Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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Sie kamen über grasige, noch mit Schnee besprenkelte Hügelrücken in einen Wald und aus diesem wieder auf Weidegrund. Aber all ihr Wandern machte auf Kedarnath und Badrinath keinen Eindruck; und erst nach tagelangen Märschen sah Kim, hoch auf einem Hügelchen von nur zehntausend Fuß Höhe stehend, daß ein Horn der beiden großen Herren seine Umrißlinie, wenn auch noch so wenig, verändert hatte.

      Endlich betraten sie eine Welt für sich, ein Tal von Schichtungen, wo die hohen Hügelzüge von dem bloßen Geröll und Abfall nur der Kniee der Berge gebildet waren. Hier brachte ein Tagesmarsch sie scheinbar nicht weiter als der gehemmte Fuß einen Träumenden in seinem Angsttraum trägt. Sie erklommen mühevoll eine Bergschulter, und siehe da, sie erwies sich als ein nur vorgeschobener Buckel eines Hauptstockes. Ein Wiesenrund enthüllte sich, wenn sie es erreichten, als ein weites Tafelland, das sich weit hinab ins Tal dehnte. Drei Tage später schien es nur eine unbedeutende Erdfalte südwärts zu sein.

      »Sicherlich, die Götter leben hier,« sagte Kim, überwältigt von dem Schweigen und dem großartigen Anblick der ziehenden und sich verteilenden Wolkenschatten nach dem Regensturm.

      »Vor langer, langer Zeit,« sprach der Lama, wie zu sich selbst, »ward der Herr gefragt, ob die Welt ewig bestehen würde. Hierauf erteilte der höchst Vortreffliche keine Antwort .. Als ich in Ceylon war, bestätigte ein weiser Sucher dies aus der Lehre, die in Pali geschrieben ist. Sicherlich, seit wir den Weg zur Freiheit kennen, wäre diese Frage ohne Nutzen, aber – siehe und erkenne den Wahn, Chela! Dieses sind die wahren Berge. Sie sind wie meine Berge, bei Such-zen. Niemals gab es solche Berge.«

      Über ihnen, noch unendlich hoch über ihnen, türmte sich die Erde aufwärts bis zur Schneegrenze, wo von Ost nach West, Hunderte von Meilen weit, wie mit einem Lineal abgeschnitten, die kühnen Horste endeten. Über diesen, in aufgetürmten Klippen und Blöcken, streben die Felsen, mit ihren Häuptern den weißen Qualm zu durchdringen. Über diesen wieder, ohne Wechsel seit Beginn der Welt, aber wechselnd bei jeder Laune von Wind oder Sonne, lag der ewige Schnee. Sie konnten dunkle Flecken auf seinem Antlitz sehen, wo der Sturm mit wanderndem Getriebe einen Tanz aufführte. Unter ihnen glitt der Wald hinein in eine blaugrüne Fläche, die sich Meilen und Meilen weit dehnte. Unter dem Wald war ein Dorf, von umhergestreuten terrassirten Feldern und absteigenden Weideplätzen umgeben; und unter dem Dorf, sie wußten es, wenn auch ein tobender, grollender Gewittersturm ihn augenblicklich unsichtbar machte, war ein Abhang, der zwölf-bis fünfzehnhundert Fuß tief hinunter stieg in das feuchte Tal, wo die Ströme sich sammeln, die die Mütter des jungen Sutluj sind.

      Wie gewöhnlich hatte der Lama Kim auf Viehpfaden und Nebenwegen weit von der Hauptstraße weggeleitet, auf welcher Hurree Babu, »der furchtsame Mann,« drei Tage vorher hingezogen war, in einem Sturm, dem neun unter zehn Männern mit vollstem Recht aus dem Wege gegangen wären. Hurree war kein Schütze; der Schlag eines Gewehrdrückers ließ ihn die Farbe wechseln, aber er war, wie er selbst sagte – »ein flotter Ausschreiter« – und mittels eines billigen Krimstechers hatte er das ausgedehnte Tal mit einigem Erfolg durchstöbert. Überdies sind Zelte von hellem Segeltuch im Grünen weithin sichtbar. Auf einer Dreschtenne zu Ziglaur sitzend, in einer Entfernung von zwanzig Meilen für den Adlerflug und vierzig auf dem Wege, hatte Hurree Babu alles, was er sehen wollte, gesehen, nämlich zwei kleine Punkte, heute gerade unterhalb der Schneelinie, und morgen vielleicht sechs Zoll abwärts an der Hügelkante. – Erst einmal eingearbeitet und in Bewegung gesetzt, machten seine nackten, fetten Beine erstaunliche Märsche; und während noch der Lama und Kim in einer feuchten Hütte zu Ziglaur das Ende des Sturmes abwarteten, führte ein nasser, fettiger, aber lächelnder Bengale sich bei zwei durchweichten, verschnupften Fremden ein und sprach sein feinstes Englisch, durchsetzt mit den abscheulichsten Phrasen. Er war, wilde Pläne in einem Kopf herum wälzend, angekommen auf den Flügeln eines Wettersturmes, der eine Tanne zersplittert über ihr Lager hingeschleudert hatte. Dies hatte einigen Dutzend sehr eindrucksfähiger Gepäck-Kulis die Überzeugung beigebracht, daß der Tag für weitere Reise ungünstig wäre, und wie auf Verabredung warfen sie alle gleichzeitig ihre Last zur Erde, wie störrische Pferde.

      Sie waren Untertanen eines Berg-Rajahs, der ihre Dienste, wie es der Brauch ist, zugunsten seiner Privatkasse vermietete, und ihre Not zu vermehren, hatten die fremden Sahibs sie schon mit ihren Flinten bedroht. Die meisten kannten Flinten und Sahibs von altersher; sie waren Spürhunde und Shikkarris (Jäger) aus den nördlichen Ebenen, kühn hinter Bären und wilden Ziegen her, aber so hatte man sie noch nie behandelt. Jetzt nahm der Wald sie an seinen Busen, und trotz Lärm und Flüchen lieferte er sie nicht wieder aus. Der Babu hatte nicht nötig, sich blödsinnig zu stellen oder er hatte eine andere List ersonnen, um aufgenommen zu werden. Er rang seine nassen Kleider aus, zog die Patent-Lederschuhe an, öffnete seinen blau und weißen Sonnenschirm, und mit gezierter Haltung, während ihm das Herz gegen die Rippen klopfte, stellte er sich vor als: »Agent seiner Königlichen Hoheit, des Rajahs von Rampur, meine Herren. Was Kann ich für Sie tun?«

      Die Herren waren entzückt. Der eine war augenscheinlich ein Franzose, der andere ein Russe; sie sprachen nicht viel schlechter englisch als der Babu. Seine höflichen Dienste waren ihnen erwünscht. Ihre eingeborenen Diener hatten sie in Leh krank zurückgelassen, sie waren weiter geeilt, um ihre Jagdbeute nach Simla zu schaffen, ehe die Felle von Motten zerfressen würden. Sie hatten ein Empfehlungsschreiben – der Babu salaamte orientalisch bei dessen Vorzeigung – an alle Beamte der Regierung. Nein, sie hatten keine andere Jagdpartie auf ihrem Wege getroffen. Sie brauchten niemand. Sie hatten alles bei sich. Sie wünschten nur baldmöglichst weiterzukommen. Darauf erspähte der Babu einen niedergekauerten Bergbewohner zwischen den Bäumen, und mit wenigen Worten und ein wenig Silber (im Staatsdienst kann man nicht ökonomisch sein, wenn auch das Herz ob solcher Verschwendung blutet) brachte er die elf Kulis nebst drei Rachzüglern zum Vorschein: der Babu, meinten sie. könne wenigstens Zeuge sein, wie sie behandelt würden.

      »Mein Königlicher Herr – er wird sehr erzürnt sein; diese Leute sind eben nur gemeines Volk und grob unwissend. Wenn Ew. Gnaden diesen unglücklichen Zwischenfall gütigst übersehen wollten, würde es mich freuen. Der Regen wird bald aufhören, dann können wir aufbrechen. Sie haben gejagt, wie? Das ist ein nobler Sport!«

      Er hüpfte behende von einem Zelte zum anderen, als ob er jeden kegelförmigen Zipfel in Ordnung bringen wollte. Der Engländer ist gewöhnlich nicht vertraut mit dem Asiaten, aber er würde einen dienstfertigen Babu nicht zurückstoßen, wenn er zufällig ein Zelt mit einer Decke von rotem geölten Leinen umgekippt hätte. Er würde den Babu aber auch nicht zum Trinken oder Fleischessen nötigen. Die Fremden taten dies alles und stellten viele Fragen – besonders wegen Frauen – und Hurree antwortete heiter und natürlich. Sie gaben ihm ein Glas von einer weißlichen Flüssigkeit, ähnlich Branntwein, zu trinken und dann noch eins, und alsbald verließ ihn sein abgemessenes Wesen. Er wurde geschwätzig und sprach indiskret und unanständig von der Regierung, die ihm die Erziehung eines weißen Mannes aufgezwungen und den Gehalt eines weißen Mannes versagt hatte. Er plapperte Geschichten her von Unterdrückung und Unrecht, bis ihm die Tränen über die Backen flössen um das Elend seines Landes. Dann stolperte er davon, sang bengalische Liebeslieder und sank auf einen nassen Baumstumpf hin. Nie wohl ward ein unglücklicheres Produkt der englischen Herrschaft in Indien Ausländern aufgedrängt.

      »Sie sind alle so,« sagte der eine Sportsmann zum anderen auf französisch. »Wenn wir in das richtige Indien kommen, wirst Du es selbst finden. Seinen Rahjah möchte ich wohl besuchen. Man könnte da ein höfliches Wort sprechen. Möglich, daß er von uns gehört hat und uns gefällig sein möchte.«

      »Wir haben keine Zeit. Wir müssen so rasch es geht nach Simla kommen,« erwiderte der andere. »Ich wünsche, wir hätten unsere Berichte von Hilás oder selbst von Leh zurückgesendet.«

      »Die englische Post ist besser und sicherer. Bedenke nur, wie leicht sie uns alles gemacht haben, und beim Himmel, sie machen es uns noch leichter. Ist es unglaubliche Dummheit?«

      »Es ist Stolz – Stolz, der bestraft zu werden verdient und bestraft werden wird.«

      »Ja, einen Bruder vom Kontinent in solchem Spiel zu hindern, wäre etwas. Ein Risiko ist dabei; aber dieses Volk – bah! Es ist zu sorglos.«

      »Stolz – nichts als Stolz, Freund.«

      »Was,


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