen Lamas zugewiesen ist. Vollständig in jeder Beziehung,« sprach Hurree Babu und ging schwerfällig auf den Balkon, um seine Zähne aus einem Wasserkühler zu reinigen. »Ich bin der Meinung, es ist nicht genau die Religion des alten Herrn, sondern eher abweichend von ihr. Ich habe über diese Dinge der Asiatischen Vierteljahrsschrift Berichte erstattet, die man aber ablehnte. Sonderbar, daß der alte Herr selbst aller Religiosität bar ist. Er nimmt es nicht im Geringsten genau.«
»Kennt Ihr ihn denn?«
Hurree Babu hielt die Hand in die Höhe, um anzudeuten, daß er mit dem vorgeschriebenen Zeremoniell beschäftigt sei, das ein wohlerzogener Bengale beim Zähneputzen und solchen Dingen beobachtet. Dann rezitierte er in englischer Sprache ein Arya-Somey-Gebet theistischer Natur und stopfte sich den Mund mit Pan und Betel.
»O-a! Ja. Ich traf ihn einige Mal zu Benares und Buddh Gay und befragte ihn über religiöse Punkte und Teufel-Anbetung. Er ist rein agnostisch gesinnt – eben so wie ich.«
Huneefa regte sich im Schlaf und Hurree Babu stürzte nervös nach der kupfernen Weihrauchschale, die farblos schwarz im Morgenlicht erschien, tauchte einen Finger in den angesammelten Ruß und fuhr damit diagonal über sein Gesicht.
»Wer starb in Deinem Hause?« fragte Kim im Dialekt.
»Niemand. Aber sie könnte den bösen Blick haben – die Zauberin,« entgegnete der Babu.
»Was wirst Du jetzt unternehmen?«
»Ich will Dich auf den Weg nach Benares bringen, wenn Du dahin gehst und Dir mitteilen, was Du von »Uns» wissen mußt.«
»Ich komme. Um wie viel Uhr geht der Zug?«
Er erhob sich, blickte sich in dem öden Zimmer um und in das wachsgelbe Gesicht Huneefas, beim Schimmer der tief stehenden Sonne. »Muß ich der Hexe was bezahlen?«
»Nein. Sie hat Dich durch Zauber geschützt gegen alle Gefahren und alle Teufel – im Namen ihrer Teufel. Es war Mahbubs Wunsch.« Auf Englisch: »Er ist sehr in der Bildung zurück, an solchem Aberglauben zu hängen. Es ist ja nur Bauchredekunst. Bauchsprache –«
Kim schnappte mechanisch mit den Fingern, um jedes Übel abzuwenden – Mahbub, wußte er, sann auf keins – das aus den Manipulationen Huneefas ihn befallen könnte und Hurlee kicherte wieder, vermied aber sehr vorsichtig beim Durchschreiten des Zimmers in Huneefas über den Boden gestreckten Schatten zu treten. Hexen, wenn ihre Zeit über ihnen