Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


Скачать книгу
mit langen Schritten, streifte der Lama durch schattenübersprenkelte Deodar-Haine, durch farren-geschmückte Wälder von Eichen, Birken, Stechpalmen, Rhododendren und Kiefern; hinaus auf Bergrücken, die sonnenverbranntes schlüpfriges Gras bedeckte, und wieder zurück in des Waldlands Kühle, bis die Eiche dem Bambus und der Palme des Tales Platz machte. Im Zwielicht, rückwärts blickend auf die ungeheuren Grate hinter ihm und auf die feine schwache Linie des Weges, den sie gekommen, plante der Lama, mit dem unternehmenden Ausblick des Gebirglers, kräftige Märsche für den Morgen. Und in der Mitte eines emporsteigenden Engpasses, der auf Spiti und Kulu führte, blieb er stehen und streckte sehnsuchtsvoll die Hände aus gegen die hohen Schneegipfel am Horizont. In der Morgendämmerung schimmerten sie in der Höhe metallisch rot, unten tiefblau, wenn die Könige dieser Wildnis – Kedarnath und Badrinath – den ersten Kuß der Sonne empfingen. Den Tag über lagen sie wie geschmolzenes Silber in der Sonne, und abends legten sie ihre Juwelen an. Anfangs sandten sie den Wanderern mildere Winde zu, willkommen zum Klettern über gigantische Bergrücken; aber nach wenigen Tagen, in der Höhe von neun-oder zehntausend Fuß, wurden die Winde schneidend, und Kim gab den Gebirglern eines Dorfes gnädig Erlaubnis, Verdienst zu erwerben, indem sie ihm einen Rock von grobem Düffel schenkten. Der Lama sprach milde sein Erstaunen aus, daß man die messerscharfen Winde tadelte, die die Jahre von seinen Schultern nahmen.

      »Dies sind nur die niedrigen Hügel, Chela. Es gibt erst Kälte, wenn wir in die wahren Berge kommen.«

      »Luft und Wasser sind gut und das Volk ist fromm, aber das Essen ist sehr schlecht,« murrte Kim, »und wir gehen, als wären wir verrückt oder – Engländer. Es friert auch in der Nacht.«

      »Ein wenig, kann sein; aber nur gerade so viel, daß alte Knochen sich des Sonnenscheins mehr erfreuen. Wir müssen nicht immer weiche Betten und reichliches Essen haben.«

      »Wir könnten wenigstens auf der Straße bleiben.«

      Kim, als Mann der Ebene, zog den gut gehaltenen, wenn auch nur sechs Fuß breiten Weg vor, der sich durch die Berge schlängelte; der Lama, als Tibetaner, konnte der Versuchung nicht widerstehen, abkürzende Wege über Bergvorsprünge und kiesbedeckte Abhänge zu machen. Er erklärte seinem lahmenden Schüler, daß ein in den Bergen Aufgewachsener die Richtung eines Bergpfades voraus wisse und wenn niedrig hängende Wolken dem kurz ausschreitenden Fremden dies unmöglich machten, so wäre das nicht der Fall für den Eingeweihten. Nach langen Stunden anstrengenden Bergsteigens – in zivilisierten Gegenden hätte man es eine starke Leistung genannt – keuchten sie über Bergrücken, gingen seitwärts über Erdrutsche und kamen durch einen Wald mit einem Abstieg von 45 Grad wieder auf die Straße herab. Der Straße entlang befanden sich Dörfer der Bergbewohner, Erd-und Lehmhütten, Holzhäuschen, roh mit der Axt gezimmert, gleich an den Abhängen klebenden Schwalbennestern, auf kleinen Flecken zusammengedrängt, halbwegs abwärts an, einem, dreitausend Fuß niederfallenden Sturz, in Winkel zwischen Klippen, die jeden wandernden Windstoß wie in einem Schornstein fingen, eingeklemmt, oder, für die Sommerweide bestimmt, auf einem Rücken kauernd, der im Winter unter zehn Fuß hohem Schnee begraben lag. Und das Volk, das blaßgelbe, schmutzige, in Düffel gekleidete Volk mit nackten Beinen und Gesichtern fast wie Eskimos, drängte herbei und betete an. Die Ebenen, sanft und höflich, hatten den Lama behandelt wie einen heiligen Mann unter heiligen Männern. Die Berge aber beteten ihn an als den Vertrauten aller Teufel. Sie haben einen halbverwischten Buddhismus, durchsetzt mit einer Naturanbetung von so phantastischer Art, wie ihre eigene, terrassenförmig abgestufte Landschaft. Sie erkannten den großen Hut, den klappernden Rosenkranz und die seltenen chinesischen Textsprüche als eine hohe Macht an und sie verehrten den Mann unter dem Hut.

      »Wir sahen Dich herunterkommen, über die schwarzen Brüste von Eua,« sagte ein Betah, der ihnen eines Abends Käse, sauere Milch und steinhartes Brot gab.

      »Wir kommen nicht oft dahin, ausgenommen wenn kalbende Kühe sich im Sommer verirren. Es lebt ein scharfer Wind dort zwischen den Steinen, der Menschen niederwirft an den stillsten Tagen. Aber was fragen Männer wie Ihr nach dem Teufel von Eua!«

      Trotz wunder Füße, trotz Schwindels vom Niederschauen und trotz bebender Fibern fand Kim Freude an den Tagesmärschen, wie ein Knabe in St. Xavier an dem Lobe seiner Kameraden, wenn er den Preis gewann beim Viertelmeilen-Rennen auf der Ebene. Der Schweiß auf diesen Bergen trieb Butter-und Zuckersäfte aus seinem Blut. Die trockene Luft, die er in der Höhe mächtiger Pässe stoßweise einatmete, stärkte und wölbte seinen Brustkorb, und die gewellten Hochebenen bildeten und formten die Muskeln von Arm und Schenkel.

      Oft sannen sie nach über das Rad des Lebens, um so mehr, als der Lama sagte, daß sie jetzt frei waren von seinen sichtbaren Versuchungen. Wenn sie nicht gerade einen grauen Adler sahen oder auch einen grabenden, wühlenden Bären, oder einen gefleckten Leoparden, der eine Ziege verschlang in der Dämmerung, in einem stillen Tale trafen und hier und da einen Vogel mit glänzendem Gefieder, so waren sie allein mit den Winden und dem Gras, das unter den Winden sang. Die Frauen in den rauchigen Hütten, über deren Dächer die beiden hingingen, wenn sie von den Bergen herunterstiegen, waren unsauber und unliebenswürdig, Frauen, die vielen Männern gehörten und einen Kropf hatten. Die Männer waren Holzschläger, wenn sie nicht Ackerbauer waren, sanftmütig und unglaublich einfältig. Und damit angenehme Unterhaltung nicht fehle, sandte ihnen das Schicksal den höflichen Doktor aus Dacca, der sie auf dem Wege einholte, und der für sein Essen Salben gegen Kröpfe gab, wie auch Ratschläge, um den Frieden zwischen Weibern und Männern wieder herzustellen. Er schien diese Berge so gut zu kennen wie den Dialekt der Berge und wies dem Lama die Richtung nach Ladakh und Tibet. Er sagte, sie könnten jeden Augenblick in die Ebenen zurückgelangen; indes wäre für die, die Berge liebten, dieser Weg ergötzlich. Das wurde nicht alles aus einmal gesagt, aber gelegentlich, bei abendlichem Zusammentreffen auf den Dreschtennen, wenn die Patienten besorgt waren, wenn der Doktor rauchte und der Lama schnupfte. Kim aber schaute nach den winzigen Kühen, die auf den Dächern grasten, und seine Seele folgte den Augen über tiefblaue Abgründe zwischen Bergkette und Bergkette. Und heimliche Gespräche gab es in den dunklen Gehölzen, wenn der Doktor Kräuter suchte und Kim als aufknospender Arzt ihn begleitete.

      »Ihr seht, Mister O’Hara, ich weiß beim Kuckuck nicht, was ich tun werde, wenn ich unsere jagdlustigen Freunde treffe, aber wenn Ihr gütigst in Sicht meines Sonnenschirmes bleiben wollt, der ein hübsch fester Punkt ist für Kataster-Arbeiten, so wird mir das angenehm sein.«

      Kim sah hinaus in die Wildnis von Bergspitzen. »Dies ist nicht mein Gebiet, Hakim. Leichter fände ich eine Laus in einem Bärenfell.«

      »Oah, das ist gerade meine Stärke. Eile gibt es für Hurree nicht. Vor kurzem waren sie in Leh. Sie sagten, sie wären mit ihren Hörnern und Köpfen und allem von dem Kara Korum herunter gekommen. Ich fürchte nur, sie haben alle ihre Briefe und kompromittierenden Dinge zurückgeschickt in russisches Territorium. Natürlich werden sie so weit wie möglich nach dem Osten gehen – just um zu zeigen, daß sie niemals in westlichen Staaten gewesen. Ihr kennt die Berge nicht?« Er kratzte mit einem Zweig auf der Erde. »Seht her! Sie sollten über Srinagar oder Abbottabad hereingekommen sein. Das wäre ihr kürzester Weg – am Fluß herunter, bei Bunji und Astor. Aber sie haben im Westen Unfug getrieben. So« – er zog eine Linie von links nach rechts – »so marschieren sie und marschieren sie fort, ostwärts, nach Leh (ah! es ist kalt hier) und den Indus hinab nach Han-lé (ich kenne den Weg) und dann hinunter, seht Ihr, nach Bushahr und in das Tal von Chini. Das habe ich festgestellt, indem ich die Leute, die ich so flott kuriere, ausfragte. Unsere Freunde haben lange genug umhergestreift, um Eindruck zu hinterlassen; so sind sie weithin bekannt. Ihr werdet sehen, ich fange sie irgendwo im Chini-Tal. Bitte, haltet ein Auge auf meinen Sonnenschirm.«

      Der Sonnenschirm nickte wie eine vom Wind bewegte Glockenblume in den Tälern und an den Berghängen, und zur gehörigen Zeit trafen ihn der Lama und Kim, die nach dem Kompaß marschierten, wenn er zur Abendzeit Salben und Pulver verkaufte. »Wir kamen auf dem oder dem Wege,« sagte der Lama, mit dem Finger rückwärts nach den Bergketten deutend, und der Sonnenschirm erging sich in Komplimenten.

      In einer kalten Mondnacht kreuzten sie einen verschneiten Paß. Der Lama watete bis an die Knie im Schnee, wie eines der langhaarigen, backtrischen Kamele, die man in Kaschmir-Serai trifft, und neckte Kim, wenn er zurückblieb. Sie überschritten


Скачать книгу