Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
hielt mich ein Mann wegen Schulden an, brachte Zeugen vor, und man schleppte mich vor Gericht hierhin und dahin. O, sie sind schlau dort im Süden! Er gab mich als seinen Baumwoll-Agenten an. Möge er in der Hölle dafür braten.«
»Und warst Du das?«
»O Tor! Der Mann, den man wegen des Briefes suchte, war ich! Ich flüchtete mich durch den Schlachthof und kam bei dem Hause des Juden heraus, der, einen Auflauf befürchtend, mich weiter beförderte. Zu Fuß kam ich bis Somna, ich hatte nur noch Geld zu einem Billett nach Delhi – und dort, als ich mit Fieber in einem Graben lag, sprang einer aus dem Gebüsch und stach mich und zerschlug mich und durchsuchte mich von Kopf bis Fuß – im Angesicht des Zuges!«
»Wie kam es, daß er Dich nicht vollständig tötete?«
»So dumm sind sie nicht. Wenn ich in Delhi, auf Veranlassung von Advokaten, wegen erwiesener Mordtat, verhaftet werde, so verfällt mein Leib dem Staat, der ihn fordert. Dann werde ich unter Bewachung zurück befördert und dann – sterbe ich langsam – als ein Beispiel für uns übrige. Der Süden ist nicht mein Geschmack! Im Kreise, wie – eine Ziege mit einem Auge – irrte ich umher. Seit zwei Tagen habe ich nichts gegessen. Ich bin gezeichnet,« – er berührte die schmutzige Bandage seines Beines – »so daß sie mich zu Delhi erkennen müssen.«
»So lange Du im Zuge bleibst, bist Du wenigstens sicher.«
»Sei ein Jahr in dem Großen Spiel und sage mir das dann wieder! In Delhi werden die Drähte gegen mich in Bewegung sein, jeder Schnitt, jeder Lumpen auf meinem Leibe wird beschrieben. Zwanzig – hundert – wenn nötig – werden bezeugen, daß ich den Knaben erschlug. Da ist nichts zu machen!«
Kim kannte genug von dem Charakter der Eingeborenen, um zu wissen, daß es so war, daß selbst der Leichnam des Knaben zur Stelle sein würde. – Des Mahratten Finger Zuckten vor Schmerz. Der Kamboh stierte verdrossen aus seiner Ecke heraus; der Lama war bei seinem Rosenkranz. Kim machte sich an des Mannes Brust zu schaffen, als ob er ärztlich untersuchte und dachte sich – Zaubersprüche murmelnd – einen Plan aus.
»Hast Du auch einen Zauber, meine Gestalt zu verändern? Sonst bin ich ein toter Mann. Hätte ich nur zehn – nur fünf Minuten Zeit gehabt, wäre ich nicht so gehetzt worden, so hätte ich – –«
»Ist er jetzt geheilt, Wundertäter?« fragte neidisch der Kamboh. »Gesungen hast Du lang genug.«
»Nein. Für seine Wunden gibt es, sehe ich, keine Heilung, wenn er nicht drei Tage im Gewande eines Bairagi sitzt.«
Diese Art Buße wird fetten Handelsleuten gewöhnlich von ihren geistlichen Beratern vorgeschrieben.
»Ein Priester sucht immer wieder einen Priester zu machen,« war die Erwiderung. Wie meist rohe und vorurteilsvolle Leute, Konnte er seine Junge nicht vor Verhöhnung der Kirche hüten.
»Also muß Dein Sohn ein Priester werden! Mir scheint, er muß wieder von meinem Chinin nehmen.«
»Wir Jats sind alle Büffel,« sagte der Jat, wieder Kleinlaut werdend.
Kim strich eine Fingerspitze voll bitteren Zeuges auf des Kindes bebende schmale Lippen. »Ich habe von Dir nichts verlangt als Speise. Mißgönnst Tu mir die? Ich will diesen Mann heilen. Habe ich Deine Erlaubnis – Fürst?«
Des Mannes große Fäuste flogen flehend in die Höhe. »Nein – nein. Verspotte mich nicht.«
»Es beliebt mir, diesen Kranken zu heilen. Du sollst Verdienst erwerben, indem Du mir beistehst. Welche Farbe hat die Asche in Deinem Pfeifenkopf? Weiß? Das ist günstig. Ist rohes Turmevic (Gelbwurz) unter Deinen Speiseresten?«
»Ich – ich –«
Öffne Dein Bündel!«
Es enthielt die gewöhnliche Sammlung kleiner Abfälle: Flicken von Zeug, quacksalberische Medikamente, billige Jahrmarkts-Geschenke, ein Tuch voll Atta (graues, grob gemahlenes Mehl), Röllchen von Bauern-Tabak, wohlfeile Pfeifenrohre und ein Pack Curry, in eine Decke gewickelt. Kim durchsuchte alles mit der Miene eines weisen Zauberers, mohammedanische Beschwörungen murmelnd.
»Dies ist Weisheit, die ich von den Sahibs lernte,« flüsterte er dem Lama zu: und wenn man an seine Erziehung bei Lurgan denkt, war das Wahrheit. »Die Sterne künden ein großes Unheil im Schicksal dieses Mannes, das – das setzt ihn in Schrecken. Soll ich es verhindern?«
»Freund der Sterne, Du hast stets das Rechte erwählt. Handle nach Deinem Belieben. Ist es eine neue Heilung?«
»Rasch! Mach rasch! Ehe der Zug hält.«
»Eine Heilung von dem Schatten des Todes,« flüsterte Kim. Er mischte das Mehl mit Kohlen-und Tabaksasche in dem Pfeifenkopf von rotem Ton. E. 23. nahm schweigend seinen Turban ab und schüttelte sein langes schwarzes Haar herunter.
»Das ist mein Essen, Priester,« grollte der Jat.
»Ein Büffel in dem Tempel! Hast Du gewagt, herzusehen? Narren muß man etwas vormachen. Aber hüte Deine Augen. Bemerkst Du schon einen Nebel vor ihnen? Ich rettete das Kind und als Dank – oh. Du Schamloser!«
Der Mann wich vor Kims scharfem, ernsten Blick zurück.
»Soll ich Dich verfluchen, oder soll ich –« Er riß das äußere Tuch vom Bündel und warf es über den gesenkten Kopf. »Wage nur den Wunsch, herzublicken und – und selbst ich kann Dich nicht retten. Sitz still! Sei stumm!«
»Ich bin blind – stumm. Nur verfluche mich nicht! Ko – Komm her, Kind! Wir wollen Blindekuh spielen. Um meinetwillen, piep nicht unter dem Tuch hervor.«
»Ich sehe Hoffnung,« flüsterte E. 23. »Was für einen Plan hast Du?«
»Das kommt später,« sagte Kim, ihm das leichte Hemd herabziehend. E. 23. wich zurück mit der Scheu des Nordwestlers vor Entblößung seines Körpers.
»Was heißt Kaste, wenn es uns an den Hals geht?« meinte Kim, das Hemd bis auf die Hüften niederstreifend.
»Wir müssen Dich zu einem gelben Saddhu machen. Entkleide Dich – entkleide Dich rasch und schüttele das Haar über die Augen, während ich die Asche streue. Nun ein Kasten-Abzeichen auf Deine Stirn.« Er nahm aus dem Kleinen Tuschkasten unter seinem Gewand ein Täfelchen Karminlack.
»Bist Du nur ein Anfänger?« fragte E. 23., buchstäblich um sein Leben ringend, indem er seine Körperhüllen abstreifte und nackt, nur mit dem Hüftentuch, dastand, indeß Kim ihm ein vornehmes Kastenzeichen auf die mit Asche beschmierte Stirn kleckste.
»Seit zwei Tagen erst in das Spiel eingetreten, Bruder,« antwortete Kim. »Schmiere mehr Asche auf Deine Brust.«
»Hast Du wohl einen Arzt – für kranke Perlen getroffen?«
Er faßte sein langes, fest verschlungenes Turbantuch, und mit flinker Hand rollte er es um und über seine Stiften, nach dem verwickelten Muster eines Saddhu-Gurtes.
»Hah! Erkennst Du seine Hand? Eine Weile war er mein Lehrer. Wir müssen Deine Beine verbinden. Asche heilt Wunden. Beschmiere sie nochmals.«
»Einst war ich sein Stolz. Du aber bist fast geschickter als ich. Die Götter sind uns gnädig! Gib mir das.«
Es war eine Zinnbüchse mit Opiumpillen zwischen dem Kehricht des Bündels. E. 23. verschluckte eine halbe Handvoll. »Sie sind gut gegen Hunger, Angst und Kälte. Und sie machen die Augen rot,« erklärte er. »Nun habe ich wieder Mut zum Spiel. Es fehlt mir nur die Zunge eines Saddhu. Was machen wir mit den alten Kleidern?«
Kim rollte sie fest zusammen und stopfte sie in die lockeren Falten seines Unterkleides. Mit gelber Ockerfarbe schmierte er breite Streifen auf Brust und Beine, auf den Hintergrund von Mehl, Asche und Turmeric.
»Das Blut auf Deinem Leib, Bruder, genügt um Dich zu hängen.«
»Kann sein; aber nicht Grund genug, ihn aus dem Fenster zu werfen … Es ist getan.« Seine Stimme klang hell vor Entzücken über die Verkleidung. »Wende Dich um, o Jat! Und schau!«
»Die Götter